In nemore

Unter Flaggen schlafen, ruhen im Wind über Berg und Tal und Burg, in luftiger Höhe, und beim Erwachen liegt der Tag immer noch ruhig in unserer Hand. Küsse, Küsse voll Wind und Sonne. Deine Finger liegen auf meiner Brust, erst auf dem Hemd, dann unter dem Hemd, und ich sage dir, daß ich dich will, abermals will ich dich, will dich mein Leib, ich küsse dich und sage es dir, und du: „Laß uns noch einmal ein Plätzchen finden, ja?“

Ein Plätzchen: flimmernde Sonne in der grünen Tiefe, ein helles Polster abseits des Weges. Stapfen durchs Unterholz, über Wiesen aus Springkraut, ausgerechnet, sich umdrehen, und dann ist der Weg, kein Weg mehr zu sehen, und der Wald hat uns aufgenommen in seine eigene Zeit. Eine Decke im Vorjahreslaub; nesteln am Schuhwerk, und wie du dann deine Unterhemden abgestreift hast, deine Brüste, wie sie in diesem weichen Baumlicht aufleuchteten, hellweiß abgesetzt deine Glieder, eine Corona leuchtender Häute in all dem dampfenden Grünbraun ringsum; die Luft, die mir von Kopf bis Fuß um den Körper streicht, diese ans Erschrecken grenzenden Verblüffung, daß wir uns tatsächlich nackig gemacht hatten, mitten in der großen, freien Welt, der kleine Schreck dabei, und das Entzücken, der Jubel und das hellwache Bewußtsein dieser Nacktheit: Wie mir meine eigene Blöße an deinem weißen Körper aufging: Und mit Herzklopfen vor Begehren habe ich mich neben dich gelegt, deinen andersnackten Leib in meine Arme genommen. Nie, noch nie, sind wir hinter Türen so nackt gewesen wie da in den weiten Hallen der Buchen, unter Rotkehlchen, Zaunkönig und Amsel, und brauchten uns nicht zu schämen.

Zwischen unseren Zehen krümeln Vorjahrsblätter. Trockenes mündet in Feuchtes. Haarfäden glänzen. Rings leuchtet und wedelt der Farn. Wir strecken uns aus, zwei Bündel zarter Glieder. Wie schön du bist. Dein Leib ein Loblied der Sonne. Deine Blicke sind voller Sterne. In der Farbe deines Schoßes findet sich die Farbe des Lebermooses wieder. Deine Haut riecht nach Heu und Thymian. Warm bist du und brennend, als ich zu dir komme. Unsere Blicke stürzen ineinander. Plötzlich haben wir es eilig, der Buchfink schmettert, Laub rutscht unter uns, der Wald nimmt uns auf wie eine offene Hand; ich flüstere deinen Namen, und das letzte, was ich sehe, ehe ich die Augen schließe und verschwinde, in einer Falte zwischen Himmel und Erde, zwischen Sphagnum und Aquilegia verschwinde, das letzte, was ich sehe, ist der überblaue Himmel, der sich in deinen weit aufgerissenen Augen spiegelt.

“Wenn die Menschen ihren Schatten verlieren, wird das Leben unmenschlich. Nicht um ein Diplom zu machen, lesen wir Ovid und die anderen, sondern um unseren Schatten kennenzulernen. Kunst, große Kunst, bietet keine allgemeinen Lösungen für perönliche Probleme, sondern persönliche Lösungen für allgemeine Probleme. (Thódoris Kalliphatídis “Freunde und Liebhaber”)”

αν οι άνθρωποι ξεχάσουν τη σκιά τους, η ζωή γίνεται απάνθρωπη. Διαβάζουμε τον Οβίδιο και τους άλλους όχι για να πάρουμε ένα πτυχίο αλλά για να γνωρίσουμε τη σκίά μας. Η Τέχνη, η μεγάλη Τέχνη, δεν προσφέρει γενικές λύσεις σε προσωπικά προβλήματα, αλλά πρωσοπικές λύσεις σε γενικά προβλήματα. (Θοδωρής Καλλιφατίδης, Φίλοι και Εραστές)

Frettchen

An diesem Morgen läuteten die Glocken Sturm. Sturm war in der Welt, Feuer, Mord, Brand, Tod und Verderben. Blut, Blut, Blut, schrien die Glocken, Mord schrieben die Felder ins Licht, Tod bezeugte der Weg, Blut, jammerte der Wind, der das Fell aufzittern ließ, als sei das Leben darunter noch warm und sträube, wehre, plustere sich noch trotzig gegen die Kälte. Denn es hatte aufgehört zu regnen, und anstelle des milden, nassen Wetters war trockener Frost übers Land gefallen, der die Pfützen zu nadelscharfen Mustern zusammenzog, hellen Staub über die Bäume hängte und die Sonne auf den entsetzten Schollen festfrieren ließ.

Das Fell sah ich zuerst, Flausch und Bausch eines in der Brise sanft wedelnden graubraunen Pelzes; dann eine Kralle, die aus dem Bausch herausragte und zu einem Vorderlauf gehörte; und dann, noch bevor sich in einem nächsten, schon panischen Blick der Fellhügel aus weiteren drei Läufen und einem ängtslich schmalen, viel zu mageren Rumpf zu einem ausgestreckten Tierkörper vervollständigte, sah ich das Blut, und die spitze Schnauze mit den scharfen Zähnchen im halboffenen Maul, wo das Blut ausgetreten war und das Fell zu dunklen Strähnen verklumpt hatte. Maul, Zahn und Blut: Als habe das Tier kräftig zugebissen und sich mit dem Blut der gerrissenen Beute besudelt. Doch war es kein Beutetier, sondern der eigene Tod gewesen, dem das Wiesel auf dem Feldweg begegnet war, und das Blut, das ihm noch frisch und von leuchtendem Rot die Schnauze verschmierte, war sein eigenes, aus seinem Inneren hervorgeqollen, aus einer Verletzung, die auf den ersten Blick nicht zu erkennen war. So lag es, alle Viere von sich gestreckt, auf dem Rücken, steif und kalt unter dem flatternden Pelz, der nicht mehr wärmte, die Augen abgewandt, zur Erde, den Blick festgefroren im Asphalt der Straße.

Die Glocken verstummten, ein Echo der letzten Schläge verschwebte überm Feld. Ich löste den Blick von dem Kadaver. Ein gelber Müllwagen kroch in einer Falte des Geländes unter mir herauf. Ich beachtete ihn nicht, ging weiter, eine Pfütze knirschte, ich taumelte ein wenig, ging, reckte mich und ging, und drehte mich auch nicht um, als das Fahrzeug hinter mir herannahte und in einiger Entfernung zum Halten kam, und auch, als ich erst die Tür aufgehen hörte, dann den Sprung aus der Kabine, Klappern von Metall, ging ich stracks weiter, während es hinter mir ratschte von Schaufel und Eimer, und ein dumpfes Plumpsen zu hören war. Erst auf dem Hügelkamm schaute ich zurück, da grinste die Kurve, als wäre nichts geschehen. Die Felder bleckten Eis. Die Glocken schwiegen.

In prato

Die Blicke sind da. Überall sind sie, sie stehen auf Stielen am Ende von Schritten, hocken in den Hecken, stecken verborgen hinter der brillenlosen Brandung des Waldsaums. Wo der letzte Fußfall endet und die Stimmen verstummen, da sammelt das Dunkel im Holunder sie, dort blinzeln sie hinter Gras. Manchmal raschelt es. Ein Kiesel springt. Jemand lacht. Dann ist es wieder minutenlang still, bis aufs Summen von Insekten und das Zwitschern der Vögel. Blicke. Blicke auf uns. Blicke zucken, Blicke wispern, Blicke drehen sich im letzten Moment aus dem Augenwinkel weg. Kommt jemand?
Niemand. Wir sind allein mit uns und den Blicken ringsum. Und dann fällt das Hemd, gleitet die Hose ins Gras, ein umgedrehter Hut nimmt die Brillen auf, wir sind nackt und kurzsichtig, und plötzlich ist es gleich, ob jemand kommt.
Wir ducken uns unter allem weg, was Blick heißt. Wir ziehen die Wiese um uns wie ein Tuch und machen uns klein darin, schrumpfen allen Augen davon, werden winzig hinter Mauern aus Gras, hinter Zäunen aus Sonne, und fallen, wir küssen uns, wir trauen uns.
Und dann gibt es nur noch zwei Augenpaare in der Welt, zwei Blicke, die ineinander stürzen. Wir atmen, wir fliegen, wir umhüllen uns miteinander und verkriechen uns ineinander, und die Lust trägt uns an einen anderen Ort, einen unerreichbaren Ort inmitten der erreichbaren Wiese, darin sind wir allein, allein zu zweit, zu zweit unsichtbar und und unsichtbar geborgen inmitten des riesigen Sommers der Welt.

Oscula silvatica sp.

Unter Flaggen schlafen, ruhen im Wind über Berg und Tal und Burg, in luftiger Höhe, und beim Erwachen liegt der Tag ruhig in unserer Hand. Küsse, Küsse voll Wind und Sonne. Deine Finger liegen auf meiner Brust, erst auf dem Hemd, dann unter dem Hemd, und ich sage dir, daß ich dich will, abermals will ich dich, will dich mein Leib, ich küsse dich und sage es dir, und du: “Laß uns noch einmal ein Plätzchen finden.”

Ein Plätzchen: ein Fleckchen wedelnder Sonne, ein grünes Polster, abseits des Weges. Stapfen durchs Unterholz, über Wiesen aus Springkraut, ausgerechnet, und dann war der Weg, kein Weg mehr zu sehen, und der Wald nahm uns auf in seine eigene Zeit. Eine Decke im Vorjahreslaub; nesteln am Schuhwerk, und wie du dann deine Unterhemden abgestreift hast, deine Brüste, wie sie in diesem weichen Baumlicht aufleuchteten, hellweiß abgesetzt deine Glieder in all dem Grünbraun ringsum; diese ans Erschrecken grenzenden Verblüffung, daß wir uns nackich gemacht hatten, mitten in der großen, freien Welt, der kleine Schreck dabei, und das Entzücken, der Jubel und das brennendscharfe Bewußtsein dieser Nacktheit: Wie mir meine eigene Blöße an deinem weißen Körper aufging: Herzklopfend vor Begehren habe ich mich neben dich gelegt, deinen andersnackten Leib in meine Arme genommen. Nie, noch nie, sind wir hinter Türen so nackt gewesen wie da in den weiten Hallen der Buchen, unter Rotkehlchen, Zaunkönig und Amsel, und brauchten uns nicht zu schämen.

Heimat an Flüssen

Komm, wir gehen an den Fluß.
An der Hand von Vater und Mutter den Riesenschiffen zusehen, wie sie den Strom hinabgleiten oder hinaufstampfen. Schau nur, sie haben Wäsche aufgehängt. Eine Radarantenne dreht sich darüber. Dreht sich und dreht sich, und dann ist das Schiff vorbei. Auf der Brücke, hinter den winzigen Scheiben, ist kein Mensch zu sehen. Ratlos bückst du dich nach Kieseln, geh nicht so nah ans Wasser. So viel Verlorenheit in der Kinderbrust. Auf den Kieseln hockt der Tod. Du wischst dir die Hände an der Hose ab. Es riecht, es riecht nach Fremde. Die Häuser, sind zu groß, lassen sich nicht fassen, die Fabrikfassaden, an denen der Blick sich abarbeitet, abgleitet, abstürzt. Buntes, abgeschliffenes Glas liegt zwischen den Wurzeln der Weiden. Die Möwen hängen mit traurigen Schwingen in der Luft; sie gleichen den seltsamen Vögeln, die in deiner eigenen Brust ihre verlorenen Bahnen ziehen. Warum sind diese Vögel schrecklich? Und wie wird man den Strom wieder los, dessen Ufer bis ins Kinderzimmer reichen, dessen Wintermorgen bis in die Nacht dauert, bis in den Traum. Bis zu den Vögeln in der Brust, mit ihren traurigen, verlorenen Schreien, als schrien sie noch den Möwen nach, den schwebenden Tieren mit ihren grausamen Augen.
Klein ist der eigene Schatten geworden, die eigene Dunkelheit auf den Kieseln rund um das Bunte der Gummistiefel, kleiner und kleiner, bis er in den Mittag voller harter Klänge entkommt.
Das Wasser spiegelt nichts; braun ist es und noch weniger als braun. Träge fließt es dahin, löst alle Farben in sich auf und vernichtet sie, so daß alle Ufer, das jenseitige wie das hiesige, kiesige, stromauf, stromab, tot und verdorrt scheinen.
Stampfen und Stampfen. Der Hafen drüben ein Kreischen von Rost. Endlos der Strand. Eine Brücke aus Seilen häkelt stumm an Entfernungen und Richtungen. Und doch kommt nichts vom Fleck. Alles steht. Der Nachmittag steht, die Möwen, das Wasser. Dorthin kann man nicht gehen, aber die Entfernung ist brüchig, sie hält nicht. Angst kommt in dir hoch. Am Horizont hängt Rauch und Dampf an dünnen Fabrikschornsteinen über einer Ferne, in der alles fremd ist, und die dich in ihre Fremdheit hineinzieht, bis du dir selbst fremd geworden bist, ein Fremdkörper unter fremden Dingen, der schlaffe Ball, die zerkratzte Colaflasche, die Verpackung eines Keksriegels, von deren Farben nur grün und blau geblieben sind. Fremde und verfremdete Farben. Vielleicht wußten die Möwen davon, kannten sich aus mit ihrem Fremdsein, fraßen die Fremdheit der Dinge in sich hinein. Brotrinden, Steine und Staub. Nester aus Heimatlosigkeit. Zerbrochene Muschelschalen. Sperrweite Schnäbel, abgehärtet von Schreien. Unbeirrt lag alles entfernt und zugleich so nah, daß es dich erschreckte, waren die Strecken überspannbar zu dir, bis alles in weiter Ferne bedrohlich geworden war und ins Nahe reichte, wie ein Feuer, eine ferne Flamme, schon der Anblick eine Gefahr, ein Fraß an der Seele. Fremd waren zuletzt noch deine Träume, dein Schlaf, wenn die Autobahn jenseits der Häuser gleich Flammengebraus durch die Nacht hallte, und da war es, als habe jene Hängebrücke über den Fluß alle Fernen zusammengespannt, daß kein Geheimnis mehr blieb in der Welt und die Zukunft schon angebrochen war.

5.6.2013

Heute morgen beim Laufen habe ich einen furchtbar häßlichen Gedanken gehabt, so häßlich, daß ich nicht weiterkonnte. Unter einem Baum blieb ich stehen, preßte die Hand gegen die Augen und weinte und weinte. Plötzlich war ich so allein wie noch niemals im Leben. Es gab nichts mehr, keinen Baum, kein Feld, keine Vögel, es gab nur noch mich selbst, gefangen in mir, zusammen mit meinen kleinen, häßlichen Gedanken eingesperrt, gefangen im lichtlosen Raum hinter meinen Lidern.

Dann hörte ich die Nachtigall. Das Trillern und Schnalzen kam aus einer der Sträucher nahebei, und die Welt nahm wieder Gestalt um mich her an. Ein Spaziergänger mit Hund kam des Wegs. Im Morgenlicht winkte die Straße mit ihren Bäumen. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und lauschte. Ich war wieder in der Welt, aber ein anderer. In diesem Moment verstummte die Nachtigall, oder sie hatte sich in einen anderen Vogel verwandelt. Ich griff in die Brennesseln am Wegrand, um eine andere Art von Schmerz zu spüren, oder mich zu vergewissern, daß ich lebendig sei, und dachte, daß ich gerne mein Gesicht ins Fell jenes Hundes vergraben hätte, der jetzt hinter mir um die Wegbiegung verschwunden war.

Ein Traum

Liebe, in der ersten unserer drei hellen Nächte habe ich von dir geträumt.
Du hattest empfangen von mir. Und nun ging es um die Entscheidung, solltest Du diese Schwangerschaft abbrechen oder nicht; und so fragtest du mich, ob ich dieses Kind, unser Kind, annehmen und mit Dir haben wolle. Von meiner Antwort würde alles weitere abhängen.
Und da wußte ich: jetzt. Jetzt werde ich den Kopf heben und dir lange in die Augen sehen und dir dann ruhig und bestimmt ja sagen; und noch bevor ich es aussprechen konnte, ganz in der Erwartung dessen, was ich dir gleich sagen würde, in der Erwartung dieses Ja zu unserem Kind durchströmte mich ein überwältigendes Glücksgefühl.
Dann bin ich aufgewacht. Zu deinen ruhigen Atemzügen neben mir bin ich aufgewacht und zu einem Dunkel, das sanft war und gut, und aller Geschöpfe Träume schützend in sich barg.