Schwangau (1)

Fahrt durch Wiesen, gepflegte, wie Teppiche dargebotene Flächen. Die häufigen Raubvögel, Bussarde wohl, wollen gar nicht passen zu dieser Gepflegtheit. Die Anwesen stehen auf winzigen Inseln darin. Man spart am Gärtlein, es ist knapp den die Gehöfte umwallenden Wiesen abgezwickt, Wiesen, Weiden, Heu sind wichtiger als Rosen und Hortensien.

Vermeintlich harmlos strecken diese Weiden sich, freundlich und grün spannen sie sich über sanfte Hügel, bedrängen dabei aber Forste, die sich, in die Vereinzeltung getrieben, von allen Seiten vom Offenen belagert, kaum behaupten können.

Das Land der Weiden aber ist selbst in Gefahr. Irgendwann schiebt sich eine Art Schatten ins Sichtfeld, während der Zug träge durch dieses Wiesenland rattert. Zuerst scheinen es Wolken zu sein, doch dann verdichtet sich diese Masse zum Grund hin, bis deutlich wird, das Dunkle, gegen die Wiesen Hinunterrollende gehört nicht dem Ätherischen sondern dem tellurischen Element an. Erde ist es, Hang und Grat, das nicht so sehr ins Neblige hinaufführt, als von dort, von dem Himmelssphären, langsam herabgelassen wird, bis seine Füße den Grund berühren und es dort Stand nimmt.

Man schaut und schaut, man folgt dieser mal fels- mal baumbestandenen Linie, hinauf und immer höher hinauf, wo die Gefilde des Himmels beginnen, und Land so unmöglich und dann so bestürzend doch möglich ist, daß einen ein Schwindel überkommt. Die Welt steht Kopf, wo Himmel war, steigt Erde auf, und man wendet schnell den Blick ab, um nicht dort hinaufzustürzen.

Die alte Faszination hat mich sofort wieder, wenn ich diese echten Berge anschaue. Wie oft aus dem Autofenster betrachtete geheimnisvolle Riesen, deren Reich jenseits des Genfer Sees begann — es ist ein Bezirk nicht nur der reicheren Geographie und Topologie, es ist auch ein Bezirk der reicheren Geschichten. Der Nebel überm See, aus dem auf der anderen, entrückten, nie, es sei denn, in der Phantasie, zu erreichenden Seite die ruhenden, ihre Geheimnisse hütenden Berge aufstiegen. Wie Traum und Welt ineinanderflossen und sich fruchtbar berührten zu mehr als dem dürren Augenblick, in dem eingeschlossen man über den Spiegel blickte, mit seinen Segelbooten und Schiffen, die immer nur dem diesseitigen Ufer angehörten, wie weit draußen sie auch ihre Segel entfalteten. Man brachte Geschichten mit, die von den fabelhaften, Fabel-haften, Räumen der Berge am andersanderen, am fremden Ufer neu ausgesponnen wurden, von dort weiterführten, ins Unerhörte hinein. So wie man die Reihen der Buchrücken mit einem Schauer der Erregung abegschritten war in der Kinderbibliothek. Nur daß dies keine eingerollten, verpackten Geschichten mit Anfang und Ende waren. Sondern die Räume boten für dieser Geschichten Unendlichkeiten.