(Und auch dich kennt dieser Raum durch mich, kennt uns, und von Anfang an, kennt die Knospen und Wurzeln, die ersten sprossenden Silben des Gesprächs, das uns seither bis ins Körperliche hinein verbindet. Als ich schlaflos lag und die auf mich Ruhlosen herabblickenden Bücher bat, ihre Spiegelungen auch in der Scheibe, mir von dir zu erzählen. Hier war es. Und doch war es nicht hier. Es war nirgends. Es war in der Vergangenheit eines Ortes, der seine eigene Zukunft hatte, damals, wie wir die unsere, unbekannte.)
Kategorie: Fasti
Aequinoctium
Letztes Ruder, wir leeren das Blau aus den Wimpern und Schöpfen.
Was uns der Kranichzug ließ, schreibt uns den Tag auf die Haut.
Alle Wege führen zum selben geschlossenen Zauntor.
Sterne wieviel er auch zählt, gibt sie der See nicht mehr her.
Winde bewohnen das Ufer. Im Bootshaus bechern die Wellen.
Wärme, den klammen Puls, wandelt der Knöchel in Sand.
Frohe Ostern
Aequinoctium
März und kein Dach. Die Bilder hängen im Freien, auf Koffern
hocken die Winde. Kein Ort, Zeit, wo du wärest zu Haus.
Solstitium
Spuren im Schnee, die uns folgten, wie waren wir Teil unsres Rätsels.
Einst, als noch nichts uns befahl, Teil auch der Lösung zu sein.
Aequinoctium
Nichts ging verloren. In Schwärmen zahllos, zählten den Flug, auf
Heller und Pfennig genau, Vögel den Winden ins Buch.
Solstitium
Juni, reiß mir die Hüllen vom Leib. Für Hände, die wohl tun,
selbst unterm untersten Hemd, bin ich nicht nackig genug.
Nackt und nackter als nackt noch, je mehr deine Küsse mich suchen,
bis ich so durch mich hindurch käm bei mir selber heraus.
Aequinoctium
Schlauer der Hochsitz am Abend, er lieh sich vom Dunkel die Augen.
Rehe, die Retter der Nacht, suchten geblendet den Schuß.
Alles auf Null
Dämmrung, wägend die Hälften widersprüchlichster Wahrheit.
Fremd auf zweierlei Art; nirgendwo geht es nach Haus.
Heilige Nacht
Vor dem Gelände, auf dem die Esel gehalten werden, hat eine Familie mit zwei kleinen Kindern eine Kerzenlaterne abgestellt. Der Mann schraubt eine Flasche zu, die Kinder scheinen etwas in den Händen zu halten, ich nehme an, sie füttern die Esel. Aber kein Esel ist zu sehen. Die Futterkrippe ist leer. Die schwarze Bremsenfalle steht da wie eine hohle Ritterrüstung. Eine offene Tasche lehnt neben der Laterne am Maschendrahtzaun, und als ich vorbeigehe, stimmt eins der Kinder ein Liedchen an, Alle Leut, alle Leut, gehen jetzt nach Haus. Alle Leut, alle Leut, immer wieder von vorne. Kurz darauf fängt es an zu regnen.
Solstitium
Weiter immer im Klang, als übten die Bäume das Atmen,
kämen sich selbst zu Gehör, dämmernd, in Chören ein Chor.
Abend; im Auftrieb des Dunkels schwebend die Pulse der bleichen
Larven. Im blinden Fleck tauschen die Schatten ihr Tuch.
Schneller und schneller die Zeit, das lippensiegelnde Dunkel.
Rasch notiert noch der Schnee, was auf den Rand nicht mehr ging.
Aequinoctium
Mittag, ermattetes Feld. gestohlenes Licht von den Höfen.
Zeichen, in Staub geritzt. Falken, Fermaten des Winds.
Felder, ein Zögern von Vögeln, wie rückwärts gesprochene Wörter.
Mittags, im fliehenden Schwarm, löschten den Anfang sie aus.
Hufschläge, langsamer jetzt, ganz nahe, hinter der Hecke.
Zeit, die sich selbst überrascht: Silben, aus Später geschöpft.
Solstitium
Stille, Rückwand des Regens. Die Stunden suchen den Anfang.
Wo es schon tagt auf der Haut, hüten die Küsse den Schlaf.
Aequinoctium
Vorjahrsnester am Baum, eine Rast den grübelnden Winden:
Schenken aus leerer Hand reichlich vom Fundus der Zeit.
26.2.2021
(Vollmond vom 26.2.2021, 19:55, 51° 11′ N, 7° 12′ O.)
Solstitium
Steine schluckten den Wind. Zum Grund zieht der Bachlauf die Wolken.
Nacht strömt ein, im Gezweig retten sich Vögel an Land.
Letzte Schritte im Laub. Das Lauschen der Spinnen im Holzstoß.
Aufgehängte Luft, Pein, die ein Glockenschlag löst.
Schwingen, beherztere Namen der Stille, sie ließen die Stunde
wie sie am Boden vergeht, Lidschlag um Lidschlag zurück.
Hl. Katharina
“Sankt Kathrein stellt den Tanz ein”. Auf dem Gartenkalender (eine Fundgrube für hergebrachtes Kalender-, Bauern- und Jahreszeitenwissen) lese ich, daß traditionell am 25. November die Vorweihnachtszeit begann. Vorweihnachtszeit war Buß- und Fastenzeit, gesellige Veranstaltungen hatten ab dem 25. November aufzuhören. Legt die aktuelle Weltlage nicht nahe, statt in Glühwein, Geklingel, Lebkuchen, Lichterketten zu schwelgen, solches Brauchtum wieder aufleben zu lassen und die Vorweihnachtszeit ihrer ursprünglichen Funktion der Erwartung, Reinigung und stillen Einkehr zuzuführen?
Martin
4 (1) Interea irruentibus intra Gallias barbaris Iulianus Caesar coacto in unum exercitu apud Vangionum civitatem donativum coepit erogare militibus, et, ut est consuetudinis, singuli citabantur, donec ad Martinum ventum est. (2) tum vero oportunum tempus existimans, quo peteret missionem – neque enim integrum sibi fore arbitrabatur, si donativum non militaturus acciperet -, hactenus, inquit ad Caesarem, militavi tibi: (3) patere ut nunc militem Deo: donativum tuum pugnaturus accipiat, Christi ego miles sum: pugnare mihi non licet. (4) tum vero adversus hanc vocem tyrannus infremuit dicens, eum metu pugnae, quas postero die erat futura, non religionis gratia detractare militiam. (5) at Martinus intrepidus, immo illato sibi terrore constantior, si hoc, inquit, ignaviae adscribitur, non fidei, crastina die ante aciem inermis adstabo et in nomine Domini Iesu, signo crucis, non clipeo protectus aut galea, hostium cuneos penetrabo securus. (6) retrudi ergo in custodiam iubetur, facturus fidem dictis, ut inermis barbaris obiceretur. (7) postero die hostes legatos de pace miserunt, sua omnia seque dedentes. unde quis dubitet hanc vere beati viri fuisse victoriam, cui praestitum sit, ne inermis ad proelium mitteretur. (8) et quamvis pius Dominus servare militem suum licet inter hostium gladios et tela potuisset, tamen ne vel aliorum mortibus sancti violarentur obtutus, exemit pugnae necessitatem. (9) neque enim aliam pro milite suo Christus debuit praestare victoriam, quam ut subactis sine sanguine hostibus nemo moreretur.
Inzwischen waren Barbaren nach Gallien eingefallen, und nachdem Kaiser Julian das Heer an einem einzigen Ort bei den Vangionen zusammengezogen hatte, befahl er, einen Extrasold für die Soldaten auszuzahlen. Wie es üblich war, wurde jeder einzeln aufgerufen, und so kam die Reihe auch an Martin. Da dachte dieser, daß nun die Gelegenheit gekommen sei, um seine Entlassung zu erbitten, denn er hielt es nicht für anständig, den Extrasold ohne die Absicht anzunehmen, weiterhin als Soldat zu dienen; und so sagte er zum Kaiser: „Bis heute habe ich dir als Soldat gedient; erlaube mir nun, als Soldat Gott zu dienen. Dein Geschenk mag annehmen, wer für dich kämpft, ich aber bin ein Soldat Christi, ich darf nicht mehr kämpfen.“ Da wurde aber der Kaiser zornig über diese Worte und entgegnete, daß jener nicht aus Gründen des Glaubens, sondern nur aus Furcht vor der Schlacht, die am folgenden Tage stattfinden sollte, aus dem Wehrdienst ausscheiden wolle. Doch Martin blieb angesichts der Drohung nur umso standhafter und entgegnete unerschrocken: „Wenn du meine Entscheidung der Feigheit, nicht dem Glauben zuschreibst, so will ich morgen ohne Waffen mich vor das Heer stellen, und im Namen des Herrn Jesus werde ich, ohne Schild oder Helm, nur mit dem Schutz des Kreuzzeichens, unbeschadet durch die Reihen der Feinde schreiten.“ Der Kaiser ließ ihn in Ketten legen, damit er zu seinem Wort stehe und sich unbewaffnet dem Feind entgegenwerfe. Am nächsten Tag aber schickten die Feinde Unterhändler, die um Frieden baten, und ergaben sich und all ihren Besitz. Wer könnte nun anzweifeln, daß dieser Sieg wahrlich der eines glücklichen Mannes war und ein schönerer Ausgang, als wenn er unbewaffnet wäre in die Schlacht geschickt worden. Natürlich hätte der fromme Herr auch dann seinen Soldaten vor den Schwertern und Lanzen der Feinde bewahren können. Aber damit die Augen des heiligen Mannes nicht durch den Tod anderer verletzt würden, nahm er die Notwendigkeit der Schlacht hinweg. Denn zu keinem geringeren Sieg mußte Christus seinem Soldaten verhelfen, als zu einem, bei dem die Feinde ohne Blutvergießen bezwungen würden und niemand sterben müßte.
(Sulpicius Severus, Vita Sancti Martini, 4)
Aequinoctium
Lange noch übte die Zeit; nun folgt sie den Spinnen ins Röhricht.
Bäume, die Schatten voll Ernst, nahmen die Prüfung ihr ab.
Solstitium
Als wir noch träumten vom Küssen, umstellten schon Uhren das Lager.
Zahllos die Küsse im Traum, zählt sie die kürzeste Nacht.
Küsse, gleich Wild in der Dämmerung, scheu vor den lärmenden Stunden.
Welche vorm Licht nicht geschenkt, flohen ins Dunkel des Traums.