Monat: Mai 2013
30.5.2013
Ein plötzliches Aufschießen von Meisenstimmen verklingt ebenso schnell wieder, wie es aus dem Schweigen hervorgeplatzt ist, als wäre die Stille dieses Feiertagmorgens zu viel, zu mächtig, böte in der Dichtigkeit ihres Gewebes zu großen Widerstand, um sie länger als ein paar Takte Gezwitscher aufzuhalten. Die Stimmen erlahmen, die Geräusche verzagen. Selbst die Kirchenglocken probieren nur ein paar schwache Schläge, schweigen gleich wieder. Kein Fahrzeug, keine Motoren, keine Türen; jedes leise Geräusch klingt eingeschüchtert, hört sich selbst zu, findet sich zu laut, verstummt. Selbst der Wind geht auf Zehenspitzen. Versuche eines Morgens, wach zu werden. Selbst die Farben liegen verschämt umher, als hätten sie’s allzu bunt getrieben in der Nacht, als sie doch alle grau waren. Vielleicht haben sie zu vorwitzig geträumt. Zu guter letzt faßt sich der Buchfink ein Vogelherz und singt dem Morgen Mut zu.
18.5.13
An den Rändern des Morgens blüht Lärm auf. Unerreichbar für die Schärfen des Außen, singt die Stille im Innern. Es ist ein Schweigen, das in sich selbst eingesunken ist. Dann: Einen Morgen lang schlugen die Glocken. Ich aber wünschte mir Laternen, die Dunkelheit verbreiten. Alle Wege führen zurück zum Ich. Daß ich ich bin und nicht du, das scheint mir die Quelle allen Schmerzes. Ich will mein Ich wegschreiben, bis es mir nicht mehr im Weg ist, bis es mich nicht mehr hindert zum Du. Die Ströme tragen Silber und Laub. Kein Weg führt je ganz zu dir. Wir gehen im Wir niemals auf.
Gruß
7.5.13
Zuviel draußen umhergetollt, Zug bekommen, zulange aufgewesen, jetzt zu früh raus: Heute ist das Licht erkältet. Müde blinzelt es übern Hang, mit verquollenen Augen, fröstelt und trägt einen Schal. Leise hüstelt es in den Bäuschen des Löwenzahns. In Fieberschauern krümmt sich die Wiese.
Der Himmel hat sich zusammengezogen, darin zappeln die Vögel, wild wie Fische im Netz. Die Mauersegler schrammen über Innenräume aus Luft. Im Morgengrauen zertritt der Rotschwanz einen Berg Töpferscherben.
6.5.13
Alles, was spät war gestern, hat sich in Frühe verwandelt. Alles, was alt war und müde, ist jetzt jung und wach. Das Licht zieht sich selbst am Schopf aus dem Wald. Am Grund der Straßen klebt noch ein Film Dunkelheit, eingetrocknet wie Spuren von Wein im nächtlichen Glas. Träume wackeln auf den Grasspitzen. Der Morgen blinzelt, die Birken recken die Glieder. Liebe, alles spricht von deinem Schlaf.
5.5.13
Mauersegler ritzen ihre Stimmen ins Blaue des Schlafs, wickeln Träume aus Wasserpapier, rufen nach steinigem Licht. Später begibt sich der Buchfink an die Arbeit. Die Stunden tanzen nach seinen Strophen. Der Morgen ist für niemanden prachtvoll außer für sich selbst, ist für niemanden da, enthält sich selbst. Die Straßen: entleert. Die Häuser: in blindem Schlaf. In den Bäumen hocken Geheimnisse der Nacht. Die Welt ist bei sich. Darin erheben die Vögel ihre Stimmen. Sie kennen den Sinn von allem. Aber sie verraten ihn niemandem, singen ihn nur einander zu.
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Ich wünsche mir, daß es eine Seele gibt.
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Die schlechten Gedanken auslösen mit den guten. Nicht: sie verdrängen. Sondern, was du allzuoft gedacht und durchdrungen hast, bis es dir so weh tat, daß du dir selbst fremd wurdest, eintauschen und einlösen gegen die, in denen du dich wiederfinden und wohnen kannst. Nicht du bist der Gefangene deiner Gedanken; die Gedanken sind deine Gefangenen. Du hast lange genug unter ihnen gelitten; mach die Tür auf, schick sie fort, laß sie frei.
4.5.13
Der Morgen rumpelt. An Ketten schleppt sich die Zeit dahin. Die Straßen haben den Husten. Spaten um Spaten stopfen Männer Licht in Gruben. Rohrstümpfen lassen Münzränder klimpern. Kabelenden kitzeln die feuchte Erde. Aus geborstenem Stein springen die geschliffenen Flächen von Krach. In Speichen und Naben schlägt die Sonne ein Rad.
Gruß
3.5.13
Das Gewebe des Morgens, zusammengehalten von den Stimmen der Vögel. Fransen aus Licht. Brüchige Stellen. Die Hügel, baumauf, strauchab geflickt und in Lumpen. Ein lachender Bettler, so läßt der Berg sich von den Straßen aufhelfen, auf dem Kopf eine wackelnde Krone aus Brombeer und Schlehenweiß.
2.5.13
Blaue Fernen in der Brust. Der Morgen voll Lerchen und Lärchen. Gefiederte Traurigkeiten, Farben von Lärm. Kein Lager, kein Feuer. Die Wege flattern an Stangen. Tage. Tage, wie eine schwere Last auf der Lunge. Wie soll man so viele Tage atmen? Der Morgen raucht. Stumm, ein Steinbruch von Worten.
Zum ersten
Der erste Morgen.
Das erste Licht.
Der erste Strom.
Die ersten zwei.
Die ersten zwei.
Der erste Vogel.
Die erste Ferne.
Das erste Brot.
Die erste Blume.
Die ersten Hände.
Der erste Blick.
Die ersten zwei.
Die ersten beiden.
Der nächste Kuß.