Froh, wer sich selber zum Freund hat! Doch hab ich, was jenem noch fehlte:
Ganz mit mir selber genug, bin ich mein eigener Feind.
Schlagwort: Epigramme
Aequinoctium
Dunkel von Glocken halten die Türme die Ferne. Zum Abend
gehn sie an Zeigern ins Land, bringen die Ziffern nach Haus.
Solstitium
Abzählbar ruhen die Stunden in Palimpsesten der Amsel.
Rückwärts strömendes Licht bringt alle Spiegel nach Haus.
Noch einmal sieht der Tag nach dem Rechten ringsum in den stillen
Räumen. Wächter des Jahrs reichen die Schlüssel der Nacht.
Aequinoctium
Unter dem Sägeblatt stirbt der Schatten im Mittag der Bäume.
Tief in den Gründen des Tals graben die Bagger nach Licht.
Aequinoctium
Wo wir einst gingen, weben die Spinnen das Ufer, der Spiegel
Schenkt uns, verwandelt ins Jahr, freundlich die Tage zurück.
Küsse schmecken die Zeit, unter Blättern schlummern die Tage;
tief in der Tasche die Nuß träumt vom vergangenen Jahr.
Wo wir einst gingen, bevor wir uns kannten, vor Jahren und Tagen:
Dort, im ewigen Herbst, wandeln die Flüsse im Schlaf.
Solstitium
Oft in den dunkelsten Tagen bist du zum Traum mir geworden,
daß hinterm Blendwerk der Zeit schien mir dein liebes Gesicht.
Täuschen kann uns die Zeit, doch nimmer kann es die Liebe:
Heut in der hellsten Nacht, wurde der Traum mir zum Du.
Aequinoctium
Himmel, geklemmt zwischen Wein, über Steine klettern die Burgen.
Wo deine Braue beginnt, öffnet die Ferne den Tag.
Höher greifen die Türme, entziffern die Gleichung der blauen
Säume des Morgens, vom Feld holen die Wege den Lenz.
Mühlen gründeln im Tal, im Rucksack meutern die Karten,
Hügel holen den Fluß zwischen den Büchern hervor.
Nie ist es weit zu den Schiffen, der Abend hält schon die Lampe.
Wo deine Braue beginnt, schließt sich die Ferne im Kuß.
Solstitium (L. vermissen)
Lang ist der Tag ohne dich, ohne dich noch länger die Nächte:
Nun in der längsten Nacht bist du am längsten nicht da.
Solstitium
Mehr, als zu Leben geht, Erinnerungen, so
So viel an Leben gelebt: Mehr, als Erinnerung geht.
Aequinoctium
Immer von weit aus verschlossenen Räumen die Glocken des Abends
tönen von dort, wo je lehnten die Türen am Licht.
Nah ist sonst alles. Die Türme, die Mauern stehn nah und die Straßen,
nah ist der Baum und das Schild, Wege sind nah und ein Pfad
führt vom nahen ins nächste. Nah ist dein eigener Atem,
nah, was du ißt und trinkst, nah dir die eigene Hand.
nah sind selbst noch die Boten. Wohin du auch gehst, es ereilt dich,
daß du dir selbst bist so nah, daß du dir niemals entgehst.
Fern nur, das wären: Geschichten. Begegnen dir selber, das willst du,
nah sein, dem, der du warst: Fern, wie Erzählung dich hat.
Dort, wo alles dich kennt, wirst du stapfen, wenn hinter den Glocken
leuchtet, was einst dich enthielt, fern wie von Frauen ein Blick.
Solstitium
Stramm stehn die Uhren. Im Gleichschritt gehn Weiser und Weg. Unter Vollzeug
segeln die Fahnen vorm Tag über die Stunden hinaus.
Schon stehn die Schalter auf an, sind die Bücher am Ende, entschlossen
trampeln die Schuhe dahin. Schnell ist der Tag, pfeift die Nacht
jählings um Säulen und Draht, wo kreischend die Straßen ins morgen
düsen, auf Anfang getrimmt. Alles, was Zahl heißt, rast los.
Haarig (Martial II, 62)
Quod pectus, quod crura tibi, quod bracchia uellis,
quod cincta est breuibus mentula tonsa pilis,
hoc praestas, Labiene, tuae — quis nescit? — amicae.
Cui praestas, culum quod, Labiene, pilas?
Daß du die Brust epilierst und zupfst dir die Arme und Beine;
daß ums rasierte Organ schmiegt sich aus Stoppeln ein Kranz,
wer weiß es nicht?, Labienus, das bist du der Freundin wohl schuldig.
Wem aber schuldest du’s wohl, daß du den Arsch dir rasierst?
Martial I, 73
Nullus in urbe fuit tota qui tangere uellet
uxorem gratis, Caeciliane, tuam,
dum licuit: sed nunc positis custodibus ingens
turba fututorum est: ingeniosus homo es.
Nirgends in Rom, stadtein und stadtaus, gab es einen, der hätte,
Caecilianus, für lau anfassen wollen dein Weib,
als du’s erlaubtest. Nun zur Bewachten in riesigen Scharen
strömen die Freier herbei. Das ist ein Mann mit Ideen!
Da dieser Beitrag sehr häufig gelesen wird, hier eine Warnung. Die vorliegende Übersetzung ist sehr frei, noch dazu metrisch, und dann kommen so komische Wörter wie “Freier” und “Weib” vor. Daher ist der Text als Lösung für Schulaufgaben nicht zu gebrauchen.
Aequinoctium
Aber den grünen Terminen des Regens Bestimmte! Die Algen
quer überm Blick, den ein Kuß schwimmend vor Nässe enthebt
seiner verschüchterten Pflicht. Und so, ohne Sicht, die entmündigt,
wuchst du zu uns, wo der Mut Münder gebrauchte zum Mund.
Diaulus
Chirurgus fuerat, nunc est uispillo Diaulus:
coepit quo poterat clinicus esse modo.
Ehemals Feldscher, verdingt sich Diaulus fortan als Bestatter.
Beugt er sich jetzt übers Bett, pflegt er sein wahres Talent.
(Mart. 1,30)
Nuper erat medicus, nunc est uispillo Diaulus:
quod uispillo facit, fecerat et medicus.
Neulich war er noch Arzt, neuerdings ist Diaulus Bestatter.
Was als Bestatter gelingt, glückte ihm auch schon als Arzt.
(Mart. 1,47)
Solstitium
Bis an die Farbe des Wegs, und zum Monat mit Tagen und Talern,
schmeckt es nach Aufbruch. Am Eis, längs eines Saumpfads am Sturm,
wächst eine Stunde sich fest. Wo grad ein Läuten noch fortrief,
halten die Jahre jetzt an, halten die Grenze zum Wort.
Aequinoctium
Blau war von je der Name des Monds, blau hießen die Stunden,
die unterm pflaumigen Blick Wolken mit Jahren versehn.