Nach dem Warten

Singula quid referam? nil non laudabile vidi

Nach dem Warten: Computer runterfahren, Fenster zumachen, noch ein Schluck Wasser. Tief durchatmen. Tür abschließen. Gang, endlos langer Gang. Glastür. Herzklopfen. Treppenhaus, noch eine Glastür, noch mehr Herzklopfen. Das Foyer. Verschwitzte Hände, trockener Mund. Zittrige Beine. Hastiger Abtastblick von Gesicht zu fremdem Gesicht. Da: Du. Du von weitem. Du näher. Du ganz nah.
Dein Lächeln. Neu, so neu, und ich erschrecke darüber, wie wirklich Du in Wirklichkeit bist, als hätten sich alle meine Gedanken an Dich (der letzte vor dem Einschlafen, der erste beim Erwachen) mit einem Mal als falsch und andirvorbei erwiesen; nein, leuchtet es mir plötzlich ein, so bist Du ja in echt. Und es schmerzt mich zu sehen, daß Du so viel schöner bist, als ich mir Dich, solange Du fern warst, in Erinnerung rufen kann, übersteigend schön. Plötzlich sind nicht drei Wochen, sondern Monate vergangen.
Ich setze mich neben Dich, die Worte bröckeln, kantig und zittrig, versperrt in der Kehle liegend, und während sich der Herzschlag langsam beruhigt, beginnen wir, uns unsere eigene Sprache wiederzuerfinden und wiederzuschenken … langsam öffnen sich die Tore zu einem herrlichen, viel zu rasch dahinrollenden, viel zu früh wieder schrumpfenden Spätsommernachmittag.
Ein Nachmittag, der erst lange vorbei sein muß, ehe Worte ihn erfassen, und rückblickend neu erschaffen können.

Warten

Denken: Nur nicht. Träume aus dem Fenster lehnen: Nein, der Himmel ist zu voll mit Himmel, der Silberahorn mit unerträglichem Silber, die Wege sind Wege und zappeln, die Sträucher kitzeln mich. Alles Träumbare ist schwer und nimmt mir den Atem. Nachdenken: Neinnein. Habe mich schon müdegedacht.
Ich blicke auf die Uhr: Halb elf. Noch zwei Stunden. Wie soll ich, wie soll ich. Das durchstehen. Schreiben, vielleicht, schreiben hilft immer. Fast immer.
Wasser trinken. Luft holen.
Eine halbe Stunde später. Ich schaue wieder auf die Uhr.
Fünf nach halb elf.
Ich werde verrückt. Ich werde auf der Stelle verrückt —

Claudia

Ich bin traurig und du fehlst mir; dein Fehlen ist ein lautes Klagerufen und hängt, schwarzes Flattern von Gebetstüchern, in allen Bäumen. Ich möchte nur, daß du da bist und ich dich anschauen kann, schweigend. Und ich fluche auf die Welt, daß selbst dieser kleine Wunsch zu groß ist für sie.

Gestern dachte ich schon, daß es vorbei sei: ich hatte mich müdegefühlt, dachte ich. Du entglittest mir. Ich dachte: es geht auch ohne dich.

Heute ist alles wieder schön und zum Weinen. Ich denke daran, daß uns ein ganzes Leben trennt, unüberbrückbar viele Jahre. Abschiedslärm und schwarzstrickende Auswegslosgedanken sind laut in mir, um mich, fesselnd meine Hände und Füße, meine Schultern verkrümmend, ein Gewebe, so dunkel, daß ich kaum darunter atme.

Einmal kommt ja der Tag, wo alles zerbricht. Ob ich mich entschieden haben muß oder etwas für mich entscheidet, eines wird der Fall sein. Ich wünsche mir, daß es so ausgeht, daß dieser Sommer in meiner Erinnerung schön bleiben wird und ein helles Licht über deinem wiedergerufenen Antlitz liegt.

Tage, nachher (20.8.2004)

Da ist der Ort, umspannt von jungem Ahorn, so früh noch sonnenlos, noch kühl. Radspuren liegen um ihn herum, die sich mit Regenwasser gefüllt haben. Plastiktüten, Flaschen, Zeitungsreste, die von lachenden Stimmen und ruhenden oder feiernden Menschen erzählen, quellen aus dem Mülleimer; Spuren von gestern, Menschen waren hier, haben gelacht und getrunken und gesungen, und wußten nicht, an was für einem hohen Ort sie leichtfertig saßen. Meine Schritte sind noch ganz allein auf der Welt, als ich mich nähere. Leer sind die Wege, die Schatten still, die Morgensonne ungestört. Hier müßte ich jetzt nach links. Ich werde langsamer, drehe den Kopf nach dem Ort hin und meine Füße folgen der Wendung. Vor der Bank bleibe ich stehen. Ich starre das verquollene Holz an, als vermöchten meine Blicke dich jetzt dorthin zu zaubern. Dort saßest du, wirklich und wahrhaftig. Der Ort ist einsam, nicht, weil keine Menschenseele zu sehen ist; nicht weil du hier jetzt nicht bist, sondern weil du hier einmal warst. Ich beuge mich vor und lege die Finger auf das Holz, dort, wo deine Wärme es berührt hat. Es muß doch noch etwas da sein von dir. Es erscheint mir unfaßbar, daß sich das Holz nicht mit Wonne an dich erinnert und etwas von dir aufgehoben hat, um es mir jetzt zu schenken. Damit ich mich daran wärme, bis wir uns wiedersehen. So wie mich der Klang deiner Hand auf meiner Brust, auf meinem Arm, auf meinem Finger tröstet und nachts wachhält. Aber entweder ist der Ort grausam und will nicht, oder er konnte es nicht. Oder der Regen spülte deine Wärme fort von hier, der Wind trug die Erinnerung an dein Lachen davon, die Dunkelheit stahl, was vom Licht deiner Blicke hier vielleicht liegengeblieben war. Meine Finger berühren feuchtkaltes Holz. Ein Zeitungsfetzen raschelt. Über mir rühren sich die Zweige.

Morgen gehe ich einen anderen Weg, nehme ich mir vor, und weiß doch ganz genau, daß ich morgen wieder hier vorbeigehen, wieder die Hand auf das Holz legen, wieder dich oder den Nachhall von dir suchen werde.

Am Morgen nach der Begegnung, 18. August

Messe Wasser mit der Kaffeekanne ab, stelle die mit Wasser gefüllte Kanne auf die Heizplatte der Kaffemaschine, gehe in mein Zimmer und warte gedankenverloren. Nach zwei Stunden Grübelns erinnere ich mich an den Kaffee und ziehe eine Kanne heißen Wassers aus der Maschine. Irgendwas stimmt nicht. Ach so. Ich zähle Kaffeelöffel in den Filter, eins, zwei, drei … als der Filter voll ist, bin ich bei 28. Na gut, ich wollte schon immer mal wissen, wieviele Kaffeelöffel in so einen Filter passen. Das wäre dann also experimentell bestimmt. Dann 20 Löffel wieder herausgeschabt und das Wasser in die Maschine gegossen, das sich, explosionsartig erwärmt, mit Geräuschen, die an den Zahnarzt erinnern, durch die Schläuche preßt. Bleibe diesmal vor der Maschine stehen, bis das von Geräuschdesignern entklungene Gegurgel mir anzeigt, daß alles durchgelaufen ist. Schalte die Maschine aus. Hole mir eine Tasse aus dem Schrank. Entnehme den Kaffeepott der Maschine, zögere. Was wollte ich noch gleich? Ach ja, Kaffee machen! Öffne die Klappe der Wasserzufuhr und gieße den Kaffee in die Maschine. Beklommenes Starren in das ölige Dunkel des Wasserbehälters. Der Meßschwimmer steht in der schwarzen Flüssigkeit auf „3“. Ich löse den Blick und beäuge argwöhnisch die immer noch leere Tasse. Irgendetwas stimmt hier doch nicht. Aber was?

Man sollte Liebenden nicht die Handhabung komplexer Maschinen überlassen. Zumindest nicht unbeaufsichtigt.

Zwei Stunden später: Habe mir in einem Aquariumsgeschäft einen Gummischlauch besorgt. Tauche den Schlauch in die Maschine und den Kaffee, sauge an, gehe mit dem Schlauch an den Lippen und der Zunge in der Schlauchöffnung in die Hocke, wechsle Zunge mit Daumen und tauche dann rasch das Schlauchende in die auf dem Boden stehende Tasse, so daß die Erdanziehung die Flüssigkeit auf dieser Seite des Schlauchbogens nach unten aus dem Schlauch heraus und infolge des bekanntlich in der Natur herrschenden Horror Vacui auf der anderen Seite scheinbar im Widerspruch zu aller Erfahrung durch den Schlauch nach oben und so aus der Maschine durch den gebogenen Schlauch in die auf niedrigerem Energieniveau ruhende Tasse strömen läßt. Zufrieden, in meinem angeknacksten Zustand die Naturgesetze so trickreich zu meinem Vorteil genutzt zu haben, schlürfe ich den mit einem nur ganz leichten Plastikaroma verfeinerten Kaffe.

In meiner derzeitigen Gefühlsverfassung ist ein Teebeutel vielleicht die bessere Wahl.

Ach, Claudia, was machst du nur mit mir?

An Claudia. Sonntagnachmittag

Ich setzte mich in den Park zwischen die Wege, auf denen Du ein paar Tage vorher gegangen warst, und suchte das Licht nach Deinen Spuren ab, das Gras, ob es sich nicht an Deine Füße, die Mehlbeeren und Birken, ob sie sich nicht erinnerten, daß ihr Schatten an jenem Sommermorgen Deine Schultern, Dein Haar gestreift hatten. An jenem Tag, da Du auch nach mir Ausschau hieltest, wie ich jetzt Deiner vergangenen Anwesenheit, Deinem Hauch nachlauschte. Ein Kieselstein war fortgerollt, ich sah es genau; hatte Dein Fuß ihn berührt? Irgendetwas mußte doch noch da sein von Dir, ein kaum zu erahnender Widerstand gegen das Licht, eine Einkerbung und Spur in den Sonnenstrahlen, die Dein Körper oder Dein Gedanke in den Raum gefurcht hatte. Oder vielleicht ein Duft von Dir, schwebend über dem Staub und schwer zu zerwehen.

Ach, könnte ich selbst eine Spur für Dich hinterlassen und in diesen lichstimmenvollen Sonntagmittag legen. Daß Du mich merktest, wenn Du das nächste Mal in den Park kämest: Einen Schweißhauch, ein Atemgeräusch, ein Augenzwinkern, gespiegelt in einer Pfütze; oder daß meine Gestalt sich der Luft aufpräge und Du mich streifen würdest und fühlen, wie Du durch die allerleiseste Verwirbelung gleitest. Und daß Du etwas dagebliebene Sehnsucht aus meinen suchenden Augen auffingest.

Oder aber in einen Baum wollte ich mich verwandeln, in den Gliedern keine andere Sorge als um Wasser und Sonne, und manchmal die Wonne des leichten Erderzitterns, wenn Du unter meinen Zweigen vorbeikämst. Was für ein Baum würde ich? Ein Ahorn mit seinem frühen Blühn und den gelben Dolden, von den Amselherolden angekündigt? Eine milde Birke, schlank, schön und die Helle zwischen ihren Blättern hin und her werfend? Oder aber eine dunkle Eibe, die der, die in ihrem Schatten schläft, Träume aufgibt und Rätsel.

An Claudia

Du bist fort, und es ist etwas von diesem Sommer abgezogen, was ihn so viele Wochen lang herrlich machte. Leer ist nun das Getöse des Winds in den Pappeln, leer die Geschäftigkeit der Menschen, leer und ohne Hoffnung das Gehen, das Stehenbleiben, das Denken, das Betrachten. Die Luft selbst ist ohne Widerstand, das Licht wird von ihr nicht getragen, es gleitet kalt durch das Blattwerk, glitzert auf den Gewitterpfützen, ist schon verloren, lange, bevor es Abend wird. Ach, Claudia, wie kann es sein, daß du alles in deinen Händen hieltst? Daß aus deinem Wirken und bloßen Dasein ein ganzer Sommer enstand und wuchs und leben durfte? Ohne dich bleibt nur eine Hülle aus Sonnenschein, eine abgestreifte Haut Wind, eine Maske Blütenduft. Es ist August, aber dieser Monat ist nur noch Rest. Vor dem Herbst und dem Dunkel, das ohne dich und das Hell deiner Augen und die Stütze deines Scheitels zermalmend schwer sein muß, vor diesem Dunkel graut mir. Ach, Liebste …

24. An Claudia

Wieder festlicher Sommermorgen, mit verspieltem Laub, trockenem Staub auch überall, trotzdem frischklare Luft. Ich öffne die Jalousien im Büro, und der Tag drückt sich in all seiner Größe und Helle herein. Ich will mich freuen. Mein Herz setzt an, zu jubeln. Aber es stimmt nicht, und das Blausein da draußen, die schlummernde Wärme, die Kühle am Fuß der Bäume, es lähmt mich das alles. Es lähmt mich das viele viele Licht. Dieser Sommer ist so spät, daß er mir fremd und verwirrend in den Händen liegt. So seltsam, daß er wie sein eigener Nachhall ist.

Heute. Heute noch einmal, Claudia. Dann kommt das Schweigen. Und vielleicht auch das Vergessen. Ein Sommer weniger. Wieder einer vorbei.

22. An Claudia

Heute Morgen Nebel und dieser feine, würzige, manchmal ins Modrige umschlagende Geruch in der Luft – Brand, Feuchtigkeit, Laub, Straßennässe, Erde –, der schon den Herbst ankündigen will. Es riecht nach Fülle und Frucht und nach Verschwendung. Doch in der Fülle liegt schon der Verfall eingekapselt, und das feingestreute, weiche Licht, keine Sonne, klingt schon nach Abschiednehmen, nach Erinnern, nach Schweigen, das noch zittert von eben verklungenem Lärm. Rabenschreie von unsichtbaren Körpern in den Bäumen erzählen von Dingen, die unwiederbringlich vorbei sind. Es sind keine Geschichten; es sind viel mehr reine Augenblicke des unbewußten Glücks, und daß sie eben vorbei sind, so oder so, das ist das traurige. Was immer auch folgen wird, Jubel oder Schmerz: das, was einen Sommer lang leben hieß, das ist schon nurmehr Erinnerung und Gewesenes. Einen Augenblick tue ich noch so, als sei ich noch mittendrin. Aber ich weiß doch schon, daß ichs nicht mehr einholen kann, und auch nicht verhalten, verzögern, verlängern. Wie auch immer diese Geschichte weitergehen wird, und welche Rolle du, Claudia, darin spielen wirst: unsere Sommergeschichte, wenn man es so nennen kann, ist zu Ende. Ehe du noch weißt, daß es für mich eine Geschichte war.

21. An Claudia

Und noch ein Tag Sommer: Riesige Menschenschatten wandeln über die Plätze, das Laub der Bäume ist still, die Flächen des Betons strecken sich. Die Scheiben des Uni-Centers blinzeln in die Sonne. Irgendwo ist noch eine Pfütze vom letzten, schon vergessenen Regenguß liegengeblieben und spiegelt einen Himmel voll Laub wider. Der eigene Schatten fällt überlang aus dem Schatten des Ahorns. Die Insekten sind träge von der Nachtkühle. Mit ihren krummen Bahnen spannen sie Räume unters Gezweig. Es ist überall Licht, teils versteckt, teils offen leuchtend, teils gerade, teils verwinkelt, hier in Stücken und Flecken, dort herrlich über eine Straße hingegossen, Licht, das sich die Schatten zurückerobert, und so eines, das wir gestern abend noch für unmöglich erklärt hätten.

Gestern sind wir hier noch gegangen, Liebe, ja, gestern wars. Wir sprachen. Wir lachten. Du berührtest mich am Arm. Wir gingen. Wir blieben stehen. Du so entspannt und ganz du und voller ausgelassener Gelassenheit und Freude an allem. Ich ganz Aufschub, Hinhalt, Verzögern. Dich noch länger, noch eine weitere Minute, sehen und beimirhaben. Nur noch eine Minute, ehe du dich, schon weiter, schon abgewendet, verabschiedest, schon verabschiedet hast von mir und dich aus mir löst und fort bist für ichweißnichtwielang. Nur noch diesen Augenblick. Und dann noch einen und noch einen.

17. An Claudia (6.7.2004)

Heute morgen ist der Himmel ungewohnt tiefblau. Festliches Sonnenlicht hängt in den Bäumen. Schatten spreizen sich träge und schlaftrunken in Höfen und unter Hecken. Die Menschen scheinen langsamer zu gehen als sonst, als hätten sie mehr Zeit heute, und obwohl ihre Mienen mürrisch sind, können sie nicht verhindern, daß das aufgehende Licht in ihrem Auge blitzt. Als achteten auch Motoren und Getriebe das Fest dieses Morgens, sind die vielen Fahrzeuge leise und unauffällig. Der Kaffee duftet herrlich, die Arbeit ist sowieso erträglich. Daß ich dir schreiben darf, an einem Tag wie heute, ist etwas Wunderbares und Frisches, als hätte ich es eben erst entdeckt: Ebenso wie die Blätter der Bäume erst heute auf den Gedanken gekommen zu sein scheinen, das Sonnenlicht so herrlich zu spiegeln und so wunderbar und blitzblank zu glänzen, ja als sei die Sonne heute überhaupt zum erstenmal aufgegangen.

Wie mußt du an einem solchen Tag erstrahlen, frage ich mich, und muß dich sehen, sofort, dringlichst, unbedingt. Noch schöner muß dein Auge den weiten Morgenhimmel wiedergeben; noch duftender deine Haut schimmern im Frischlicht. Noch schöner deine Füße wandeln auf der sich wärmenden Erde.

15. An Claudia

Heute Morgen die Donnerschläge eines Gewitters, die sich polternd in den halbfertigen Schlaf drücken … Beunruhigungen, Sorgen. Es ist auswegslos. Ich komme an dir nicht vorbei, Claudia. Und doch kann ich nicht zu dir kommen, nicht mit dir sein. Es wäre grotesk. Von allen anderen Schwierigkeiten ganz zu schweigen.

Die Schwingen der Bäume hängen vollgesogen von Regen über den Weg. In den Pfützen stehen zitternd die Umrisse der Wagen und Baumstämme, und die Welt fühlt sich an, als sei sie schon viel später als sie wirklich ist. Der Sommer ist schon vorbei. Unsere Berührungspunkte jede Woche sind vergangen, bevor sie vergangen sind. Traurigkeit macht die Bäume schwer, und bald wird alles, was ich seit April oder Mai erlebe, wie ein immer fernerer Spiegel sein, in dem sich alles immer kleiner und kleiner spiegelt.

9. Claudia (Augenpaar)

Nach zwei Wochen, während derer ich unter dem Brand und der Spannung eines Augenpaares gelebt und gedacht habe, drifte ich wieder hinab in die Nachlässigkeit und Selbstindulgenz des Nach-Innen, der Selbstbefriedigung, der Schlaffheit.

Letzten X-tag einige hastige, sich selbst kaum glauben wollende Worte, etwas wie ein Gespräch, ein nur flüchtiges Betasten und doch der Anfang der Wahrnehmung der Wahrnehmung des Anderen, und der Anfang des Wieder-Sprechens. Ich glühte vor Aufregung, wie in früheren Jahren, und nichts wollte hinterher Bestand haben, was nicht ihr Wort war.

Und wie schon so oft, so sammle ich jetzt wieder die Stücke dieses kurzen Wortwechsels auf, finde sie wie verstreute Scherben eines kostbaren, doch rätselhaften Mosaiks, die ich zusammensetze, um dann grübelnd seinen Sinn zu entdecken zu versuchen.

8. Claudia (Nympha)

Nach den Gefühlsstürmen gestern heute nur noch eine böse Niedergeschlagenheit. Eine atemlose Nähe mit hastig zuckenden Blicken und sogar zwei Worte, die ich heimlich auf mich beziehe. Sie ist die Nymphe. Die Halbgöttin mit den klugen Augen, dem Mutterkinn, den schönen Händen; die Nymphe mit der schönen, selten zu hörenden Stimme, die in all ihrer Jugend, ihrem Frischsein und Jungsein doch so viel älter ist als ich: ich bin ihrer überhaupt nicht würdig, sie aber einem Gotte. Kaum kam ich nach zwei Stunden wieder zu mir. Ich wollte. Ich mußte. Ich verlangte nach. Ich entbehrte. Stunden blieben ungelebt liegen. Herzschläge vergeudeten sich an ein leeres Zimmer. Vor mir Bett, stiller Raum, Fenster mit blühenden Sträuchern, und überall herrscht Frühlingsauswegslosigkeit. Ich entbehre, und alles, was von irgendeinem Wert wäre, spielt sich fern von mir ab.