Buch gesucht

Gesucht wird ein älteres russisches Kinderbuch, Autor und Titel unbekannt. Darin wird die Geschichte eines (Eskimo?)Jungen erzählt, der im Polarmeer auf Treibeis gerät, von einer aufgehenden Spalte überrascht wird und wochenlang auf einer Eisscholle überleben muß. Ganz auf sich allein gestellt, findet er Unterschlupf in einer Schneehöhle und tröstet sich mit der Lektüre eines Buchs, das er im Schein einer Petroleumlampe liest. Ein bißchen Proviant hat er schon bei sich; ab und zu taucht ein Flugzeug auf und wirft Nahrungsmittel und Brennstoff ab. Das muß er sich gut einteilen. Wann ihn jemand retten kann, ist unklar. (Bis das Meer zufriert?) Wahrscheinlich gibt es auch Eisbären, so genau weiß ich das nicht mehr. Was ich aber noch weiß, weil mich das sehr beeindruckt hat: Der Junge hat ein Gewehr und versteht sich aufs Jagen. Die Übersetzung muß in der DDR erschienen sein. Ich glaube, aber sicher bin ich mir auch hier nicht, auf dem Umschlag war ein in Pelz und Mütze gehüllter Knabe mit asiatischen Gesichtszügen abgebildet, der an einem Eisloch angelt. Die Angaben sind spärlich und vielleicht sind sie auch alle falsch.
Weiß trotzdem vielleicht jemand was darüber?

Hörerbrief

Sehr geehrte Damen und Herren,

nein, ich will nicht in den (fraglos vielstimmigen) Chor derer einstimmen, die den Verlust einer so originellen, informativen, anregenden, labyrinthisch-verzweigten, herrlich langsamen Sendung wie “wdr3.pm” es war, beklagen wollen. Schlimm genug, daß die Sendung gestrichen wurde; aber die Wege der Programmdirektion sind (zwar nicht wunderbar aber) rätselhaft, und ein Hörerkommentar wird daran nichts ändern, viele Hörerkommentare vermutlich auch nicht. Sei’s drum. Daß aber nun auch die Internet-Dokumentation dieser Sendung sang- und klanglos verschwunden ist, so daß man nicht nicht einmal mehr erinnern darf, oder, wichtiger, recherchieren kann, das ist nicht nur bedauerlich, sondern wirklich schlimm. An vieles erinnert man sich vielleicht dunkel, das man noch einmal aufspüren möchte, um es als Tonträger oder in gedruckter Form zu beschaffen, sei es ein Gedicht, einen Prosatext, einen Verweis auf Film, Bild oder Theater, der neugierig gemacht hat. Es wäre nun ein großer Verlust, dem nicht früher nachgegangen zu sein. Ich möchte Sie also bitten, die Ankündigungen und vor allem die Laufpläne der wdr3.pm-Sendungen wieder einzustellen. Sollte dies aus irgendwelchen (von mir ohnehin und schon a priori nicht einzusehenden) Gründen nicht möglich oder unerwünscht sein (als wollten Sie mit diesem alten Ballast nichts mehr zu tun haben, sich von dieser Ära ein für allemal lösen wie von einem Makel), bitte ich Sie um die Zusendung (als pdf-Datei) der Laufpläne dreier Ausstrahlungen, deren Titel oder Datum ich leider nicht mehr erinnerlich bin. Die erste Ausstrahlung handelte von Tieren; die zweite von Drogen (irgendetwas von “siebtem (oder achtem?) Sinn” im Titel); die dritte von Wirklichkeit und Unwirklichkeit (Titel: “Nicht wirklich. …”). Soweit ich mich erinnere, stammten alle drei Produktionen aus der Feder des wunderbaren Mario Angelo, dem Sie gerne meine bewundernden Glückwünsche ausrichten dürfen.

Hochachtungsvoll,
T. Th.

[…] kalt ist es nicht mehr besonders bei uns, niederschlag ist auch keiner gefallen. die luft ist gut und frisch, kein wind, der himmel flockiges milchgrau. heute vermisse ich die vögel. nur ein paar elstern haben gescheckert. hätte fast eine kerze angemacht, aber es war doch schon hell. im flur duftet es nach meinem kaffee. so ein espresso verströmt beim zubereiten stärkeren geruch in der wohnung. ach, wie freue ich mich, wenn du hier endlich hereinkommst. schön ist es nicht bei mir, auch wenn ich noch aufräume — was ich mir fest vorgenommen habe. aber du wärst dann auch einmal in meiner kleinen welt gewesen, hättest mein leben auch räumlich betreten (sonst bist du ja schon mittendrin in meinem leben, in meinem herzen, in jedem winkeln meiner gedanken). dann mach ich dir einen schönen milchkaffee, ehe wir aufbrechen. und wer weiß, vielleicht ist ja gerade niemand zuhause außer uns …? […]

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episteln: an meinen bruder

Brüderchen,

Heute nacht hatte ich einen seltsamen traum: in meinem zimmer bemerkte ich eine spinne, die aus irgendeinem wirrwarr von geräten oder schachteln herauskrabbelte. sie hatte einen runden, hellgrauen körper und sehr lange dünne beine. als sie an der wand über meinem bett angelangt war, war ihr körper gedrungener geworden, der hinterleib länglicher, ihre farbe dunkel, und die beine waren jetzt dick, wie die von solchen spinnen, wie sie gerne unter kellertreppen wohnen … panisch wich ich zuück, ich kannte diese spinne, sie hatte mir schon einmal einen schrecken eingejagt, sie war über ein jahr in meinem zimmer gewesen, ohne daß ich es bemerkt hatte … ich rief nach dir. du warst irgendwo draußen, im nebenzimmer, auf dem flur, jedenfalls im haus. du kamst herein. als du die tür öffnetest, hockte die spinne darüber. ich hatte einen kurzem augenblick angst, sie könne auf dich herabfallen, aber du tratest unbeschadet durch die tür, kamst zu mir, und ich deutete auf das tier, das mittlerweile die ausmaße eines zwergpudels angenommen hatte und von tiefschwarzer farbe war. ich glaubte, du würdest dich fürchterlich erschrecken; zu meinem riesengroßen erstaunen aber gingst du ruhig zu der spinne hinüber, packtest sie mit beiden händen an einem beinpaar, so wie man einen stier bei den hörnern packen mag, durchquertest an mir vorbei das zimmer und schleudertest das ding aus dem fenster in den hof. ich war gerettet.

Bester retter und spinnenbändiger, glücklich erwacht bin ich

Dein TTh

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19. An Esther

Gerade dann, wenn man am meisten zu erzählen hat, ist ein Brief das letzte, wozu man sich sammeln möchte. Und will man dann einmal schreiben, hat man nichts mehr zu erzählen.

Viel eher greift man zum Telephonhörer oder schreibt eine elektronische Nachricht. Man will seine Sorgen schneller loswerden. Man ist ungeduldig und will sofort eine Antwort haben. Ein Brief dagegen braucht Zeit; er erfordert eine Sammlung, derer man ausgerechnet aus demselben Grunde entbehrt, aus dem man überhaupt zu schreiben erwogen hat.

Indem der Brief den Schreibenden dazu anhält, seinen Gedanken eine Ordnung zu geben, zwingt er ihn auch, Grund und Wirkung zu entfädeln, nach Hintergründen, Motivationen, und Ursachen zu suchen, sich selbst auf die Schliche zu kommen, und am Ende dieses Vorgangs versteht man sich selbst vielleicht besser. Der Brief ist wie ein Tagebuch, nur distanzierter, denn man muß sich immer fragen, wie die eigenen Worte auf den Empfänger wirken werden, was man sagen, was man verschweigen will. Auf diese Weise hilft das Briefschreiben dem Schreiber, sich auch darüber klarzuwerden, was er sich selbst eigentlich nicht eingesteht. Oder, anders herum, das Briefschreiben verhilft gerade dazu, sich selbst etwas einzugestehen, indem man es einem anderen mitteilt. Immer vorausgesetzt natürlich, man schickt den Brief auch ab.

Wann schreibt man heutzutage überhaupt einen (persönlichen) Brief? Unter wer schreibt? Freunde einander? Eltern und Kinder? Jüngere und Ältere, wenn letztere sich scheuen, es mit der elektronischen Post zu versuchen? Ich stelle fest, daß ich kaum noch Briefe schreibe, es sei denn, daß ein Briefwechsel schon besteht. Der Brief ist zu etwas Besonderem gewachsen, nicht nur, weil er seltener geworden, sondern weil er einem strenger ausgewählten Adressatenkreis vorbehalten ist.

Das war früher ganz anders. Ich erinnere mich, daß der Brief bis in die erste Hälfte der 90er Jahre ein völlig gewöhnlicher Mitteilungsweg war, wenn das Telephon einmal nicht in Frage kam. Vor kurzem fiel mir ein Brief in die Hände, den mir eine Bekannte aus der Universität geschickt hatte. Es war damals vorlesungsfreie Zeit, sie und ich hielten uns bei unseren Eltern auf, keiner hatte die Nummer des anderen. Ich war verblüfft. Und ich erinnerte mich: Natürlich hatten wir Briefe gewechselt, oder einander Postkarten geschrieben. Warum schien mir das plötzlich ungewöhnlich? Wir würden heute keinen Brief mehr schreiben, dachte ich. Warum? Nicht, weil es uns zu umständlich wäre. Nein, mein Erstaunen über diese einfache, in Vergessenheit geratene Tatsache hatte einen anderen Grund. Ich glaube, die schriftliche Mitteilung hat einen neuen Stellenwert erhalten. Ein Brief ist nicht einfach ein Ersatz fürs Telephon, wie früher: Diese Stelle nimmt heute die E-Mail ein. Vielmehr ist der Brief etwas Besonderes, weil er eine gewisse Vertrautheit voraussetzt, ein inniges Verhältnis zwischen den Korrespondierenden, eine persönliche Nähe, die für die E-Mail nicht erforderlich ist und von ihr auch nicht impliziert wird. Schriebe ich heute einem Kommilitonen, den ich nur aus dem Hörsaal kenne, und den ich höchstens einmal am Telephon gesprochen habe, einen Brief, wäre das völlig ungewöhnlich, weil ich damit einen Grad der Nähe zu diesem Menschen behaupten würde, der in unserem Verhältnis noch gar nicht erreicht wäre. Der Brief tritt heute zwischen zwei Menschen erst viel später in Erscheinung. Der Brief bedeutet Freundschaft. Einen persönlichen Brief, ja nur eine Postkarte schreiben, ohne daß ein Verhältnis großer Nähe besteht, hieße, sich im Ton vergreifen. Es wäre, wenn nicht ein Akt des Sichaufdrängens, so doch etwas Voreiliges, und ist in jedem Fall ein Schritt, der vom anderen mit Vorsicht, ja sogar Mißtrauen beobachtet würde.

Cicero schrieb täglich mehrere Briefe. Seneca „unterhielt sich“ schriftlich mit seinem Schüler Lucilius; seine Briefe füllen zwei dicke Bücher. Zieht man in Betracht, daß der Mensch auch noch Dramen, philosophische Abhandlungen und anderes verfaßt hat, muß wohl davon ausgegangen werden, daß auch er täglich mehrere Briefe (nicht nur an Lucilius und nicht nur die, die ohnehin zur Veröffentlichung bestimmt waren) geschrieben haben muß. Heute dagegen zählen wir die Briefe nach Monaten. Aber ich wage zu behaupten, daß durch das Medium der elektronischen Post eine neue Schriftlichkeit zustande kommt und eine neue Kultur des Briefwechsels erwächst, die der alten, von Cicero und Seneca gepflegten vielleicht näher steht, als man vermuten würde. Ich schreibe täglich mindestens eine Nachricht mit mehr als 10 Zeilen Länge, an bestimmte Personen, mit denen mich genau diese Form des „Brief“wechsels verbindet, oft schon seit Jahren. Das sind Nachrichten, die immer über die bloße Information, über die Verabredung, Mitteilung, Vereinbarung hinausgehen, und in denen ein echtes Gespräch zustande kommt. In früheren Zeiten wären das alles „echte“ Briefe gewesen, hätte man sich die Mühe gemacht. Für Cicero und seine Zeitgenossen war es aber wohl selbstverständlich, sich diese Mühe zu machen. Vielleicht aber hatten sie es auch leichter. Ich frage mich schon seit längerem, ob wir heute nicht allzu oft abgelenkt sind durch eine Flut von Möglichkeiten der Zerstreuung, so daß wir Dinge aus den Augen verlieren, die, wenn wir uns daran machten, sie zu schaffen, vielleicht Bestand hätten. Oder uns selbst reifen lassen würden dadurch, daß wir Mühe aufwenden und uns im Wortsinne: widmen. Oder etwas der Welt hinzufügen würden, auf das wir stolz sein dürften. Wir schaffen so wenig Schönes, das wir der Welt entgegenstellen können. Wir sind abgelenkt und alles ist uns allzu schwer. Kaum bringen wir es noch zuwege, etwas mit der Hand zu schreiben. Aber das ist ein Gedanke, dem ich einen eigenen Brief widmen muß.

10. An O.

Liebe Freundin,

Da ich mich bekanntlich für das Maß aller Dinge halte, sind Schokolade und Mozart (bzw. seine Musik) nur deswegen gut, weil ich selbst sie für gut halte. Umgekehrt ist es nicht wichtig, dabeizusein, weil ich es nicht für wichtig halte. So einfach ist das. Daß andere nicht mich sondern sich selbst für das Maß aller Dinge halten, ist nicht mein Problem.
Zum Maß aller Dinge: Ich schrieb doch, wenn die anderen nicht mich sondern sich selbst für das Maß aller Dinge halten, dann ist das nicht mein Problem. Will heißen, es interessiert mich einen Scheiß, ob anderen ihr Automobil oder ihr Tote-Hosen-Konzert oder ihr Mobiltelephon am Herz liegt, und werde immer so handeln (und entsprechend verständnislos reagieren), als könne ihnen das Automobil oder das Tote-Hosen-Konzert oder das Mobiltelephon gar nicht am Herzen liegen. Und ich muß sagen, ich kenne wenige Menschen, die die Toleranz aufbringen, den Wichtigkeiten anderer nachfühlend zu begegnen, wenn es nicht ihre eigenen Wichtigkeiten (sondern sogar ihre Widrigkeiten) sind.
Übrigens war ich nicht dabei. Weder beim Fall der Mauer, noch bei jenem vielbeschworenen Anschlag. Manchmal ist man auch froh drum, nicht so sehr, weil man mit heiler Haut davongekommen ist, sondern weil einem schon nach allerkürzester Zeit die Bedeutungszumessungen, die von allen ausnahmslos an ein Ereignis herangetragen werden, auf den Nerv gehen. Ich kann so etwas schon nach wenigen Tagen nicht mehr hören. Und im Falle der USA ärgert mich schon jede noch so kleine Zurkenntnisnahme, die man jenen Verrückten zukommen läßt. Die Bedeutung eines Kolosses wie es die USA geworden sind liegt meines Erachtens immer noch darin, daß die übrige Welt an diese Bedeutung glaubt.

Mißgestimmt,

Dein T. Th.