Nachtrag zu untenstehender Liste

  1. Warum sind die letzten Listeneinträge ohne Punkt?
  2. Warum sind die Punkte verrutscht?
  3. Warum ist der Zeilenabstand doppelt?
  4. Warum ist der Zeilenabstand normal, wenn der Eintrag kein Link ist?
  5. Wozu hat man ein html-Hilfsprogramm, wenn’s nicht funktioniert?
  6. Hätte ich wirklich alle “<a href= undsoweiter” von Hand formatieren müssen?
  7. Ich meine, von Hand???

Verwirrend

… daß einerseits die Macher der entsetzlichen Radiowerbung meines Supermarktes nicht wissen, daß Federweißer wie ein Adjektiv zu deklinieren ist (des Federweißen, dem Federweißen, den Ferderweißen, oh Federweißer!) und den Sprecher enthusiastisch fragen lassen: “Was paßt eigentlich zum Federweißer?”; verwirrend weiterhin, daß man hierzulande wohl noch etwas grün hinter den Ohren ist, was die Kultur rund um den Neuen Wein angeht, und das, obwohl wir hier in nächster Nähe nicht nur ein berühmtes Weinbaugebiet haben (Rhein & Ahr); verwirrend schließlich, daß die Deklination auf Pfälzisch dann wieder gestimmt hätte.

Semantisch

Das Wort oder der Wortbestandteil fix ist ein Ausdruck, der auf seiner Inhaltsseite das Feste, Beständige, ja Ewige – etwa eines Fixsterns –, das Verläßliche und Sichere (wie es dem Fixpunkt eignet), das Unveränderliche von Fixkosten oder auch das Unabänderliche, wie es sich in der Lage des Gemarterten am Kruzifix zeigt, mithin das Unveränderliche schlechthin als den einen Bedeutungspol mit dem Kurzzeitigen, Eilenden und Flüchtigen und damit der Ewigkeit in scharfem Gegensatz Gegenüberstehenden von Schnellgerichten (Maggi Fix), Klebefolien (d-c-fix) und Protrepsen zur Eile (Nun aber fix!) als seinem Gegenpol verbindet, zwei konträre Konzepte in einer einzigen Silbe vereint und sich damit prinzipiell selbst zu negieren im Stande wäre, wenn nicht die Distribution des Morphs als Vorderglied eines Kompositums einerseits, wo es immer in der Bedeutung „fest“ oder „starr“ Verwendung findet, und als Adverb oder Adjektiv andererseits, dann nämlich in der Bedeutung „schnell“, zur Disambiguierung taugte, und Lesarten wie „schneller Stern“ für Fixstern oder „Fixiermittel auf Suppenbasis“ für Maggi Fix verhinderte.

Episode

gestern abend
ich wieder im zug
du wieder am bahnsteig

später
du wieder am steuer
ich wieder auf dem beifahrersitz

später
du wieder auf mir drauf
ich wieder in dir drin

nicht viel später
du schon da
wir wieder gleichzeitig

nachts
ich wieder an dich geschmiegt
wir wieder schlaf an schlaf

heute morgen
du wieder kaffee ans bett
ich wieder unausgeschlafen

später
du wieder am bahnsteig
ich wieder im zug

jetzt
du wieder in deiner kleinen stadt
ich wieder in meiner kleinen straße

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Lexothelminthes (4)

im grunde genommen ist es nicht ganz richtig zu sagen, daß ein wort, das den lexothelminthen instantiiert, „im ohr nachklingt“. da klingt nichts. viel eher geht das wort „im kopf herum“. es scheint plötzlich auf, so als wolle man es gerade aussprechen. es kommt einem in den sinn, oder, wenn noch ein bildhafter ausdruck gestattet ist, es „liegt auf der zunge“ – nicht als etwas, das, in die ränder des bewußtseins eingeschlungen, dem wachen erinnern gerade nicht zugänglich, doch eben als existenz erahnbar ist; sondern als etwas, von dem man den sanften zwang verspürt, es zu vollziehen: es auszusprechen, wenn auch nur innerlich. der ausdruck im ohr haben oder im ohr klingen ist schon deshalb falsch, weil es nicht der klang des wortes ist, der sich zwanghaft ins bewußtsein schiebt, sondern die vorstellung seiner motorischen realisierung.
geradezu typisch für den lexothelminthen ist es, aus einem text zu springen. so klang mir gestern abend nach der Apuleiuslektüre beim spülen das verb periclitari im ohr nach. fremdsprachliche lektüre scheint sich überhaupt besonders als auslöser zu eignen. mal war ist es latein, wie gestern, oder damals, als ich zum erstenmal intensiv die Metamorphosen des Ovid las, poetische wörter wie amnis, nemus, pentralia; ein andermal neugriechisch oder spanisch. fachwörter bleiben auch leicht hängen: ich erinnere mich, daß ich beim lesen von Th. Kuhns „Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ das wort transversal innerlich nachzusprechen mich genötigt fand. oder namen: tagelang ging mir die lautfolge Cirith Ungol nicht mehr aus dem kopf, und noch heute kann sie eine ganze welt, die der lektüre, wie die der wirklichkeit, die das lesen lebensweltlich umgab, heraufbeschwören wie ein feiner, seit kindertagen nicht mehr vernommener duft.

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Lexothelminthes (3)

eine andere frau, jahre später, welten entfernt, hieß Halkomelem, ein wort, das eine indianersprache aus der familie der Salisch-Sprachen bezeichnet. wir nahmen beide an einem seminar über diese sprachfamilie teil. sie saß mir gegenüber, hatte herrlich dicke rundungen und breite hände und duftete nach kamille. ich erinnere mich, daß sie lächelte, als sie mir kopien weiterreichte. einmal hatte ich gefehlt. das gab mir die gelegenheit, sie ein paar tage später, als ich ihr auf dem weg zur mensa begegnete, anzusprechen und mich nach dem verlauf der vergangenen sitzung zu erkundigen. ich erinnere mich, daß sie an jenem tag einen langen, dunklen mantel trug. sie war hinter einer eibenhecke aus einem winkel des weges erschienen, und ich hatte sie zuerst gesehen. sie ging langsam, besonnen, ruhig, vielleicht in gedanken. die hände hatte sie in den taschen. ihr haar glänzte rot. kamillenduft strömte von ihr aus. ihr blick ruhte sanft auf mir, so daß ich mir heute, wenn ich an die begenung denke, unruhig und zappelig und fast ein bißchen laut vorkomme. sie war älter als ich, viel weiter im studium, war hilfskraft und mit den dozenten auf du. während sie mir zuhörte, ging ihr blick halb über die starke brille. ich vergaß sofort wieder, was sie über das seminar berichtet hatte. wir lachten, glaube ich. ihr mund lächelte mit großen, weißen zähnen. da wurde sie für mich selbst zu einer indianerin, und das wort, das sich in meinem inneren ohr festgesetzt hatte, dieses schöne, geheimnisvolle, erdige Halkomelem, wurde von diesem tage an ein name für sie, ein kamillenüberströmter klang, der mit dem roten haar, der körperfülle, der wachheit dieser frau zusammenhing. oder vielleicht kein name, aber doch so etwas wie ein zu ihr gehörendes klangmal, ein lexikalisches totem. nie hätte ich es aussprechen wollen, geschweige denn sie so nennen. vielleicht läßt es sich am besten so sagen, daß ich sie als Halkomelem dachte, sie selbst, oder ihren anteil an unseren begegnungen. Aber auch alle bezugspunkte, die uns, sie und mich, über dieses seminar verknüpften, hatten in dieser eigenschaft etwas von Halkomelem an sich und atmeten etwas von diesem namen aus. und auch indianersprachen, merkwürdige syntax, ejektive, nursery tales oder die gepflogenheiten, die räume und das personal des instituts, wo sie sich als stätten der begegnung hergegeben hatten.
zuletzt aber würde der beginn dieser geschichte, wenn es eine geschichte gäbe, diesen namen tragen, würde die später vergangene farbe dieser ersten tage einmal so heißen, und das geheimnisvolle wurzelwerk des zufalls, der uns zueinander geführt hatte.

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Lexothelminthes (2)

ich habe einmal – das ist lange her, aber ich erinnere mich dessen als eines bedeutenden teils der größeren geschichte, in die es eingeschlungen ist – ich habe einmal eine woche lang dem englischen wort elegy innerlich nachgelauscht. es wurde so etwas wie ein lexikalischer ohrwurm, und es überschrieb eine ganze reihe von gefühlen, die alle mit der bekanntschaft eines mädchens verbunden waren; in dieser begegnung hatte jenes wort eine rolle gespielt, so daß es sich der geschichte dieser begegnung, in deren mitte ich mich nun befand (oder hoffte mich zu befinden) als überschrift, als titel, als name herlieh. dabei war es ganz zufällig dieses wort, das mir blieb – es hätte jedes andere sein können, sofern es nicht ein allzu abgenutztes gewesen wäre – und es hatte für die geschichte, für ihren beginn, ihre entwicklung und ihre bedingungen, keinerlei bedeutung. monatelang war das gesicht dieses mädchens an den unmöglichsten stellen des schulhauses aufgetaucht und wieder verschwunden, bis ich es plötzlich in nächster nähe erblickte, in dem orchester, dem ich beigetreten war, eine reihe hinter mir, unter den oboen. ins nahe gerückt, wurde sie mensch, verdichtete sie sich zu einem bündel entzückender eigenschaften, die alle aus dieser herangerücktheit flossen. mit einem mal war sie jemand, der mich sah und von mir wußte. worte waren möglich, ein lächeln der wiedererkennung, ein nicken der begrüßung, ein gespräch: und es konnte nicht anders sein, daß ich mich in sie (oder in die nähe, in die sie gefallen war?) verliebte. wir probten damals ein sehr langsames, sehr ruhiges, gegen ende der zehnminütigen spieldauer sich dramatisch aufbäumendes stück von John Barnes Chance, das ich sehr liebte. Sein Titel: „Elegy“. mehr als die vielschichtigen, tragischen klänge des stücks blieb er mir haften, als wäre es der name des mädchens gewesen.

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Lexothelminthes

wörter die ich mag, nutzlose aggglomerate von klang, bedeutung, feldern, vernetzungen, tunneln und räumen, reiser, kuckuckslichtnelke, sturmlampe
machmal blieb etwas aus Gelesenem hängen, ein ohrwurm, könnte man sagen, dessen melodie aus der abfolge der laute, vielleicht aus dem plan der zu ihrer realisierung erforderlichen zungen- und lippenbewegungen, dem rhythmus, der sich aus der dauer der laute und aus der betonung ergibt, und vielleicht auch dem verlauf der stimmhöhe ergibt. trollblume, atmen, gezweig. die bedeutung spielt für den ohrwurm keine rolle, denn wie jeder ohrwurm ist es eine insistierende erinnerungsschleife, die sich selbst immer wieder aufdrängt und zu ihrer inneren stummrealisierung aufruft. so sind worte wie melodiefragmente, klingende bögen, akkordverbindungen, motivische tonfolgen. und wie in der musik dem motiv oder sogar dem einzelnen akkord, so hängt auch diesen sprachohrwürmern (lexothelminthen) eine stimmung an, der hauch einer bestimmten welt, eines schmerzes, einer erwartung, einer hoffnung, verzweigt sich aus dem lexothelminth heraus eine kleine eigene welt. halkomelem, penetralia, nemus, amnis was bestimmt diese welt? nicht die bedeutung des wortes, das den lexothelminth ausmacht. auch nicht der klang, in dem er sich verfestigt hat. der klang oder der klangplan oder das abbild dieses klanges im innern ist nur seine realisierung, seine bedeutung ist zufällig. aber wörter haben nicht nur klang und bedeutung, sondern sie sind auch knotenpunkte in einem netz von beziehungen. zu anderen wörtern. zu grammatikalischen informationen wie kasus, präposition, konjugationsmuster. zu standardumgebungen, mit denen es zusammen eine kollokation, eine phraseologie bildet. aber auch, und das ist wesentlich für den lexothelminth: zu texten, in denen das wort vorkam; zu menschen, die es gebrauchten; und zu situationen, in denen es ausgesprochen wurde, groß war oder klein, laut oder leise, und auf die eine oder andere weise wirkung bewies.

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zeichen

wegeweis wohin und anstelle zeiger auf zweites und drittes gedeutet muß es, und gelesen an- und verkehrs- und auch stern- gibt es und ruf- und besetzt- ist es nichts ist aber ohne deuter an ihm zwingend nur der dritte und ob es eins ist oder nicht bleibt

eine offene frage

ist ein zeichen immer will es oder will der deuter oder wollte der zeichensetzer gegrabnes in stein und fels und rinde und vergänglich in sand wachs mit der taschenlampe in die luft mit rauch in den himmel rauch bedeutet feuer ist ein zeichen vielleicht eine spur wie der abdruck in feuchtem grund von wolf kaninchen tapir wombat spur und anzeiger und ursächliches verbundensein oder trommeln weitergetragen von nacht zu nacht gesänge von walen über hunderte von meilen pheromone der ameisen und falter zeichen gemalt mit der wärme des fingers auf den fröstelnden rücken der klang einer symphonie zeichen im bezeichnen erlöschend und

sprache

bilder vererbt von jahrhundert zu jahrhundert lilien kannen rosen kreuzesbäume gartentore zeichen von zeichen von zeichen höhere

ordnungen

und zukünfte in eingeweiden lebern sternen stürmen blättern verborgenes

walten

Flüstern

ist ausgeflocktes dunkel wenn du dich räusperst wackelt der mond manchmal flüstert es aus rohren und ein frosch im hals und finger flüstern manchmal auf haut und eine straßenecke sieht zu wie zweimal mantelkragen unter einer straßenlaterne die in ein anderes zimmer dringt wo gesichter einander unsichtbar auf dem harten teppich vorm bett flüsterzeichen geben wo eben hingesunken die leiber püffe und knüffe von okklusiven und vokalen auf wange und lippen und hals unterbrochen von küssen das flüstern bist du „du“ flüstert es, „du“ flüstern und im blinden der geruch deines speichels in kirchen wird oft, in manchen museen, und morgens um fünf im überlandbus vor der abfahrt wenn der motor noch stumm ist und die sitze knarzen knistern heißt flüstern anorganisch, haare können es, wenn alles sehr still ist im zimmer mit straßenlaterne und weizenfelder können es verwandte sind wispern das ins wortlose hineinreicht oder raspeln scharren und rascheln das können auch kleider beim abstreifen flüstern hat keine farbe nur graustufen flüstern ist der schatten der stimme flüstern trocknet schnell ein und verliert den geruch flüstern ist seine eigene beschreibung flüstern wäre durchsichtig, hielte man es ins licht flüstern können auch blätter und tüten vögel können es nicht der regen vielleicht

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eines morgens
war der sommer
vorbei. ich sah es
am luftballon der
in einem weißdorn
hängengeblieben war
am rostigen nagel
der in einem bretterzaun
stak am abgelegten helm eines
arbeiters am butterbrot in seinen
schwieligen händen
bunt wippten die schultaschen über
den weg die zeitung knisterte leise
überm kaffee und von nebenan
drang wieder ein telephongespräch
durch die wand
stundenlang
als wäre man taub
geworden so
fehlten die vögel

[ohne titel]

lassen
abwärtslos sich
liebfrauenkirch
glocken
auf
nichts sagen lippchenläppchen
pfeiftief
reibeflächig zerglitt
ver-
spelzenschwamm
gezitter? drehweggreif
auswall jaja, in
leere
stelldicheinander
feuchtfröhliches und
steh-greif-dichtung
runen
des atmens
hieroglyphen-hyphten
epen
in
flüssigharz

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Don’t know a lake …

but a beautiful mountain with lush forests at its base, wet with flowers, humming with skies between the trees, brittle with the songs of countless birds translating your sweet presence into sound; and on the summit, a white tent …

The wine will be a Naoussa.

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narbig

ich werfe die
destillate meiner sprache
hinaus
in wildes land
ich fülle meine seufzer
in dunkle flaschen
ich wickele den durst
meiner haut in briefpapier
ich werfe die post
eines schiffbrüchigen an
die ufer taubstummer nächte.
jeden morgen
wringe den gestrigen
abend ich aus
mit der kraft
gesammelter müdigkeiten
ich schleudere von mir
winzig vor zorn
was abgetropft ist zwischen den fingern
der himmelhohen angst
ich will hingehen und
ihnen die blicke aus den augen reißen
die ungesagten worte von
ihren zungen schneiden
ihre unterlassenen berührungen aus
ihrer haut abbluten lassen
ihren frechen schatten von
ihren füßen scheren
ihr antlitz tauchen ins eigene spiegelbild
bis es erstickt in den eigenen lippen
ich will wandern und endlich
mich verbrennen am mond
mir narben schnitzen lassen
von der wilden ackerwinde
mich blenden lassen
von den fledermäusen
mich schänden lassen
von einer keuschen gazelle
mir die wahrheit sagen lassen
von einer lügenhaften sphinx
trunken vom wasser
will ich die scheiben zertrümmern
die gürtel aufschneiden
die falschen rosen
im ausguß ertränken
ich will mein haus von mir abstreifen
meine photographie verbrennen
mein geld in der erde vergraben
mein brot den dämonen zu fressen geben
meine augen dem silberspiegel
und meine haut dem priester
der Astarte
gehäutet
verbrannt
geschändet
und verschnitten
schleudere ich
meine worte
hinaus
in ein wildes land.

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Das Opfer (4)

er trank noch einen schluck wasser. behielt die eisige flüssigkeit lange im mund. schluckte und seufzte, rieb die füße gegeneinander, und sah dann die geschlossene tür. drehte sich um, blickte nach der zweiten tür auf der anderen seite des raums, und dachte einen herzschlag lang, die hütte habe sich um sein bett herum gedreht. dann kam ihm die verrücktheit dieses gedankens zu bewußtsein, und er lachte leise. trank noch einen schluck. kicherte.

mit einem ruck saß er stocksteif im bett, die eingeatmete luft in den lungen verpreßt, die hand um die wasserflasche gekrallt. das war kein traum, das nicht. jetzt war er wach. war wach und hörte, wie schritte sich näherten, wie etwas oder jemand an der anderen tür schabte, war wach und sah mit blankem entsetzen, wie der türflügel erst erbebte, dann mit leisem schnappen aufschwang; wie sich mondlicht grellweiß in den spalt drückte und dann in kaltem balken hereinfiel, war hellwach und sah, wie die tür weit aufschwang, in den zargen zum anschlag kam, ein wenig zurückschlug, erzitterte, stehen blieb. er fühlte den eiskalten hauch der einströmenden luft, wie sie über seine verschwitzte haut kroch, bemerkte das flimmern, als einige schneekristalle hereinwehten, und sah draußen, auf der ebene, den schnee weithin im mondschein glitzern. ein leiser wind raspelte darüber.

zögernd stand er auf. er trat in die tür, spähte hinaus. bläulichweiß ergoß sich der mond über die lichtung. der schnee war frisch gefallen und unberührt. die ferne säumte der zackenkamm der fichten. ohne des schmerzes weiter zu achten, schlüpfte er in hose, stiefel und mantel, packte die taschenlampe und sah nach der tür, durch die er am abend zuvor die hütte betreten hatte: da war unten eine halbkreisförmige abschabung, in der wand eine ritze, ein knauf. er rüttelte. die tür war fest verschlossen. einen augenblick stand er wie betäubt; zuckte dann die achseln und trat durch die andere tür hinaus. die eiskalte luft tat gut, vertrieb die trunkene benommenheit und kühlte sogar den schmerz. zaghaft machte er ein paar knirschende schritte in das weiß hinein. sollte er sich doch getäuscht haben? er blieb stehen und lauschte. warum klang der wind so merkwürdig, seine schritte so falsch? nase und ohr begannen zu kribbeln, die fingerspitzen ertaubten. hier war die ganze nacht, seitdem der schneefall aufgehört hatte, niemand gewesen, das stand fest, nicht einmal spuren von wild gab es, der schnee eine einzige unberührte, funkelnde fläche. vor sich hinmurmelnd lief er weiter bis zum waldrand, umrundete die hütte, fand nichts, probierte von außen die erste tür, sie ließ sich nicht öffnen; er wollte schon zurück zu wärme, decken und feuer, da sah er vor sich in der reinheit des widerscheins auf dem schnee, eine blindheit im geglitzer
etwas bleibt liegen.
und trat näher heran. zündete die taschenlampe. richtete den strahl auf den schatten vor seinen füßen. grinste und nickte.

etwas rundes, molluskenhaft gewundenes wie eine muschel oder schnecke, der obere rand emporgewölbt und leicht eingeschlagen, im umlauf flacher und unten in einem füßchen oder läppchen auslaufend, lag da vor seinen füßen, halb in den schnee eingeschmolzen, halb daraus emporstehend, als wäre es körperwarm gewesen, ehe es im schnee erstarrt war. die äußere krümmung schimmerte stumpfbläulich und war von feinen, veilchenfarbenen äderchen durchsetzt. rosa spritzerchen, wäßrig verdünnt wie das fischblut auf dem markt, das ins frischhalteeis einsickert, zeigten von dem organismus weg, als bildeten sie eine spur, die geradewegs zurück zur hütte führte.

er stand und lauschte. er sah seinen schatten im mondlicht, wie er aus den wäldern, die den altar verbargen, auf ihn zutrat, über die ebene glitt und sich mit seinem fuß verband. es war jetzt ganz still; nur die kleidung raschelte, als er in die hocke ging. in der mitte der fleischigen windungen, bekränzt von gewebefetzchen und kristallinem blut, leitete der äußere wulst im gegenlauf spiralförmig in eine öffnung, einen schlund, einen gang, der aus dem schnee und den tiefen darunter heraufzuführen schien. sein atem wölkte im lichtklegel, der darauf fiel.

er atmete in schnee und kälte hinein. grinste. ganz in der nähe kicherte jemand, oder vielleicht war es ein vogel, ein käuzchen, oder, nein. er selbst. er nickte. streckte dann zaghaft den finger aus, als wolle er die mulde im zentrum der spiralwindung berühren.

stattdessen aber löschte er die lampe und setzte sich in den schnee. dann hob er zögernd den arm, ungewiß, ob die bewegung gelänge, so, wie es manchmal im traum geschieht; und ertastete an der pochenden stelle hinter der schläfe, dort, wo der schmerz saß, zwischen haaransatz, schläfe und kiefergelenk, das klebrigwarme nichts.

(3)

Das Opfer (3)

Er tastete vorsichtig nach der wasserflasche im rucksack, ohne sich allzuweit vorzubeugen, damit der schmerz fernbliebe, nestelte den verschluß auf und trank in gierigen zügen.

dichtes dunkel hatte sich ihm entgegengewölbt, als er die tür aufstieß. heraus strömte ein geruch, den er nicht benennen konnte, etwas scharf, fast beißend, ein geruch nach sauberkeit, nach strenge, nach gestärkter schürze. er betrat den kleinen raum. dunkelheit glitt über ihn hin. kaum trug das fahle dämmerlicht, das durch die weitoffne tür fiel, zur sicht bei. es fand sich aber eine kerze und auch einen kamin gab es, wie er zu seiner freude feststellte, und gutgelagertes holz. über dem kamin hing ein schmales bord an der wand, darauf stand ein einzelnes, in leder gebundenes buch. an der wand daneben ein spiegel. kerzenschein fiel durch die blanke fläche des glases und ruhte rotglühend auf seinem rechten ohr. das andere lag im dunkel des spiegels verborgen. er verzog das gesicht, wandte sich ab. auf der anderen seite war ein feldbett aufgestellt, mit einer sauberen, weißlich schimmernden matratze darauf. in der wand gegenüber dem eingang deutete eine ritze im holz, ein knauf, halbkreisförmig abgeschabter boden auf eine weitere tür; auch schien das innere der hütte in den abmessungen kleiner auszufallen als das äußere glauben ließ: hinter dieser tür lag wohl noch ein kleiner raum. öffnen ließ sie sich nicht. als er von ihr abließ, meinte er, ein leises summen zu hören, wie von einem elektrischen gerät, einem kühlschrank vielleicht, und neigte das ohr gegen den spalt. das holz kratzte, gab aber keinen laut von sich. klopfen gegen die wand erzeugte einen schwachdumpfen hall. das summen war verstummt.

er legte die sachen ab, machte feuer, breitete den schlafsack auf dem bett aus, aß und trank. später nahm er das buch vom regal, entledigte sich der kleidung und schlüpfte in den schlafsack. die tür ließ er einen spaltbreit offen stehen, da ihm die luft eng und schwer atembar schien. warm und schläfrig und eingehüllt in den flausch des schlafsacks, schlug er das buch auf. doch er hatte kaum zwei zeilen gelesen, da übermannte ihn bleischwere müdigkeit. der kopf sank ihm auf die brust, das buch entglitt seinen händen, und er schlief, noch ehe es zu boden gefallen war. das dumpfe poltern, mit dem es aufschlug, hörte er nicht mehr, ebenso wenig, wie er es später vernahm, als in der nacht die tür mit einem harten klicken zufiel.

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(2)