Oft habe ich gedacht, ich bin zu spät geboren worden. Zehn, fünfzehn Jahre eher, und ich wäre Professor geworden, weil es die natürlichste Sache der Welt gewesen wäre (so wie es für viele halbwegs begabte Leute eine Generation vor mir die natürlichste Sache der Welt war, sie sind in ihre Lehrstühle quasi hineingeschlittert, wenn sie das wollten, die meisten wollten sowieso nicht). Aber das ist ein Irrtum. Ein paar Jahre eher, ein paar hundert Kilometer woanders, und ich wäre nicht einmal aufs Gymnasium gegangen. Oder hätte mir an irgendeinem erzkonservativen Establishment die Stirn blutig geschlagen. So aber hatte ich das Glück, es nicht selbst tun zu müssen, sondern die Errungenschaften der blutigen Stirnen der 68er-Generation voll genießen und auf eine Schule gehen zu dürfen, wo das halbe Kollegium, heute würde man sagen, links-grün versifft war. Ich spreche mit einer Wandergefährtin darüber, und sie meint dazu, dann wäre ich eine Generation eher wohl ein sehr guter Realschüler geworden. Wahrscheinlich. Aber dabei wäre ich intellektuell verhungert. Alles, was ich gut gekonnt hätte, hätte mich nicht gereizt. Ich wollte immer etwas, das zu groß war für mich. Diese Feststellung berührt noch gar nicht den Ehrgeiz und das Geltungsbewußtsein. Ich wollte als Person meinen intellektuellen Bedürfnissen genügen. Zwar war ich auf dem Gymnasium. Aber egal, in welchem Maßstab, ich habe immer über die Verhältnisse meines Talents leben wollen. Meine intellektuellen Bedürfnisse waren zu groß für meinen Intellekt.
Über die Verhältnisse des eigenen Talents leben wollen – ich glaube, das kenne ich. Schön gesagt.
Sehns’s? Sie verstehen mich.