Wie der Hase in die blitzblanke Ebene hineinläuft, Halt sucht, wo kein Halten ist in der Leere, die als ein weißes Nichts allseits auf ihn zuschwimmt, wie er da hineinstürzt ins Kristallvielfache, panisch, kopflos, und stetig hineingesogen wird in eine kreiselnde Stille, wo kein Baum kein Strauch, nur weiß und weiß, und wie der Hase Haken schlagend dieser Masse an schierem Raum zu entkommen sucht, wie er vor der Wucht des Freiseins davonprescht, und wie er, während ihn die Ausdehnung erst langsam einkreist, ihm stets, wohin er sich auch wendet, zuvorkommt; sich dann um ihn legt, schon da ist, ihn niederzwingt; wie er da nach einem Ende sucht und sich aufbäumend vergebens in Raserei gerät, weil die Fläche für jede eingeschlagene Richtung unzählige weitere bereithält, während die Ferne, die langsam (denn sie hat Zeit) ihm entgegenstrebt, seine Flucht hemmt und mit ihm spielt, ihn hierhin und dorthin treibt, bis er ermattet einhält, wie er sich verzweifelt auf die Hinterläufe stellt, nichts zu sehen bekommt als weiße und aberweiße Strecken, so daß er, geschlagen fast, noch ein bißchen gegen den Strom weiterhumpelt, bis das Glitzern schließlich die letzte Bewegung des Tiers, nur mehr ein schwarzes Splitterchen, dessen punktförmiges Springen kaum noch auszumachen ist gegen die Helligkeit (ein Licht, das aus allen Richtungen zugleich kommt und jeden Schatten fortbrennt), wie das Glitzern das einfriert, und wie dann endlich weit draußen, im Davonstreben aller Linien, wo Wolken und Grund einswerden, das Feld einmal kurz blinzelt und den Splitter in sich verschwinden läßt –
Schlagwort: Eifel
Andernach–Brohl
Vom bahnhof Andernach (der kiosk geschlossen, die glastür voller dunkler spiegel) geht man zuerst an den taxis vorbei, in richtung stadtkern, eine lange, von bäumen gesäumte straße hinunter, bis zu einem kreisverkehr, dort schräg hinauf, und wenn man aufpaßt, begegnet hier schon die erste markierung. halb wußte ich ja noch den weg von letztem sommer, nur hätte ich rückwärts laufen müssen, um alles wiederzuerkennen, jenen vorgarten, hier ein hübsches fenster mit gemütlichkeit, die nichts von mir wissen will, dieses wegekreuz mit dem rosa jesus daran, aber auch das aufmerksamste rückwärtsgehen hätte mich nicht zurückgebracht. Steil geht es am Ortsrand aufwärts, unter dem gedröhn eine schnellstraße hindurch, betonpylone, schwindelnde kurven, dann eine unterführung, deren dunkelheit das auge blendet, später dichtes kraut neben dem weg, das gedröhn des schnellwegs rankt sich den kamm herauf.
tief unten der Rhein, unsichtbar, hinter den perlenschnüren der buchfinken versteckt. Der weg wird noch steiler. müßte hier nicht? ja, da ist es, das Cafe. die aussichtsplattform hatte ich vergessen. ich trete ans geländer und lasse mein auge in die tiefe stürzen. ein greller dunst liegt über Andernach, das wasser ergießt sich strahlend in den himmel, die weinberge wie aus papier, vor den füßen schwimmt ein schiff lautlos stromauf wie laub.
glocken schwingen sich herauf, und plötzlich ist alles ganz fern. der fluß wie ein kreisel. und aus der tiefe steigt, aus silber herausgetropft, ein schwarm möwen auf.
Von dort zum hochkreuz ist es eine halbe stunde, ein ebener weg auf dem höhenzug entlang, ein fuß immer im rhein, der andere halb in den feldern. schießlich ein hohlweg steil hinauf zu einer lichtung mit grillplatz und einer zum feld hin freien seite, dort das kreuz, ein pompöses ding aus holz, riesenhaft und künstlich, mit der aufschrift „im kreuz ist heil“. merkwürdig. der roggen hat gerade geblüht, die apriltrockenheit scheint ihm nicht geschadet zu haben, stramm stehen die ähren, ich pflücke eine auf, weil ich es noch nie getan habe. erstaunlich filigran und verschachtelt, so ein halm, so eine ähre, so eine verblühte roggenblüte, viele häutchen um eigentlich nichts (außer weiteren häutchen), und man fragt sich, wie daraus mal ein korn werden soll.
vom brot ganz zu schweigen, aber das ist eine andere geschichte. ich denke daran, wieviel arbeit und mühe die normalen dinge wirklich kosten, und werfe übermütig eine handvoll roggenblüten in den wind.
schon seit einer halben stunde brüllt ein rind. kein muhen, ein brüllen ist das, wild, ungestüm, bockig. von seinen sirenenartigen stößen hallen die grüngewellten hügel wider. derweil lasse ich wasser an einem feld, das mit hülsenfrüchten bestellt ist. ein solches gewächs habe ich noch nie gesehen, brusthohe büsche voller schoten. falsch, denke ich, es sind hülsen. ich knacke eine hülse auf und begutachte die körner, klein, grün und glatt wie pfeffer, was das mal werden soll? erbsen? ich werfe die schote fort; dann biege ich falsch ab und komme an einem gehöft aus, das rind brüllt immer noch, ich ziehe die karte zu rat und kehre um.
als ich die kreuzung wieder erreiche, ist mein wasser verdunstet, und was nicht verdunstet ist, das hat die erde in sich aufgenommen. die sonne verklebt hinter wolken, kein lüftchen, die schatten enggerückt, vom weg schlägt die wärme zurück ins gesicht. endlich der bach, schlammiges glitzern am ende eines halb zugewachsenen pfades durch niedrigen laubwald. selbst der schatten fühlt sich klebrig an, insekten schwirren, alle zwei schritte zerreißt man spinnweben, wischt man sich eine winzige fliege vom schweißnassen arm. heiß war es auch vor einem jahr.
die bücher von damals fallen mir wieder ein. ich orientiere mich zeitlich an büchern, sie sind so etwas wie wegemarken, begleiter, kilometersteine, und, wenn die lektüre glückt, herbergen. ich glaube, es war „The Biographer’s Tale“ von A. S. Byatt. aber es war später im jahr, mitte juli denke ich. und ich lief nach Andernach nicht von Andernach. und ich photographierte eine ruine in einem verwunschenen garten, es war einer von jenen gärten, wie sie in den geschichten vorkommen, die man als kind liest. eine sanft abschüssige wiese, von einer mauer geborgen, der schatten eines baums, lichter im gras und in der dämmervollen tiefe ein haus, ein turm, ein schloß. welche geschichte hier ihren anfang nahm, das habe ich vergessen. aber manchmal strömt ein ort so ein gefühl aus, als sei man ihm schon einmal in der eigenen phantasie begegnet. wenn es keine geschichte dazu gibt oder man sie nicht mehr wiederfindet, denke ich, während ich dem bachlauf in richtung Brohl folge und der autolärm die geräusche des waldes zurückdrängt, dann müßte man sich eine solche geschichte erfinden.
kall–satzvey
der weg führt an zeichen vorbei, er lehnt sich sanft an uralte zeit, hat sich blinden göttern verschrieben, tempeln, die kiesel, erde und wieder baum geworden sind, tiefverwurzelten fundamenten, umgestülbten gewölben, treppen, die in einen acker, in binsen, in weidengestrüpp führen, oder in den leeren himmel. die altäre haben die götter vergessen, stumm und taub luden sie schatten auf schatten ins opferbecken, blinzelten ins licht der sommer jahr um jahr, verdämmerten unter schnee, ließen sich aufreiben vom wind und vergaßen endlich auch sich selbst. laub ruht nun zwischen stein und moos, und mancherorts, versteckt im wald, geduckt in den schoß eines grabens, halten gemauerte bögen dunkelheit im maul, um das sich kalksinter schalt. spräche man, riefe man in die öffnung, es käme nichts wieder, man bliebe mit der eigenen stimme allein. das blitzlicht tritt nur wenige schritte vorwärts, dann kommt es plötzlich zum halt.
anderwegs, eine viertelstunde richtung satzvey, krümmt sich der weg unter an- und abschwellenden lärm. die autobahn, ihr dröhnender schatten liegt wie dünung über dem rain.
artemis-kraut knistert im spröden wind. überm graben, im gesperr der schlehenzweige, wedelt einmal kurz die sonne, dann kommt der schatten zurück und die wolken hängen wieder feuchtnah überm pfad. abgetropft aus nacht und dunkel wuchern blickauf die raben in den baumkronen, lassen ihre schreie los, zerpflügen den frost, streifen den himmel, ein schwung, eine schwinge. gegenlicht: der schimmer bemeißelt ihren schnabel.
eine viertelstunde weiter, im tal, hat eine halbe brücke ihre bögen aus dem hang gespreizt. die mit Eichen bewachsene Steigung führen stufen aus holzbolen hinauf, in jugendliches gelächter, bunte daunenjacken, zerschabte kunstfaserrucksäcke und drei gelangweilte gesichter. plötzlich schweigen sie und starren, mit masken vor der blässe des wintergesichts. der brückenbogen ist mit einem gitter verriegelt. wasser floß hier über wasser einst. ein strom über dem strom. jetzt führt die trasse geradewegs starr hinaus in den himmel. die kinder albern, ihre kicherlaute zirpen wie vögel. vor dem fuß, versunken in laub, erde, abfallpapier aus einer zeit nach allen zeiten, entkneift sich der austritt gerade so eben dem erdreich. so lange floß hier wasser, daß stein wuchs im strom, eine koralle geronnenen äons. zeitungspapier ballt die faust, zehn tage regen und wind, die schrift kaum noch zu lesen. spuren: eine tiefblaue wasserflasche, aufgerissenes kunstoffbriefchen, zigarettenstummel. darüber zeigt, unter moos versteckt, das mauerwerk seine einzelnen steine. zwischen den greisen ziegeln und der zeitung von gestern: ein nichts, ein trockener hauch. wie nah man ihm auch kommt, der stein ist immer ein stück weiter. irgendwo rieselt erde.
die kinder sind fort. aus der ferne schlagen die glocken.