Mole

Das Wasser ist grün und hell. Das Licht hat viele Richtungen und kommt mit matten Farben über den Strom geschwommen. Libellen schwirren über die weißen Steine, erst allein, dann in aneinander verhakten Paaren. Wie heißt das, was die Libellen da tun, wenn sie, verkettet in Paaren, einen Hinterleib des Doppelkörpers ins flache Wasser über den Steinen lecken lassen, als wollten sie hastige Schlucke davon nehmen? Und wie machen die das, mit ihren insgesamt vier Flügeln, Gleichung um Gleichung komplizierter Aerodynamik zu lösen? Wir schauen es uns an und staunen. Das Licht bricht sich auf den Flügeln und auf der Reling der Boote und Schimmert silbern auf Blattunterseiten. Eine Gruppe von Kajakfahrern gleitet langsam den kleinen Hafen hinauf. Ihre Paddelblätter tauchen mit Feiertagsruhe ins Wasser. Wie könnte man auch nicht ruhig sein an diesem Ort, auf dem Wasser, mit den herbstlichen Pappeln und Weiden hoch am Himmel.
Deine Finger kribbeln in meinem Nacken, und ich schließe die Augen. Das Wasser gluckert, Dieseldampf weht herüber, ein Motorboot tuckert. Ich sitze schief an Dich gelehnt auf dem schrägen Stein, eine Hand auf Deinem Knie, mein Bein schläft ein und wird glücklich taub, die Angler lassen die Leinen schwirren, ich weiß nicht, wie das heißt, was die Libellen tun, eine prächtige Yacht gleitet vorüber, eine Geschichte von Geld und Erfolg, ich aber küsse Deine Hand und atme Deinen Duft, ich habe nur eine alte Jacke, aber Du hast mir einen Knopf geschenkt, ich küsse Deinen Mundwinkel, höre Dich seufzen und bin reicher als sie alle, ich bin der reichste Mann der Welt.

Aequinoctium

Himmel, geklemmt zwischen Wein, über Steine klettern die Burgen.
     Wo deine Braue beginnt, öffnet die Ferne den Tag.
Höher greifen die Türme, entziffern die Gleichung der blauen
     Säume des Morgens, vom Feld holen die Wege den Lenz.
Mühlen gründeln im Tal, im Rucksack meutern die Karten,
     Hügel holen den Fluß zwischen den Büchern hervor.
Nie ist es weit zu den Schiffen, der Abend hält schon die Lampe.
     Wo deine Braue beginnt, schließt sich die Ferne im Kuß.

Ströme, Strömung, stromern

Ein Licht, in dem die Uhren langsamer gehen und die Ströme träge im Kreis fließen. Du steigst niemals in denselben Fluß? An einem solchen Tag würdest du immer wieder aufs neue im selben baden. Du würdest dich naß machen mit den wiederholten Spiegelungen von Spiegelungen, und uraltes Licht von den Fingerspitzen wegschleudern. Du würdest waten in Geflüstertem und Anvertrautem, Gestöhntem und Gekichertem, Zettel mit zerlaufener Tinte, wo jemand seine Angst notiert und in den Strom geworfen hat. Irgendwo glauben sie, die Liebe festschließen zu können und dem Wasser den Schlüssel überantworten. Man will hoffen, daß das Wasser im Kreis fließt; wie soll sonst die Liebe immer neu beginnen?

Wie träge Schiffe auf dem Ozean schweben die Züge für Ewigkeiten zwischen den Bahnhöfen; am Ende sind sie alle doch pünktlich. Ins Licht wachsen die Wälder, Augen und Zungen hängen voll Laub. An den Füßen tummeln sich Mäuse; in allen Taschen trägt man süße Schatten mit sich herum. Auf so viele Arten kann etwas trocken sein. Samtig und kratzig und staubig, Alphabete des Knisterns. Fransige Lippen und spröde Wangen und warme Risse an den Händen. Küsse mit süßer Restfeuchte am tiefen Grund. Wie kühl sonnenhelles Haar ist. Wie flüssig dein Schatten über dem Wasser, mit Hut. Reife Früchte, Schoten mit Buchstaben darin, platzende Hülsen und Häutchen um die Seele von Nüssen. Zweifarbige schillernde Tugenden, bitter schmeckt der Herbst, und gut. Ein Sonnenstrahl kommt an den Serifen eines Blattrands zur Ruhe. Buntes stiefelt durchs Laub, das trägt Stock und Hut und ein Liedchen auf den Lippen: Nicht im Lenz, wie die meisten glauben, sondern im Herbst fängt alles an.

Zwischen den Schläfen geht der Himmel auf. An den Wimpern hängen die Hügel fest, Kastanien rollen vor dem Fuß davon, und in den Lüften über allen Stirnen: Ein Flugzeug mit Gebrumm. Um von Horizont zu Horizont zu gelangen, braucht es einen ganzen lang hingesponnenen Nachmittag. Da sind die Züge alle schon eingefahren, haben sich die Wege verirrt und verknäuelt und kennen deinen Namen nicht mehr. Die Nacht ruft sie zurück in die Schatten und sammelt alles Verstreute wieder ein. Aufgerollt und eingeschmiegt die Richtungen, Winkel und Fernen, der Kies, der Sand und Stimmen. Darin findet sich wohl auch dein Name wieder, irgendwo, versteckt, kichernd in einem uralten Holunderstrauch.

Fern von hier, an deinem Haus, war der Strom auch schon derselbe.

AEQVINOCTIVM

Möwen im Stillstand. Die Luft, zerhackt von Schnäbeln und Blicken,

lüftet die Flaggen am Strom. Alte an Leinen, ein Hund

führt ihre munteren Knochen spazieren, durch Schatten querhin, wo

Gelbgebleckter Jasmin kratzt Apostrophe ans Wehr.

Fleißig säht alles den Tag aus. Dort zieht schon, der Ferne entgegen

Plastik, in Falten, im Strom, Buntes, wie Polkas im Eis.

Rolandsbogen

Am Samstag überm Rhein. Aus dem Wald um einen Felskegel herum, ein paar flache Stufen, dann ist man oben. Oben: eine klirrende Fahne über dem eiskalten Strom, der Bogen ein steinernes Fliehen, vom Strom auf den Felsen, vom Felsen in die Wolken. Etwas wie schwarzer Draht ist um die Säulen gewickelt, bei näherem Hinsehen entpuppt es sich als eine Lichterkette. In der Mittagshelle starren die erloschenen Birnchen wie die Körper lebloser Käfer. Zwei Stufen weiter die leere Terrasse, nicht einmal zusammengeklappte Stühle oder eingefaltete Sonnenschirme, nur Steinplatten laufen auf eine Tür zu, die blind ist von Spiegelungen, das Siebengebirge mit dem körnigen Himmel darüber, der Bogen mit dem Käferkranz, eine merkwürdig schmale Gestalt mit riesendunklen augen, das bin ich wohl selbst. Mit der Nase an den Scheiben erkennt man einen Gastraum, und seltsam, die Tische sind schön gedeckt, Stoffservietten zu schlanken Pyramiden gefaltet, drei Sorten Gläser an jedem Platz, auch sie spiegelnd, sauber, bereit. Auf der Terrasse knistert etwas Laub vor sich hin, die Umfassungsmauer zuckt die Achseln, ein Stapel leerer Bierfässer, eine Guide-Michelin-Empfehlung klebt innen auf den Scheiben, alles spricht hier von einem Sommer, an den man nicht glauben kann. Endlos das Dröhnen der Güterzüge im Rheintal. Keine Vögel. Zwischen Nonnenwerth und dem hiesigen Ufer läßt sich eine Rudermannschaft treiben, die Riemen über dem Wasser schwebend, der Rumpf sehr schlank, es sieht aus wie ein Gliedertier, ein Wasserläufer.

Anderntags sitze ich im Zug nach Au (Sieg). Wenn ich schon nicht laufen kann, will ich wenigstens im Zug in Bewegung sein. Ich dachte mir, schaust du dir mal an, wie es da ist am Westerwaldrand, da warst du noch nie. Fuhr also hin, stieg aus, sah wie es war und fuhr wieder zurück. Wie war es: Schön. Die Strecke führt im Tal der Sieg entlang und überquert den derzeit stark angeschwollenen Strom mehrmals. Mal fließt der träge und läßt eine Ente auf sich schwimmen, dann geht es stürmisch glitzernd über Schnellen. Weiden und Pappeln stehen im Wasser und hängen voll mit verfilztem Schilfgras. Das Tal ist noch winterlich grau, Spaziergänger und radfahrende Familien sammeln sich auf den Uferwegen und tragen bunte Tupfer in die trübe Ferne davon. Im Baumdraht über den das Tal einfassenden Hügeln irrlichert es von Sonne und Wolken im Wechsel, ein Licht, das wie verdünnt ist, sich nicht entscheiden kann.

Der Ort selbst ist leer. Immer noch keine Vögel. Eine Straße führt vom Bahnhof hinunter, zwischen den Häusern blitzt etwas wie eine Wiese, davor schwingt sich eine Schnellstraße die Hügel hinauf. Mehrere Zuglinien fahren von hier noch weiter, ich lese Namen wie Dillenburg und Limburg auf dem Fahrplan, der überraschend kräftig gelb ist, nicht wie sonst auf Provinzbahnhöfen leichenhaft blaß hinter der angelaufenen Scheibe vor sich hin modert. Trotzdem scheint hier etwas zu Ende, macht dieser Ort, der, wie ich später erfahre nur einige hundert Einwohner zählt, den Eindruck einer letzten Station, hier noch einmal Wasser, Brot, Tee und Kocherbenzin einkaufen, bevor es losgeht in die Wildnis, die gleich da drüben, am Hang, der die Schnellstraße ansaugt und verschwinden läßt, beginnt.

Ein Paar in Festtagskleidung betritt den Vorplatz, Stöckelschuhe klappern. Der Bahnsteig ist überraschend belebt. Handtaschen, kleine Rucksäcke. Kinderwagen. In Köln muß sich der Sonntag anders anfühlen, sagen die Gesichter, in Köln wird jetzt schon Frühling sein.

Aber erst heute zittern an den Bahndämmen die Schneeglöckchen, als habe gestern mit dem Sonntag nicht nur die Woche geendet. Auf dem Weg zur Straßenbahn nach einer Schrecksekunde begriffen, daß, was man da eben gehört hat, ein Buchfinkwar.

Camping Genienau

Was noch vor ein paar Tagen unbeholfener Versuch war, ein prüfendes, tastenden Stolpern ins Schneelicht des Morgens hinein (man konnte nicht sicher sein, ob man sich nicht verhört hatte), das ist sich, zumindest hier im Rheinland, seiner vergessen geglaubten früheren Virtuosität wieder bewußt geworden, hat den Dreh wieder raus; und so tönt es jetzt aus den Büschen und Bäumen, perlend, hell, kraftvoll und so stolz, als müßte es die Verspätung wieder wettmachen: Die ersten Buchfinken.
Ende Januar war es letztes Jahr schon soweit, in einem Waldstück voller Sonnensäulen und eiskalten Buchenrinden; in der ferne schwebte die Godesburg, angehoben von Licht, während tief unten der Sonntagnachmittagsverkehr blitzte.

Wege von und zu der alten Wohnung. Argelanderstraße. Fluchtgedanken, wirre Pläne von einem Neubeginn, vom Wohnen auf dem Campingplatz oder im Wohnmobil, Ärger auf Nachbarn und den ermüdenden Autoverkehr vor dem Küchenfenster. Ich weiß noch daß ich in jenen Tagen Campingplätze wegen eines Dauerstellplatzes angeschrieben habe, und einmal bin ich sogar runter nach Mehlem gefahren, um mir einen anzusehen, ein trostloses Stück Wiese mit vereinzelten moosüberwachsenen Campinganhängern darauf, wie Findlinge schief und geneigt, die Fenster verrammelt oder blind vor Staub. Die Schranke an der Einfahrt war heruntergelassen und mit einem Vorhängeschloß gesichert, Verbotsschilder, hier gilt die StVO, der Name „Genienau“ krümmte sich, gestützt auf zwei Pfähle, verwittert und unleserlich über den Weg, irgendwo ein Blechschild mit der Hausordnung. Unbefugten Zutritt verboten. Ich ging trotzdem hinein, besah mir die Anschläge und Plakate vor der Rezeption, drückte die Klinke, abgeschlossen, keine Klingel, keine Öffnungszeiten, in den Fenstern undurchdringliche Vorhänge. Ich sah nur mein eigenes ratloses Gesicht in den Scheiben. Auch die Türen der Sanitären Anlagen waren alle verriegelt. Nirgendwo auf dem Platz ein Mensch, in den Hecken eine Menge Spatzen, Möwen vom Rhein, nur draußen auf dem Feld ging eine einsame Frau mit Dackel.

Viel später erfuhr ich, daß das Wohnen im Campinganhänger in Deutschland nur unter strengsten Auflagen möglich sei. Was kann man auch anderes erwarten in einem Land, in dem Wartehäuschen mit einem Spalt für Zugluft versehen und Sitzgelegenheiten auf öffentlichen Plätzen und in Bahnhöfen so unbequem wie nur möglich gestaltet werden, damit nur ja keiner auf die Idee komme, sich dort hinzulegen?
Ich drehte noch eine Runde um das Gelände, stieg den Feldweg hoch zur Straße, fand die Hänge einladend und schön, kehrte zum Fluß zurück. Drüben der Drachenfels, sehr steil, das Schloß auf seinem Gipfel massiv und bedrohlich. Der Rhein hatte wenig Wasser und war braun, spiegellos, in den trockenen Kieseln lag eine milchig abgewetzte Wodkaflasche. Ich begriff, daß ich hier niemals wohnen würde. Nicht am Rhein, nicht in einem bemoosten Wohnwagen auf einem Platz ohne Dusche oder Waschbecken, nicht im Schatten des Drachenfelsschlosses, überhaupt nirgendwo. Traurig machte ich mich auf den Weg von dort, wo ich nicht wohnen würde nach dort, wo ich nicht mehr wohnen wollte.

An jenem Tag also der erste Buchfink. Vor ein paar Tagen bin ich dort auf einem Lauf von Rolandseck nach Hause wieder vorbeigekommen. Das Schloß noch höher, wackelig balancierte es knapp unter den Wolken, die Brombeeren ebenso braun wie vor einem Jahr, von den Wohnwagen fehlten die meisten. Aber die Sonne kam durch, viele Spaziergänger hatten die Hoffnung auf Frühling noch nicht aufgegeben, machten einen weiteren Versuch, und die Buchfinken hatten den Dreh endlich auch wieder raus.

Rheinbrücke

Und ich will aber, daß du auf mich aufpaßt, trotzdem, hat sie einmal geschrieben.
Die Möwen auf dem Geländer der Rheinbrücke sind alle in der gleichen Richtung gesessen, die Schnabelblicke wie die Zuschauer in einem Theater auf den vorbeifließenden Verkehr gerichtet, in einer langen Reihe, dichtandicht, die Schnäbel zur Straße, weg vom Wasser. Es war Winter, als sie so dasaßen, in einer Reihe. Flügel an Flügel. Manchmal bauschte sich Gefieder, wenn eine Bö hineingriff, ansonsten saßen sie alle still da, einvernehmlich nebeneinander und ganz still. Amüsiert die der Stau, habe ich mich gefragt, die Verkeilung von Bus, Straßenbahn und PKW, das fröstelnde Flitzen der Radfahrer?
Das müßte ich ihr schreiben, habe ich gedacht, das müßte ich E. erzählen, das würde ihr gefallen. Wie sie da sitzen, aufgereiht auf dem Geländer, alle die Schnäbel in eine Richtung, du hättest gelacht, nicht?
Ich krallte die Hände in die Lehne des Sitzes, gab das Fokussieren auf, und während ich in die Glitzersterne überm Wasser flog, habe ich gedacht, wie traurig Flüsse sich anfühlen können.

Andernach–Brohl

Vom bahnhof Andernach (der kiosk geschlossen, die glastür voller dunkler spiegel) geht man zuerst an den taxis vorbei, in richtung stadtkern, eine lange, von bäumen gesäumte straße hinunter, bis zu einem kreisverkehr, dort schräg hinauf, und wenn man aufpaßt, begegnet hier schon die erste markierung. halb wußte ich ja noch den weg von letztem sommer, nur hätte ich rückwärts laufen müssen, um alles wiederzuerkennen, jenen vorgarten, hier ein hübsches fenster mit gemütlichkeit, die nichts von mir wissen will, dieses wegekreuz mit dem rosa jesus daran, aber auch das aufmerksamste rückwärtsgehen hätte mich nicht zurückgebracht. Steil geht es am Ortsrand aufwärts, unter dem gedröhn eine schnellstraße hindurch, betonpylone, schwindelnde kurven, dann eine unterführung, deren dunkelheit das auge blendet, später dichtes kraut neben dem weg, das gedröhn des schnellwegs rankt sich den kamm herauf.
tief unten der Rhein, unsichtbar, hinter den perlenschnüren der buchfinken versteckt. Der weg wird noch steiler. müßte hier nicht? ja, da ist es, das Cafe. die aussichtsplattform hatte ich vergessen. ich trete ans geländer und lasse mein auge in die tiefe stürzen. ein greller dunst liegt über Andernach, das wasser ergießt sich strahlend in den himmel, die weinberge wie aus papier, vor den füßen schwimmt ein schiff lautlos stromauf wie laub.
glocken schwingen sich herauf, und plötzlich ist alles ganz fern. der fluß wie ein kreisel. und aus der tiefe steigt, aus silber herausgetropft, ein schwarm möwen auf.
Von dort zum hochkreuz ist es eine halbe stunde, ein ebener weg auf dem höhenzug entlang, ein fuß immer im rhein, der andere halb in den feldern. schießlich ein hohlweg steil hinauf zu einer lichtung mit grillplatz und einer zum feld hin freien seite, dort das kreuz, ein pompöses ding aus holz, riesenhaft und künstlich, mit der aufschrift „im kreuz ist heil“. merkwürdig. der roggen hat gerade geblüht, die apriltrockenheit scheint ihm nicht geschadet zu haben, stramm stehen die ähren, ich pflücke eine auf, weil ich es noch nie getan habe. erstaunlich filigran und verschachtelt, so ein halm, so eine ähre, so eine verblühte roggenblüte, viele häutchen um eigentlich nichts (außer weiteren häutchen), und man fragt sich, wie daraus mal ein korn werden soll.
vom brot ganz zu schweigen, aber das ist eine andere geschichte. ich denke daran, wieviel arbeit und mühe die normalen dinge wirklich kosten, und werfe übermütig eine handvoll roggenblüten in den wind.
schon seit einer halben stunde brüllt ein rind. kein muhen, ein brüllen ist das, wild, ungestüm, bockig. von seinen sirenenartigen stößen hallen die grüngewellten hügel wider. derweil lasse ich wasser an einem feld, das mit hülsenfrüchten bestellt ist. ein solches gewächs habe ich noch nie gesehen, brusthohe büsche voller schoten. falsch, denke ich, es sind hülsen. ich knacke eine hülse auf und begutachte die körner, klein, grün und glatt wie pfeffer, was das mal werden soll? erbsen? ich werfe die schote fort; dann biege ich falsch ab und komme an einem gehöft aus, das rind brüllt immer noch, ich ziehe die karte zu rat und kehre um.
als ich die kreuzung wieder erreiche, ist mein wasser verdunstet, und was nicht verdunstet ist, das hat die erde in sich aufgenommen. die sonne verklebt hinter wolken, kein lüftchen, die schatten enggerückt, vom weg schlägt die wärme zurück ins gesicht. endlich der bach, schlammiges glitzern am ende eines halb zugewachsenen pfades durch niedrigen laubwald. selbst der schatten fühlt sich klebrig an, insekten schwirren, alle zwei schritte zerreißt man spinnweben, wischt man sich eine winzige fliege vom schweißnassen arm. heiß war es auch vor einem jahr.
die bücher von damals fallen mir wieder ein. ich orientiere mich zeitlich an büchern, sie sind so etwas wie wegemarken, begleiter, kilometersteine, und, wenn die lektüre glückt, herbergen. ich glaube, es war „The Biographer’s Tale“ von A. S. Byatt. aber es war später im jahr, mitte juli denke ich. und ich lief nach Andernach nicht von Andernach. und ich photographierte eine ruine in einem verwunschenen garten, es war einer von jenen gärten, wie sie in den geschichten vorkommen, die man als kind liest. eine sanft abschüssige wiese, von einer mauer geborgen, der schatten eines baums, lichter im gras und in der dämmervollen tiefe ein haus, ein turm, ein schloß. welche geschichte hier ihren anfang nahm, das habe ich vergessen. aber manchmal strömt ein ort so ein gefühl aus, als sei man ihm schon einmal in der eigenen phantasie begegnet. wenn es keine geschichte dazu gibt oder man sie nicht mehr wiederfindet, denke ich, während ich dem bachlauf in richtung Brohl folge und der autolärm die geräusche des waldes zurückdrängt, dann müßte man sich eine solche geschichte erfinden.