aus dem stundenbuch

arbeitsmüde bin ich nicht, ich tue ja doch nichts, kaum etwas. aber ich bin wohl der täglichalltäglichen orte müde, nicht mal wochenends bin ich draußen gewesen seit wochen, in der eifel oder mal, was weiß ich, in der fremde, zwischen andern wänden, über andre straßen, unter fernwolken, die meine aufmerksamkeit einfordern. dieselben haltestellen, dieselben fahrpläne, dasselbe fußgetrippel, dieselbe plakatwand tagaustagein, derselbe baum hier, dasselbe schlagloch hier, jeden nachmittag gegen den wind, jeden abend mit dem wind. die handgriffe sind schal und zerfallen in den fingern wie mehliger apfel im mund.

ich will raus. ich will wieder mal ein gewicht auf den schultern haben. will mal wieder eine straße vor mir, eine herberge hinter mir haben. ein gebüsch teilen, durch einen eisbach waten, einen verborgenen pfad gehen, auf einen gletscher blicken, das meer sehen, nach schwämmen tauchen, sternennächte ausstrinken statt zu schlafen.

einmal nicht wissen, wo der weg auskommt.

wald der möglichkeiten

Beschäftigung mit den verwandten Plänen anderer wirft sich zurück auf meine eigene Situation und weckt prinzipielle Fragen auf, die, nein, nicht schliefen, aber immer wieder glücklich sich verdrängen ließen und lassen. Immer wieder am selben Punkt. Ich bin doch schon da, wo ich hinwollte. Oder nicht? Ist das Aufgeben des Veröffentlichungsgedanken nur ein Rückzug, ein selbstbetrügerischer Verzicht, gewissen zu sauren Trauben nicht unähnlich? Und zufrieden kann ich erst sein, wenn ich mit dem „Werk“ zufrieden bin. Und von dessen Ausformung in einer Gestalt, mit der ich zufrieden wäre, bin ich fürchterliche Meilen entfernt, oder besser: Jahre.

Klar, danach wäre etwas Neues zu erringen. Aber dann hätte ich doch wenigstens schon mal was. Etwas Abgeschlossenes, auf das sich blicken ließe. So hänge ich mir selbst im Raum meiner Träume und Ansprüche fest. Ich schreibe noch nicht, ehe ich geschrieben habe.

Daß aber nur als Lebensweltproblem. Davon unabhängig sind die technischen Probleme

Und die sind schwer zu erfassen.

Dramaturgie? Szenengestaltung? Spannungsaufbau? Wechsel von beschreibenden und erzählenden Passagen? Was sage ich wann wie? Aber wieviel läßt sich überhaupt lernen?

Ein Exposé hab ich schon oft versucht. Problem (und da kann mir kein Kurs helfen): Es ändert sich ständig. Ich kriege keine story line zu fassen, die dem Eindruck, den ich vermitteln will, angemessen wäre. Hab schon zig Handlungsverläufe und Konstellationen durch. Es kommt nicht das raus, was ich will.

Ich zäums von hinten auf. Stehe am Ende und frage mich, wie es dazu kommen konnte, in den vielen Einzelheiten, die so arrangiert sein wollen, daß sich ein ganz bestimmter Eindruck daraus ergibt. Sich im Kopf des Lesers quasi synthetisiert aus dem vielen Einzelnen, das ich zu diesem Zweck anordnen muß. Es muß etwas geschehen sein, damit dieses Ende so zustandekommen kann. Das Problem ist das, was am Ende nach- und mitschwingen soll. So wie sich das Gesamtgeschehen einer Symphonie angehäuft hat, wenn der Schlußton verklungen ist. Die gesamte Stimmung ist nur in wenigen Absätzen aufrechtzuerhalten. Ich weiß nicht, welche kleinen Schritte (Wörter, Sätze, Phrasen) ich wie zusammenstellen muß, um eine bestimmte Gesamtatmosphäre zu erschaffen, die gleichsam in den Schlußsätzen mündet und in ihnen gipfelt. Ich kann nicht einfach drauflosschreiben und mich selber überraschen. Ich fühle mich ein bißchen wie ein verrückter Ingenieur, der einen Haufen Drähte, Stahl, Plastik und Schaumstoff in die Luft wirft und hofft, daß sich daraus eines Tages ein Flugzeug ergibt. Das Ergebnis steht schon fest, aber wie dahin gelangen? Und dazu ist es ein so diffuses Ziel, daß ich mich selbst verlaufe im Wald der Möglichkeiten.

automobilia

zum beispiel autos. stünde es in meiner macht, ich würde jegliche private kraftfahrzeugnutzung untersagen. ich will eine welt, in der kraftfahrzeuge nur gelegentlich vorkommen. ich will diese dinger aus der welt haben und mit ihnen autobahnen, verkehrsampeln, parkplätze, gigantomanische supermärkte, parkhäuser und was der paraphernalia mehr sind.

nun gibt es zur stützung der these, daß eine autofreie welt die bessere welt ist, eine menge rationaler argumente, und die wenigen argumente dagegen lassen sich im allgemeinen leicht entkräften. aber das ist für mein wollen zweitrangig. ich habe diese ablehnung nicht, weil es die argumente gibt, sondern ich ziehe die argumente heran, weil ich diese meinung habe. zur bildung dieser meinung sind sie unerheblich gewesen. wenn ich also diskutiere, dann nur deshalb, weil ich predige, weil ich missioniere. das ist das fundamentalistische daran, deswegen bin ich fundamentalist. die wahrheit steht schon fest. aber um sie für jünger, die die offenbarung nicht erfahren haben, akzeptabel zu machen, braucht es vernunftsgründe.

so ziehe ich argumente nur heran, weil und wo sie mir in den kram passen. das heißt, ich benutze zufällig passende vernunftsgründe nur, um für bzw. gegen eine sache zu sprechen, die für mich jenseits aller vernunft, jenseits aller diskussionen längst entschieden ist, entschieden selbst für den fall, daß alle oder einige dieser argumente wirkungslos werden (etwa durch bessere technologien): selbst im falle das auto weder in produktion, noch in betrieb und entsorgung auch nur den geringste umweltschaden verursachte, selbst wenn es schon seit jahren keinen verkehrstoten mehr gegeben hätte, meine position der ablehnung bliebe dieselbe. ganz einfach, weil es mich stört. persönlich. weil ich es für ein symptom von großschnäuzigkeit, wichtigtuerei und anzugsheldentum halte. weil ich mich beschnitten und beengt fühle. weil es für mich ein symbol für eine ganze wirtschafts-, gesellschafts- und lebensordung ist. eine lebensordung, die ich aus ganzem herzen ablehne.

fundamental

früher hielt ich toleranz für eine prima tugend. ihre grenzen, oder vielmehr die grenzen meiner eigenen toleranz sehe ich heute deutlicher. wie ich schon schrieb: ich habe begriffen, daß ich in gewissen dingen ein fundamentalist bin. das bedeutet, daß ich für mich eine absolute position einnehme, die mit argumenten nicht mehr erreichbar ist. daß es mir in gewissen dingen gar nicht mehr darum geht, mich zu einigen, weil ich die antwort auf die vorliegende frage schon festgelegt habe. ich sehe klarer, wann ich überhaupt nicht mehr argumentieren will, sondern nur noch durchsetzen, was meins ist.

dabei bin ich natürlich nicht so naiv wie der rest der fundamentalisten, die glauben, ihre wahrheit sei für alle die wahrheit, oder die dem anderen mit gewalt ihre wahrheiten aufzwingen wollen. nur: ich lasse mich nicht mehr überzeugen, weil ich diesen prozeß für mich abgeschlossen habe. (in den bereichen, in denen ich fundamentalist bin) was bedeutet, daß ich mich auf die kärglichen freiräume beschränke, in denen das meine absolute geltung haben darf. ich fliehe.

selbstentlarvung, unfreiwillig: sich informieren, wie man gegen fundamentalisten argumentiert (ohne den verstand zu verlieren), und darüber die feststellung machen: man ist selber einer!

freilich auch schön: wenn ein erboster rezensent des buches genau einen derjenigen tricks anwendet, die der autor in seinem buch analysiert. und sich damit gleichfalls als fundamentalist mit fundamentalistischen argumentationsstrategien zu erkennen gibt.

ich glaubte schon das meer an den fühlerspitzen, vermeinte schon zu schwimmen augenblicks und jeden moment unterzugehen in ihr, doch dann war die stunde wieder umzäunt und gezäumt, und lautes ticktack schlug hölzern von den wänden wider.

meine wetterfühligkeiten lauschen nun. mein verlangen grapscht nach ungezäumten stunden, die gleichfalls so hell wären wie jene. woher weiß man, daß nicht noch eine hellere kommt? erstemale lassen sich niemals wiederholen. das macht sie zu gefährlichen raubtieren.

ein feuerreif spiegelt sich in katzenaugen … das birgt die gefahr, langsam aufgefressen zu werden. im voraus.

der 1. mai

Unsere Füße verwirbeln Sonnenlicht, über uns fällt Blauduft nieder, und unsere Finger zerkrümeln die süßen Stunden dieses ersten Sommertages. Während die die Uhren langsamer gehen, duften Arme, Hände und Wangen. Träge wälzt sich der Fluß. Im hohen Gras schwimmt ein Hund.

Früh aber wird es dunkel und das junge Jahr reckt verschlafen die Glieder. Unterm müden Himmel duftet die Wiese. Fledermäuse weben die Nacht herunter. Die Kaninchen fliehen vor den lauten Leuten; uns aber bemerken sie gar nicht. Stimmen deuten und zeigen, Worte sprechen und verschweigen und lächeln dann still. Unterm Kopf schwelgt die Erde im Tau. Wolken spannen sich durchleuchtet von hier nach dort, zwischen fernem Geäst blitzt noch der gelbe Himmel, dann verkrusten die Farben und gerinnen zu vielfach ineinandergestellten Flächen. Wir schauen und sind müde und froh.

Das Dunkel verflüssigt sich in unseren Kehlen zu Wein.

noch ganz ausgebreitet unter tageslauben und wolkenzug, und traumverstreckt mit allen wurzeln am wochenende festhangend …

dachschrägen bergen zweimal gehäut, regen kichert draußen die scheiben herab, und die wände sind unschamhaft und mild.

blubberbadewasser hat uns was ins ohr geflüstert. empfänglich für solche hypnose geschieht’s, daß manch ein wagbares gewagt wird. was ich grade sagen wollte, sagt augenblicks sie. ich nicke. und sie tut es. die wanne knarzt. nicht alles geschieht, was möglich wäre. dazu wars freilich zu früh. die wände fingen auch plötzlich laut zu plappern an.

hingeblättert
hergeblümelt
sumpfgezwinker
kissenwurz
über moosen zittergras
handrose & fingerlilie
(streublumen, freublumen)
bocksbart, steißenblatt und
schwerenot:
wildverbiß –
zwischen himmeln
himmelsschaukeln
schwingen, wackeln, streifen &
huch! – nabelschau.
hügelhin und hügelher
noch viel raum – bauchan bauchab –
für zuckerbrunnen
kressenwürze
zungenschaumkraut
& noch manches
namenloses
wildwuchshaftes
unerhörtes
in den stillen kämmerlein
gänsehäutchen
schauerampfer
daumenkirsche
pilzfruchtkörper,
knabenkraut & Aaronstab,
mädchensüß & frauenmantel
schilfrohrzäune
heimlich bergen
mittagskind & nöckenzauber
blütenschiffe
gondoliere
zwischen stern und stern