die blitze zuckten, ohne der dunkelheit raum zu lassen, sich dazwischen niederzusenken; so lag man geblendet bis unter die geschlossenen Lider, und noch im niederfahren des richtungslosen lichts zerbrach schon der donner am himmel, jeder neue schlag noch ins verhallen des früheren hineinkeilend.

unruhe kam auf, sirenen heulten weit hinter dem regenrauschen. im nebenzimmer wurde ein stecker aus der dose gezogen. mühsam erhob auch ich mich, wankte schläfrig zum schreibtisch, nahm das notizbuch vom stromnetz.

später, nach dem wiedereinschlafen und wiedererwachen, finsterten tropfen in eine gewaltige stille hinein. ich wälze mich aus dem bett, fingere nach einem kugelschreiber, erahne mehr als ich sehe, wo die letzte reihe buchstaben endet und setze blind darunter: die die stille nicht vorrückten.

Lance gegen Patroklos

schreibt mir jemand auf meinen artikel, man habe es insgeheim schon geahnt, daß ich von diesen dingen keine ahnung hätte und es wahrscheinlich auch gar nicht wissen wolle; das könne man zwar tolerieren, es sei aber schwer vorstellbar.

es stimmt allerdings, es macht mir nichts aus, mehr noch: ich will es gar nicht wissen, ja, ich ärgere mich gar darüber, daß die information, wer Lance Armstrong ist, in meinem gehirn jetzt vielleicht den speicherplatz belegt, auf dem etwas für mich wissenswertes liegen könnte, das ich gleichwohl und zu meinem verdrusse nicht weiß, zum beispiel, welcher von beiden, Hektor oder Patroklos, Achills freund war. (ich glaube, es war Patroklos). Da kann man sehen, ich weiß sicherer, wer LA ist als wer Patroklos ist, ich weiß sogar das mit den siebenmaltourdefrance und die details über seine erkrankung, die ich noch viel weniger wissen will, und ich weiß es, obwohl ich nichts, aber gar nichts getan habe, diese informationen zu suchen, geschweige denn, sie mir zu merken. das macht mich rasend. irgendwer muß es mir ins hirn gehämmert haben, diese absolut nutzlose, irrelevante, ballasthafte wissen. und vergessen ist manchmal weit schwieriger als merken.

anfangs strudelte hitze um die beine und sprang aus dem kraut in die wege, sonnenlicht drang auf die stirnen und ermattete die lider, so ging man sparsam und leise, redete viel („hat wohnen einen imperativ?“ „warum tun sich so viele mit latein so schwer?“), aß himbeeren, die wie kleine geschmackssonnen über schattengesträuch schwebten, ließ sich endlich in baumesschatten nieder, still streckte sich der see, eingesunken in sein bett.

(haben seen betten?)

während jedoch schon am himmel sich einiges heimliches streuwolkiges beisammenfand zu grauweißem spiel. bevor es dort ernst wurde, gab es aber nach einigem auf und ab und grünen schatten und über allerlei pferdeäpfel hinweggeschritten, wiesen rechts und links, und immer mal wieder kalkweiß der stille stausee: bergische kaffeetafel.

gesättigt, verklebt von soviel kirsche und eis und zuckriger waffel, nahm man den weg wieder auf, verirrte sich auf der flucht vor der straße, sah pferde unter bremsenstichen leiden, ärgerte sich mal wieder über schokoladenpreise; dann, schon auf abwegen, tat man das einzig vernünftige, nahm denselben weg zurück, den man gekommen, und da hatte es schon zu nieseln begonnen.

viele pferdeäpfel später hatte sich das laubdach der buchen vollgesogen und der regen pladderte mittlerweile munter. das hemd klebte, plitschtropen trafen braue, nacken, ohr, glatze, der weg vermatschte, die pferdeäpfel fielen auseinander. die pferde freuten sich, denn das geschmeiß suchte schutz und war gar nicht mehr zum stechen aufgelegt.

„nicht so schnell, nicht so schnell“, tönte es hinter mir, doch der regen trieb die beinchen von alleine an in richtung parkplatz. am schluß noch brillenloses ausweichen grell aufleuchtend entgegenkommender fahrzeuge, denn zuletzt blieb nur die straße.

in köln deutz angekommen war man fast schon wieder trocken.

tagelied

der abend freut sich schon auf deine küsse. Um den weiher wogte riedgras schon die ganze mondnacht hin und vorüber, und immer schnabelvoll enten weiterfort, plapperten zu ihresgleichen weggesponnen. da hab ich gewartet einen sternenschein lang. heiser fragt später der morgen, ob du schon gehen mußt. dann vergrabe ich wieder das antlitz im laub. zurückgewiesen deckenwärts zahnt es mir im munde schmerzvoll, ragt sperriges am türangelquietschen vorbei. ach, deine schönheiten sammeln sich zu fliehenden scharen, wenn meine hand nach dir greifen will, ein vogelruf ertönt, und so sind sie davon und haben das mittagslicht zersprengt. es bleibt ein hauch schweiß unter den geschlossenen lidern. es bleibt der abend, der sich auf dich freut.

im wind, der gestern die fäuste ballte gegen baumeswiderstände, häuserzeilen und augenwimpern, wisperte es schon, wisperten schon die bekannten stimmen. noch ist alles sehr hell; wieder ist die zeit des verschlafenen lichts, des sturms. die städte haben sich gelehrt, die pflichten sind getan, die arbeit ruht, und mit ihr des sommers grelle und lauthalsigkeit. der letzte buchfink ist dem gedächtnis schon entschlüpft und hat die leichtigkeiten und sprühseligkeiten, das fruchtgedüft eines heranbrausenden sommers mitgenommen und eingetauscht gegen das grübeln eines stehenden. die linden haben die süße zusammengerollt und weggenußt, und nun bleibt: des sommers schwere, das schweigen des lichts und das reden des windes, die matten straßen und das warten auf ernte und frucht.

nach der prüfung

was ihn wieder einmal am meisten befriedigt: (vermutlich) besser gewesen zu sein als die anderen. am meisten freut ihn nicht, daß seine übersetzung stilistisch und grammatikalisch einwandfrei und vielleicht sogar elegant ist; nicht, daß er alle vokabeln, wenn nicht gewußt, so doch richtig geraten hat; nicht, daß ihm keine konstruktion durch die lappen gegangen ist, nein:

er war besser als die anderen, das ist es.

“ganz schön abscheulich”, grinst er bei sich.

vor der prüfung

Die luft so schal und schwer und unbeweglich, als hätte sie ein riese schon einmal geatmet. keine flugbahn erlaubt das stille brüten, keinen vogellaut. schweiß bricht unvermutet aus und füllt den raum zwischen stoff und haut mit poriger klebrigkeit. magenzusammenziehungen künden schwerstarbeit an, greifen voraus auf leere blätter, nehmen sich schonmal siegel und linierung vor. die mauern fenstern grimmig, augenhinterlos, als sei schon über jede zukunft das los geworfen. über den bahnsteig hin wölkt es von schimmernden vokabeln. an den zeigern der uhren versammeln sich seitenzahlen.

die schritte fallen auf einen termin zu. unbesehen kräuselt sich das blut.

aus dem stundenbuch

so viel tagessteine und jahresringe ich mir auch angehäuft hab, zum blumenstolz meiner fußspuren, ich kann die stimmen, die

sirenenstimmen

nicht niederleben. doch auch das bescheidene wachs ist mir gällig, das machen, das machten andere zuhauf zuunwerthauf, das ist nicht meins, lieber, ja, lieber zerschellen und stolzes unglück tragen wie ein prachtgewand.

hab mich doch einst, wiedergekehrt aus der stadt am ende des jahrtausends, nach leidendem mute benamst. nun will ichs dulden.

immer mehr himmel fahren sich auf, und sind immer fremdere himmel. ich kehre zu den fernen inseln zurück, unerreichbar wie je, kythera, thule, ogygia, doch nun tragen sie andere masken vor den lieblichen gestaden. ich kenn sie ja gar nicht. selbst die phantome wechseln das antlitz. frei zu sein glaubte ich. nun hat mir ein dieb nächtens die träume gestohlen, sie weitergeschenkt, vergraben, in göttereschen gehängt, nun bin ich ohne sie frei. bin so schrecklich frei, daß ich gehen kann, wohinimmer ich will. ich schmecke den pollen, ich sehe die weite, ich verachte das wetter, ich stemme die wolken, ich höre die stimmen, neue und neue, ich muß es dulden.

auf dem weinfarbenen meer.

vom schreiben

mir geht auf, daß mir das von mir am besten gefällt, das mich selbst überrascht. so, als wäre es von jemand anderem. ohne jedoch nachahmung zu sein. so, als spräche durch meinen mund eine andere person. vielleicht ist es ja das gefühl, zu dessen erklärung die alten die musen bemühten.

Da liegst du so reizend und schöngliedrig um die grüne Decke gewickelt zwischen Sonne und Sonne, duftend und Müdigkeit ausseufzend, und ich, ich muß schon gehen, mich entwinden, raus in die müde Straße, ins Licht, unter die Menschen. Das ist nicht gerecht. Gerecht wäre, die Tür gegen den Lärm zu verriegeln, einen Blumenteppich aus Winzigküssen über dich zu breiten, einen kühlen Hauch auch, Zwiesprache mit deiner Haut zu halten und alle Zeit des Morgens deinem Wachwerden zu schenken.

Die Tage werden kürzer, die Pfützen dunkler, die Buchfinken verstummen einer nach dem anderen, und der Himmel ist fliehend und hoch: Aufgestiegen aus den Tiefen der Dämmerung stürzt nun der Sommer dahin. Noch merkt man den Tagen ihr Schwinden nicht an, und daß die Buchfinken schweigen, fällt lange nicht auf, bis der letzte still geworden ist. Aber die Straßenbahnen schrillen langsamer um die Kurve, das Morgenlicht tastet sich träger als gestern über die Scheiben, die Menschen sind müde oder haben die Stadt vor Tagen verlassen. Das Leben ist anderswo in diesen seltsamen Hochsommerwochen, ist an Stränden, auf Inseln, auf Berggipfeln, im Eis. In der Fremde, während Haus, Hof, Straße und Café vom hektischen Frühling träumen.

Es ist merkwürdig: Das, was eine reiche und volle Zeit später ausmacht, ist gar nicht der Höhepunkt, sondern das Mehrwerden, das Wachsen, ein Noch-nicht voller Verheißung. So wie die Verheißung stets mehr ist als ihre eigene Erfüllung.

Das war so seufzschön gestern, daß mir die finger sprachlos jetzt über der tastatur hängen und in ihre eigenen erinnerungen an gefühltes und erfühltes und angefühltes versponnen sind … deine wunderbare haut ….

Ach, und nun muß ich los zur kühlen abstraktheit nicht mehr gesprochener sprachen …..

Oh, er sah es genau vor sich, während sein Mund trocken wurde und andernorts an seinem Körper sich Leben zu regen begann, sah es genau.

So: Sie würde sich offenhalten, daß er besser drankäme, würde die Farne teilen, den Teich mit Tau ihm hinhalten, gefüllt bis an die obersten zarten Böschungen; mit beiden Händen griffe sie von unten her um die gewinkelten Dünen, mit den Fingern zöge sie die Petalen auseinander, daß sie sacht klaffen würde; ein Taufädchen würde sich von Gefältel zu Gefältel über Mulde, Rinne und Senke spannen, zittern, dünner werden, schließlich träge reißen, und die Öffnung würde seufzend zucken, wenn die Bananenspitze kühl und gierig ihre Wärme berührte.

Knatschen war ihr Wort für das Geräusch, das entstünde. Er nannte es schmatzen.

Lateinische Fundstücke: Marmorstein & Eisen …

Das Problem der späten Dichter: Es ist schon zuviel gedichtet worden. Glücklich, wer, am Beginn stehend, den ganzen ungehobenen Schatz der Sprache, das Riesenkaleidoskop des noch nicht Ausgesprochenen, Schlummernden, Verfügbaren überblickend, seine Geliebte noch mit einer Rose vergleichen durfte. Was müssen das für Zeiten der Frische und des Beginns gewesen sein, wo ein solcher Vergleich unerhört und aufregend und betörend war. Was bleibt uns denn noch? Bemühen müssen wir uns, zusammenkratzen, weitherholen, erkünsteln. Zu retten ist nichts. Wir sitzen auf einem schwindenden, allzu lang schon der Plünderung anheimgegebenen Hort.

Da ist zum Beispiel dieses, das vielleicht damals, vor 2000 Jahren, auch schon nicht mehr taufrisch war …

alta prius retro labentur flumina ponto,
annus et inversas duxerit ante vices,
quam tua sub nostro mutetur pectore cura:

„eher die hohen Flüsse zurück in die See werden strömen,
wechselnder Jahreszeit eher sich kehren der Lauf,
als daß in meiner Brust sich die Lieb für dich würde wandeln.“

Tja, mein lieber Drafi, so alt ist dieser lyrische Gedanke schon. Mindestens.