Aufarbeitung (1)

Ich gewöhne mich. Ich wage, mich ohne sie, sie ohne mich zu denken. Das geht schon ganz gut. Wieder einmal bemerke ich meine starken und schnellwirkenden Selbstheilungskräfte. Dennoch liegt mir der drohende Tag im Magen, an dem E. mehr nicht nur verliebt, sondern auch zusammen sein wird, mit dem Großbuchstaben-Ihm. Dem Andern eben, der nicht mehr ich bin.

Ich komme leichter über alles hinweg, wenn ich zu denken wage: Auch du hattest deine Zweifel. Auch ein Teil von dir wollte nicht mehr. Auch du gucktest wieder hin und vergucktest dich. Auch du wolltest dich schon trennen, oder sahst das als einzigen Ausweg. Freilich kann auch ein Trennungswunsch ein falscher Wunsch sein, der schadet oder blindlings wütet — ohne zu begreifen. Aber er war da, der Wunsch, in Kauf nehmend.

Aufarbeitung (2)

Diese Sehnsucht und Gier wird doch wieder nur dazu führen, daß ich nicht wähle, sondern daß es die erstbeste wird. Wie schon E. die erstbeste gewesen ist – um sich dann auch als die erstrichtigste zu erweisen, bis auf jene klitzekleine wichtigste Kleinigkeit, manche sagen auch: Nebensache, der Welt.

Wenn auch dies gestimmt hätte und wir darin überein – wo wäre ich dann jetzt. Noch zermalmter, als ich es so schon bin.

Aufarbeitung (3)

Alteram Venerem tecum habere volebam, novam Venerem et quae nos renovare posset. Alteram Venerem volebam tecum, non nullam. Pristinam ferocitatem corporis animique, qua olim iungebamur, redinvenire volui.

Nunc autem cor tuum vagatum est longe et vidit quem amare vult. Meum ipsius cor quoque vagabitur per planities et silvas et montes; at videbit amabitque nullam.

Aufarbeitung (4): Der Andere

„Ich hab halt seit ein paar Wochen gedacht, wir könnten … einander wieder näher kommen.“

„Oh … aber nein … aber nein…“

Faustworte in Bittermagengrube.

Ich war im Grunde, stelle ich rückblickend fest, überzeugt: Wir gehören eigentlich, komme was wolle, zusammen, und alles ist nur schwierig, aber nicht endgültig, zu Ende schon gar nicht. Ich stelle fest, daß ich die ganze Zeit im Grunde nicht geglaubt habe, daß es vorbei sei. Ich habe es gar nicht begriffen, und schon gar nicht das Ausmaß all dessen, was es heißt, wir sind nicht mehr zusammen. Nämlich, daß das bedeutet, wir gehen jetzt ein jeder unserer Wege, getrennter Wege. Nämlich, daß das bedeutet: Sie und er, wer auch immer es ist, haben ein Leben zusammen. Er, nicht ich. Das ist unvorstellbar.

Eifersucht? Nein, das hat damit nichts zu tun. Der Schmerz ist ein Verlustschmerz und kommt aus dem glasharten Bewußtsein, daß sie nun fort ist. Aus-meinem-Leben-entfernt ist. Daß uns keinerlei Ausschließlichkeit mehr unter sich aufnimmt und die Welt draußen sein läßt. Ich bin nun bloß noch Welt und draußen. Und drinnen, irgendwo, in irgendeinem warmen Raume, der diese Welt ausschließt und Erinnern und Wärme und Geborgenheit schafft, da ist sie – und das fremde Herz, mit dem sie dieses Drinnen nun teilen will.

Alleinsein heißt: Draußen sein, und von draußen in einen verwehrten Raum sehen, wo man selbst einmal war.

Aufarbeitung (5): Wildrosen, Mahler

Erwacht ruckartig aus schütterstem Schlafe, emporgezuckt und gewuchtet in schwärzestem Schrecken: Es ist wahr. Esistwahresistwahresistwahr. Herzgehämmer, Atemlosatem, einen Moment Schweben, dann Sturz in Übelkeit, der Magen verknotet zu hartem Dingsda. Die Zeit: Nichtvornichtzurück. Elendewig.

Sichhochkrallen, emporknistern, die Finger in die Luft geschlagen, den Fuß überm Licht. Wie soll das, wie soll das nur gehen, weiter auch noch, weiter und weiter, wie nur?

Später: schreiben. Das Wunder stellt sich auch diesmal wieder ein. Es hilft.

Noch später Gustav Mahler. Das Lied von der Erde. Der Einsame im Herbst. Im Frühling, haha, es ist Frühling, wer jetzt kein Haus hat, stimmt alles nicht, ist alles verschoben und falsch.

Gedanken an meine Großmutter, deren eigenes Leid ich jetzt gerade nicht zu teilen, nicht zu umgreifen vermag, verstrickt wie ich bin ins Selbst. Wann duften die wilden Rosen auf Sylt, habe ich sie gefragt.

Den ganzen Sommer über, antwortete sie.

Aufarbeitung (6): Nicht mehr da

Sie, meine Liebe, verliebt, andernwärts, andernaugs. Das trifft mich ganz tief drinnen, wo es wahnsinnig schmerzt, an einem Ort, vergraben in mir, wo jede Vernunft fehlt und fehlgeht. Schmerz, übelkeitstiftender Schmerz.

Sie wird nicht mehr da sein. Sie, die ich anrufe, immer wenn es schlimm ist und ich was zu tragen und eine Trauer hab. Zusammen gehören wir eigentlich schon seit längerem nicht mehr; aber eigentlich, in meiner Vorstellung, waren wir es doch die ganze Zeit, in Keuschheit beisammen und füreinander und versprochen einander. Ja. Einander.

Sie, meine Liebe, verliebt, andernwärts, andernaugs –

Zum Beispiel

So möchte ich es wieder haben, zum Beispiel so: ihre Arme hinter den Kopf erhoben, ihre schwere Brust gegen meine Halsgrube geschmiegt. Meinen Kopf eingetaucht in den Duftfluß der Achsel, trinkend draus mundvoll salzige Schlucke. Bauch an klebrigem Bauch, Hand auf der andern seitlich weggleitenden Brust, Beere zwischen Ringfinger, Mittelfinger. Fußgewirr, und die Beine verknäuelt. Mein Geruch ihr Geruch ununterscheidbares Gewölk, ihr Honig aus meiner, mein Samen aus ihrer Mundhöhle steigend, verknotete Schreie und ihr Schrei mein und mein Schrei ihr Verlangen befeuernd, bis ein letzter uns vor uns selbst davonträgt; und die Decken, das wünsch ich mir auch, sollen auch später noch danach duften, so daß mans errät … Und beim Einschlafen noch einmal, das möchte ich, das stelle ich mir vor: beim Einschlafen noch einmal die Oberlippe schürzen und darauf wahrnehmen den forteilenden Duft ihres Schoßes.

So beispielsweise. Jedenfalls so ähnlich.