Generation XYZ

Vor einigen Jahren stolperte ich in einem Zeitungsartikel über die Formulierung: … die Generation der heute 30jährigen. Worum es ging, weiß ich nicht mehr, es spielt auch gar keine Rolle; auf jeden Fall blieb ich aber an dieser Formel hängen. Es dauerte eine Weile, ehe ich begriff, was damit nicht stimmen wollte. Dann bemerkte ich plötzlich: Das bin ja ich! Die Generation soundso – bislang waren das immer die anderen gewesen. Erwachsene halt, Menschen mit Beruf oder Familie, Kindern gar oder Eigenheim, jedenfalls halt die anderen. Plötzlich sollte ich dazugehören, wurde frecherweise eingegliedert, ohne gefragt worden zu sein.

Sofort wehrte es sich mit Macht in mir. Sorgsam prüfte ich die Aussagen über jene nebulöse Generation der heute 30jährigen, zu denen ich also gehören sollte. Ich bin nicht typisch, dachte ich. Ich bin keine Generation soundso. Ich lasse mich nicht klassifizieren. Ich lasse mir kein Etikett aufkleben: Gehört zur Generation soundso. Zu erwartende Werte, Träume, Eigenschaften, Makel sind: … Ich lasse mich nicht mit andern in einen Topf stecken. Typisch sind höchstens die anderen. Ich bin es nicht.

Vielleicht gehört extremer Individualismus aber zu den Eigenschaften der Generation soundso – und führt sich, wie die Toleranz, selbst ad absurdum?!

Jedenfalls konnte ich mich in den Aussagen des Artikels über meine Generation nicht wiederfinden. Täusche ich mich, oder atmete ich auf? Es war ja nicht so sehr die Angst, man könnte über meine Generation und also potentiell über mich unangenehme Wahrheiten enthüllen oder mich gar angreifen, nein: Es war die besserwisserische Zuschreibung von Eigenschaften an sich, die mir die Zornesröte ins Gesicht trieb. Als müßte mir jemand sagen, wer ich sei. Als wüßte jemand besser über mich bescheid als ich selbst, noch dazu, ohne mir je persönlich begegnet zu sein.

Genervte Entgegnungen auf allzuoft Gehörtes

„Ich darf das aber“ (Anm.: Das Fahrrad in der Hauptverkehrszeit im Zug mitnehmen, die Straße zuparken, den Kinderwagen in einen Bus schieben wollen, in dem schon drei Kinderwagen stehen, bei offenem Fenster Schwermetallmusik hören, mit dem Auto durch den Wald fahren eqs)

Entgegnung: „Ich frage Sie nicht, ob Sie das dürfen, ich frage Sie, ob Sie das für eine gute Idee halten.“

„Deine Kritik ist aber nicht konstruktiv.“

Entgegnung: „Eine Kritik muß nicht konstruktiv sein, um Berechtigung zu haben.“

„So ist es aber nun mal nicht.“

Entgegnung: „Wie die Welt ist, kann schwerlich ein Argument dafür sein, wie sie sein sollte.“

„Aber was würdest du denn statt dessen vorschlagen?“

Entgegnung: „Es geht nicht darum, was ich vorschlagen will, es geht darum, ob meine Kritik eine begründete Kritik ist.“

„Das würdest du auch nicht tun.“

Entgegnung: „Doch, würde ich.“

Daß allenthalben die Vögel vor Licht wie verrückt sind und ihre Stimmen die Dämmerungen durchweben; daß die Weiden endlich ausschlagen, und die Krokusse, nein, an die will ich gar nicht denken … daß der Himmel wieder weit wird und die Fenster klein, und die Zimmer eng und von Frischluft wie zersprengt; das

stimmt alles nicht.

Es kann doch jetzt gar kein Frühling sein, wie soll das gehen. Es war doch Herbst, damals, und wir gingen auf dem Friedhof spazieren. Es war doch Herbst und ist immer noch Herbst.

blumen unterbaumig

lumen unterbaumig
untersonnig eulenretterin
fremdmond muß scheinen
nach mondeskräften
späterbleich.
vorerst stirnhellsonne
sich streckt
handhin, lippenwärts
schönstreichelstirn, wuschelzaushaarrot
unerfüllbar
weil
zaghandunvermögen.
augen sich ballen zu
schönheitfesselballonen. blick. ruht.
ruht wiederkünftigwarm
Antlitz
unterhimmelig sternbesäht
dann ist schon später
und
schnellerzeit braust
unaufhaltsam sommergesproßzumtrotz
augenschrittig in den zug forttrieb
ins fehlen fortgewunkenzwinkert
umwandt
trepperunter
haltlos anhalten
ziellos am ziel, und
fußverguß
vor dämmerhöhlengrellscheiben.
unterm gedröhn
stehengebleibe.
romanzeile eintritt stahlträgerverbebt –
so also ja. seufzso:
handlos.
menschengeschiebe hat keine balken
und
auch die sehnsucht keine.
kopfgeschüttel
verlorensein
flirrt
treppehochnach
nachhinauf
nach
dir.

sie schläft
fernen schlaf
schläft einen du-schlaf
schläft fernen du-schlaf

wimpernschönes wächst
du-gewächs unbekannttraut
verwegenschlaf
ach-traum
unterm kissen schwellende
bücher

nichts ist mehr außen
lider
sanftschließen die
welt fort
innenzu

Geschmacksurteile

Mit bestürztem Erstaunen lese ich, daß einer, den ich für einen Meister halte, sich abfällig äußert über einen, den ich gleichfalls für einen Meister halte. Das steht quer. Das trübt ein.
Warum aber?
Die Anfälligkeit ist immer da, mir das eigne Entzücken von jemandem ausreden oder auch nur säuern zu lassen, dessen Urteilskraft ich hoch einschätze, und beeinflußbar bin ich deshalb, weil sein Schaffen mir Bewunderung abringt. Daß dieser von mir bewunderte Künstler einen anderen Künstler, den ich auch bewundere, ablehnt, will mir nicht passen. Ich schließe aus dem Gegenstand meiner Bewunderung, der Kunst des Meisters, auch auf eine bewundernswerte Urteilskraft in diesem Meister. Wahrscheinlich ist das schon verkehrt. Die Wirkung ist die, daß ich, aufgrund angenommener eigner Kleinheit, meinem Urteilsvermögen nicht mehr trauen mag.
(Als gäbe es ein Maß für die Gültigkeit eines Geschmacksurteils: Aber das ist das stillschweigende Als-ob einer jeden künstlerischen Kritik.)
Die Frage ist, ob es sich vereinbaren läßt, und wenn nicht, wer sich als der Stärkre erweist. Lassen will ich durchaus von keinem der beiden.

Es wird immer dunkler
und die Dunkelheiten schütteln gierig
Dämmerobst
von den Bäumen
geht ein
Ruckzittern aus
den Kieseln springen
gegerbte Lexika
Flure voll, Flure leer von
Gischt. Gezeiten: Drahthaftes Hängen
strömig. Schwungtropfen über Hängescheiben. Gesichter
Asphaltnasen. Springbrunnen
verkirchen sich platzhaft. Schnuller
entragen Kinderkutschen, müd wie
Ballone, die eine Wolke
entsog.
Lenz um Lenz verbrauchten sich.
Jahranfänge fingen Halt.

auf reisen

Verschwitzt, und den Reisegeruch noch in den Kleidern, am Leib: so kam ich an. Schlafgedämpft dämmriger Kopfschmerz begleitet die Blicke durch Bahnhofshalle, Straße und Brücke. Die Fahrt selbst hatte ich, aufgehängt in Wahrnehmungsfetzen, durchdämmert, was sonst nie geschah. Etwas zerwalkt fühlten sich die vergangnen vierundzwanzig Stunden in Mannheim an; nicht befüllt mit Zeitfluß, sondern mit einer holprigen Fahrt, die umwegdurchkreuzt schien. Dann die Reise, erst drohend bevorstehend, dann eine Last, ein Berg, dann ein sehnsuchtsvolles dem Ende Entgegenfallen. Immer war das so, das Heimkehren in die Fremde, die plötzlich wieder fremd ist und aufs neue und immer aufs neue Heimat werden muß, fällt schwer. Seltsam. Komme ich heim zu den Eltern, immer ist da der Herd warm und die Wohnung vertraut riechend. Komme ich heim zu mir selbst, ist da ein Fremdhauch im Stiegenhaus, und die Straßen sehen wie argwöhnisch auf mich hinab, als ignorierten sie mich, indem sie mir aber dieses Ignorieren deutlich vor Augen zu führen bestrebt sind.

Diesmal gings ja aber nicht nach Hause zu fremdgewordnem Eigengeruch, sondern zu Beistand, Mutzuspruch, Korrekturlesen. Zerstreutmüde in der späten Unstunde las ich oberflächlich und hoffe, es war gut. An meine eigene Zeit mich erinnernd, und daß es so anders war, denke ich: schön und freudig waren die Monate durchlebt, wie es oft geschah, wenn sich eine unmöglich scheinende Aufgabe als mir und meinen Fähigkeiten doch noch angemessen und mein eigenes Vermögen als viel größer denn angenommen herausgestellt hatte. Obs im Kunstunterricht in der Schule war, oder im Logikseminar oder bei der Abfertigung meiner Abschlußarbeit.

Ich bin jetzt selbst froh und erleichtert. Viel habe ich – wieder einmal – nicht tun können. Hilflosigkeit hab ich in den Händen gehabt. Aber was wäre gewonnen, wenn man als Engel aufträte. Es gibt Dinge, die nur dadurch bezwingbar sind, daß man sie selbst bezwingt. Ohne Hilfe muß man sie überwinden, sonst wächst man nicht.

Was man manchmal vielleicht gar nicht will, wachsen.

Als ich soweit war, was glaubte oder mutmaßte ich denn, wie es weiterginge? Was hoffte ich? Was waren die Ängste. Was die Wünsche. Erstaunlich scheint mir, wie wenig ich jetzt über meine damaligen Befindlichkeiten noch weiß. Und was ich weiß, das ist abstrakt, ist das Wollen und Wünschen und Hoffen und Angsthaben einer von mir verschieden gedachten Person. Natürlich weiß ich: Da war ein vager Traum von einer Doktorarbeit. Da war das kurzzeitige Aufblitzen von so etwas wie Mut, noch einmal feldforschend ans andere Ende der Welt und zu den Indianern zu reisen. Da war die kribbelnde Verrücktheit, Flugbegleiter zu werden und auf 30 000 Fuß Höhe Longdrinks servierend um den Globus zu fliegen.

Press your mask against mouth and nose and breathe normally.

Aber wie echt war das? Und wie hatte es sich angefühlt? War es ein Traum? Eine an den Rand des Möglichen herbeigeholte Vorstellung? Ein Entwurf, der Entwurf eines nächsten Lebenskapitels, der gleichwohl dann doch nur Entwurf sein sollte? Sich und mir darin genug war –

Wenn ich es recht bedenke, dann war das, was mich wirklich beschäftigt hat, was mich bis ins Mark hat erschüttern und umdrehen und handeln lassen können, damals wie später, wie eigentlich immer, – das Zwischenmenschliche. LiebeLiebeLiebe. Nichts sonst war so wichtig. Bis auf das Schreiben, natürlich: Denn wie ich die letzten Jahre hätte bestehen können – vorm Sturm, vor mir selbst, vor den anderen – bestehen, ohne Zuflucht, Wehr und Bannzauber des Wortes zu haben – das entzieht sich jeder Vorstellung.

Ich weiß nicht, ob ich ohne Frau, ohne Verwirklichung und Neuerfindung des Geschlechtlichen leben könnte. Ohne das Schreiben könnte ich wohl leben; aber es wäre ein ziemlich sinnloses Leben.

Mehr ein Lebendigsein.

Knittelverse (Naive Dichtung …)

zusammen gelacht
zusammengebracht
zusammengekracht
zusammengedacht

voneinander getauscht
und einander belauscht
und einander berauscht
viel Herz aufgebauscht

Herz hinter Stangen
mancherlei Bangen
ineinander verfangen
Wolkenverhangen

zusammen vermutet
zusammen gehofft
zusammen gezofft
aneinander geblutet

zusammen gekocht
einander gemocht
Gehirnschmalz zermartert
Gefühle gechartert

Gefühle gehabt
Schmerzen berappt
den Mut nicht gehabt
doch nicht geklappt

Gefühle verpfändet
in Zweifel verhaftet
Angst nicht verkraftet
in Panik beendet

aneinander gehangen
doch mehr zu verlangen
viel zu befangen

auseinander gegangen
kein Lieb angefangen