… aber diese Fremden sind nicht von hier! (5), Vorsortierung von Opfern und Tätern

(In dieser Reihe kommentiere ich einen Fragebogen zum Thema Rassismus, den die Online-Ausgabe von ZEIT Campus vor ein paar Monaten herausgegeben hat.)

Der Fragebogen legt weiterhin implizit fest, wer überhaupt dafür qualifiziert ist, Rassist bzw. Opfer von Rassismus zu sein. Das ist erstens eine rhetorische Falle, denn damit ist ein hellhäutiger europäischer Leser des Fragebogens immer schon ein potentieller (und wahrscheinlicher) Rassist, während „Nicht-Weiße“ (Frage 3), „Migranten“ (Frage 6), „Muslime“ (7), „Asiaten“, „Perser“, „Nigerianer“ (8), „Araber“, „Russen“ (10), „Schwarze“ (12), „Türken und viele andere“ (25), „Afghanen“ (26) potentielle (und wahrscheinliche) Opfer von Rassismus (bzw. Fremdenfeindlichkeit, siehe oben) sind; zweitens legt der Fragebogen implizit die Rollen diskriminatorisch fest und ist selbst rassistisch, indem er aus dem irrelevanten Merkmal der Herkunft oder der Hautfarbe das relevante Merkmal der Opferrolle deduziert; und drittens wird ein großer Teil der Realität ausgeblendet, indem die Autoren unterstellen, daß die Opfer von Rassismus nicht selbst auch Rassisten sein können. An dieser Stelle finde ich den Hinweis einer mit Sinti befreundeten Leserin höchst aufschlußreich (wenn auch wahrscheinlich hier kein Rassismus vorliegt), die berichtet, ehemals ebenfalls befreundete Roma sprächen nicht mehr mit ihr, seit sie mit Sinti Umgang pflege. Hinter solchen Vorsortierungen (wie sie auch im Geschlechterdiskurs vorgenommen werden, indem Frauen immer die Opferrolle zugewiesen wird, während sexuelle Gewalt ausschließlich von Männern behauptet wird – eine Auffassung, die selbst sexistisch ist) scheint eine bestimmte Voraussetzung für den naiv verstandenen Rassismus auf, derzufolge Rassismus immer gegen Minderheiten gerichtet ist und niemals gegen Mehrheiten gerichtet sein kann. So sei etwa der mitunter pejorativ gebrauchte Ausdruck Alman aus dem Mund türkischstämmiger Ausländer gegen Deutsche eben kein Schimpfwort, sondern, wie jetzt.de, das Jugendmagazin der SZ, schreibt, ein „Ausdruck zur Selbstermächtigung“. Man fragt sich, was denn dann ein Schimpfwort wäre. Die Antwort lautet, daß es keines gibt und auch gar nicht geben kann. Ein Vertreter der (ethnischen, religiösen oder sonst einer) Mehrheit ist nicht beleidigbar, bzw. ein Angehöriger der Minorität nicht satisfaktionsfähig. Einem Türken, der einen Alman-Witz macht, den performativen Akt der Beleidigung abzusprechen, heißt jedoch, ihn als (ebenbürtigen) Beleidiger nicht ernst zu nehmen. Ihn für seine Selbstermächtigung zu loben aber ist gönnerhaft. Der Migrant ermächtigt sich selbst, wie putzig. So kann nur jemand sprechen, der sich außer Reichweite wähnt, derart überlegen, daß ihn eine Beleidung nicht treffen, ja, gar nicht erreichen kann.