… aber diese Fremden sind nicht von hier! (1): Einleitung

Und nun die ernsthafte Auseinandersetzung.

Im Mai dieses Jahres veröffentlichte die Zeitschrift ZEIT Campus einen Fragebogen zum Thema Rassismus. In der kurzen Einleitung heißt es:

„Rassismus ordnet unser Denken und Zusammenleben.“

In einem Klassiker von Loriot wird Frau Hoppenstedt (gespielt von Evelyn Hamann) von einem Reporter gefragt, was „sie als Frau dazu gebracht habe, ihr Jodeldiplom zu machen“. Darauf antwortet Hoppenstedt/Hamann: „Da regt mich ja schon die Frage auf!“
Genauso fühle ich mich, wenn ich Behauptungen wie die oben zitierte lese. Was meinen die Autoren mit ordnen? Wo ordnet der Rassismus unser Zusammenleben? Wie tut er das? Wann tut er das? Wer wird hier mit unser angesprochen? Und was verstehen die Autoren unter „Rassismus“? Schon an diesem einen Satz ließen sich ganze Abhandlungen knüpfen. Der apodiktische Tonfall regt umso mehr auf, als so gut wie alles an dem nun folgenden, dem Publikum zur Selbstprüfung („Sind Sie Rassist? Wahrscheinlich!“) vorgelegten Fragebogen auf falschen Voraussetzungen, unscharfen Begriffen und irrtümlichen Annahmen beruht. In einer Gesellschaft, die sich den Negerkuß ebenso wie den Mohrenkopf versagt, vermeintlich abwertende Bezeichnungen aus Kinderbüchern herausstreicht, sich das Zigeunerschnitzel verbietet oder wochenlange Debatten um den Sarotti-Mohr führt, ordnet in der Tat Rassismus unser Denken, freilich nicht in der Weise, wie es die Autoren gemeint haben. Wer indes eine so steile These wie die zitierte aufstellt, sollte zumindest einmal den IAT erwähnen. Das gäbe in der Tat reichlich Stoff zum Nachdenken. (Sie wissen nicht, was das ist? Dann lesen Sie weiter.) Gedacht aber hat hier jemand nur oberflächlich, dafür um so tiefer moralisch empfunden. Wir sind alle Rassisten, ist ja eh klar. Das ist, zumal für ein Produkt des ZEIT-Verlags, recht ärgerlich. Der Fragebogen soll zweifellos Zahnschmerzen verursachen und tut es auch. Indessen gelingt ihm das dadurch, daß er in dieselbe Kerbe schlägt, in die sowieso schon alle hauen. Und wo er dabei nicht ungerecht ist (warum sollte ich wissen, wie man die Namen persischer Fußballer ausspricht, und was hat das mit Rassismus zu tun?), da geht er dadurch auf die Nerven, daß er die Klaviatur eines ohnehin schon vorausgesetzten schlechten Gewissens bespielt: das ist das, was man wohlfeil nennt – eine Kritik, die nichts kostet, weil sie von allen Seiten Zustimmung erwarten darf, bzw. so formuliert ist, daß Widerspruch den Widersprechenden sofort in Verruf brächte. Wie Ijoma Mangold vergangenen August in der ZEIT schrieb, als er die Beteiligten am #metwo-Diskurs in drei Gruppen teilte: Die ersten berichteten von rassistischen Übergriffen, die zweiten seien als „Biodeutsche mit Echtheitszertifikat“ zum Schweigen verdammt, während die dritten, obzwar biographisch zu Gruppe zwei gehörend, keine Gelegenheit ausließen, der zweiten unter die Nase zu reiben, wie gut sie es habe. Sich solidarisch mit den ersten erklärend, ziehen letztere die zweiten des Rassismus und wähnten sich dadurch selbst als den Opfern näherstehend als den Tätern. Wie Mangold süffisant bemerkt: „Andere des Rassismus zu zeihen, scheint mindestens ebenso erfrischend, wie andere rassistisch zu beleidigen.“ Es besteht wenig Zweifel, in welche Gruppe Ijoma Mangold die Autoren des Fragebogens einsortieren würde. Ironischerweise bauen die rhetorischen Kniffe des Fragebogens teilweise auf Präsuppositionen auf, die ihrerseits diskriminierend sind. Mehr zur Provokation geeignet denn als Anregung zum Nachdenken dienlich, bedarf dieses Elaborat eines detaillierten Kommentars, den ich hier, dem Risiko, in Verruf zu kommen, mich bewußt aussetzend, in den nächsten Einträgen wagen will.