Die Ratte

wenn ich zurückkomme, wird die ratte verschwunden sein. gestreckt liegt sie da, riesenhaft in ihrem tod, größer und tierhafter als sie lebendig je war. von weitem betrachtet wölbt sich der asphalt aus wie ein steinernes geschwür. aus der nähe sieht sie dich an, das auge glänzend und hart, im maul ein verschmitztes grinsen, als sei das, als sei alles gar nicht war. ihre zitzen starren, der hinterlauf reckt sich elastisch empor, sucht halt in der luft: zwei schenkel, der eine aus schatten der andere aus fleisch, eine sonnenuhr. die krallen zählen langsam die vorübergehenden ab, die klaue zeigt: du, du, und du. man macht einen bogen um sie, man sucht ihren blick, wachsam, was sie vorhat. das lid ist halb geschlossen, aber darunter blitzt es von schalk. sie liegt gefangen in ihrem schatten, der sich wie eine klammer um den flusigen leib schließt, und wartet auf die fliegen. wenn sie kommen, wird der schatten sie vielleicht freigeben, daß sie zucken kann. der schatten frißt sie schon von innen her auf. die schnurrhaare machen sich davon, vertrauen dem wind sich an, gesellen sich zu distelsamen. später wird auch der schatten sie loslassen, wenn erst die fliegen da sind. wenn ich wieder hier vorbeikomme, wird nur noch ihr blick übrig sein, mit dem sie meinen schritten gefolgt ist.

Was wollten wir (2)

Was wollten wir? habe ich an anderer Stelle einmal gefragt.
Es ist mir egal, was ihr werden wolltet, ihr versicherten, superwachen, realitätsinfizierten, traumlosen Bausparer, ich weiß nur, was ich werden wollte:

Marspilot
Lachsektengründer
Zauberer
Hirngespinstspinner
Zeitreisender
Traumtänzer
Rosa-Brillen-Designer
Schaumschläger
Sankt-Nimmerleins-Ausharrer
Fatamorganist
Rasputin
Erdbeereisverkoster
Seifenbläser
Drachendompteur
Illusioneur
Elfenphotograph
Indiana Jones
Luftschloßarchitekt
Lummerlandentdecker
Sirenenverführer
Perpetuum-Mobile-Erfinder
Bauchschmetterlingszüchter

(Habe ich „wollte“ geschrieben?)

Auf der Terrasse

Da bin ich wieder.
Die Amsel leiert. Du nennst es „zwitschern“. Abends auf der Terrasse, ein warmes Bier in der Hand, die Füße gestemmt auf die Dachpappe. Überkreuz Mauersegler. Du nennst es zirpen. Nach Hause kommen. Zum Glück schreien unten nur ein paar von den Bengeln, die Straße, fast ist sie ruhig. Fast. Auch so ein Wort. Eigentlich müßte es dein Lieblingswort sein. Fast. Beinahe. Ums Haar. Du nennst es „immerhin“. Busfahrten von hier nach da, das trägt immer, vorwärts vorwärts, das ist nicht das Problem. Zeit auch nicht, da gibt es Zifferblätter, Fahrpläne, Schwingungen von Quarz, Pulse von Quasaren, Kursbücher. Zeitquittungen. Du nennst es den Gang der Dinge. Ich möchte bei dir sein, ich möchte nicht bei dir sein. Ich möchte heimkehren, aber wo, bitte, soll das sein? Ich möchte einen Augenblick so lange auf der Fingerspitze balancieren, daß er nie mehr entkommen kann. Ich möchte solange über die Zeit nachdenken, bis sie zurückkommt zu mir. Du nennst es melancholisch. Die Amsel leiert, die Bengel spielen Fußball im Dunkeln noch. Ich möchte dir zuhören, wie du redest und redest und redest. Ich möchte nichts davon verstehen, was du sagst, damit ich deine Stimme besser hören kann. Ich möchte nicht nachdenken über das, was du sagst, damit ich besser achtgeben kann, wie dein Atem mich streift, während du sprichst. Ich muß dich nicht berühren, denn meine Hände haben schon so viel berührt. Ich müßte dich ja wieder hergeben. Meine Hände haben verlernt, etwas loszugeben. Sie sind schmutzig von aufgehobenem. Ich möchte nicht, daß du mich berührst, damit du mich noch berühren kannst. Ich möchte nichts von dem aufbewahren, was du sagst, damit du es mir noch einmal sagen kannst. Ich möchte nicht bleiben, sonst kann ich nicht wiederkommen. Um Straßenlaternen kreisen die Falter, du nennst es Albernheiten. Da bin ich wieder. Vier Wände, morgens der Wecker, am Wochenende ein Eis. Alleine unter den Bildern an der Tapete. Die Amsel … man könnte es Ewigkeit nennen. Du schweigst. Deine Hand halten, oft ist mir das begegnet, in der letzten Zeit öfter. Fast hätte ich mich verraten. Fast, mein Lieblingswort. Fast hätte ich deine Hand berührt, fast hätte das Fahrrad einen Platten gehabt, fast hätten wir uns getroffen, fast wäre der Zug entgleist, fast wäre die Ampel noch rot gewesen, fast wäre der Sekundenzeiger stehengeblieben, fast, mein Lieblingswort, du nennst es „gar nicht so schlecht für den Anfang“. Sich verfehlen ist auch eine Kunst, der Zufall nennt es Begabung. Das Verfehlen zu verfehlen wäre noch eine prima Steigerung, und ich möchte nicht wissen, wie der Zufall es nennt. Der Sekundenzeiger geht immer noch. Der Ball prallt ans Garagentor, aus Kübeln quellen die Stiefmütterchen, der Bus macht eine Kehre, und noch eine, und die Kehren tragen mich fort und hin, und es bedürfte schon einer Sphinx, mir hier noch ein Rätsel aufzugeben.

Auf dem nachhauseweg

manche blumen blühen nur nachts, da könnte man lange dunkelheiten umschichten, so zielsicher wie die meerenen flügel des falters wirst du nie für die grenzflächen der angst gewonnen sein.
hier ist der kühle docht, sieh, wie er geschwollen ist vom dunkel. auf kleinen zetteln verteilt: ein lächeln, das protokoll eines abends, lampions überm kiesenen strom. auf manchem heimweg ist die luft von haaren bewachsen, daß es schwelgt von puppigen augenlidern. gelbe türen, gebohrt ins abgeschiedensein von glasstille, halten das licht offen. tritt ein. gerade noch mit dem gestern beschäftigt, gelingt nun mit zittriger schrift dem müll ein epitaph. späteres wechselt mit früherem, heimgänge mit weinenden frauen, mutiges mit zimteis: in einem telephonbuch müßte man ihn nachschlagen, den geschmack deiner lippen. ein finger drückt sich aus dem hellen innern des busses. er malt der nacht ein licht nach, zeichnet ihr was auf die sohle. manche telephonbücher sind in der reihenfolge deiner farben geordnet, deiner füße und reißverschlüsse. wer könnte da die linien finden, um die sich die hände geschlossen haben? so verloren wie der falter wirst du nie zur blüte sagen: ich bin.