Begegnung im September

er schrieb sie an. er sagte: du gefällst mir. sie schrieb zurück, wer bist du? er antwortete und fragte. sie antwortete und fragte. so schrieben sie einander vierzehn tage. ein wort ergab das andere. er sagte „du“, sie sagte „magst“. er sagte „hand“, sie sagte „halten“. er sagte“spiel“, sie sagte „wiese“, er „herz“, sie „klopfen“. sie spielten, und in dem spiel merkten sie einander die sehnsucht an.
man kann sich rein schriftlich verlieben.
sie hatten einander noch nie gesehen. nur ein paar schummerige photos kannten sie. sie hatten nicht einmal miteinander telephoniert. die redeweise, die stimme, das lachen des anderen war noch einer stille überlassenes geheimnis. sie wußten nicht mehr, als sie einander durch spröde, auf das flimmern eines bildschirms reduzierte wörter, sätze, buchstabenahnungen herausgefühlt und hinzugedacht hatten.
und sie hatten sich nicht geirrt dabei. sei es, daß es glück war, sei es, daß sie durch diese wortsprödigkeit hindurchsehen konnten, sei es auch, daß sie sich eben so ähnlich oder aufeinander so eingestellt waren, daß sie es einfach so verstanden und einander richtig errieten – später, als sie einander gegenübertraten, war keine fremdheit zwischen ihnen. es war an einem samstag. sie gingen einander in einer menschenleeren morgenfrühe entgegen, an einem sonnigen septembermorgen mit schiffen und möwen und geglitzer auf dem fluß. sie näherten sich einander langsam über einen leeren platz. er hinüber, sie herüber, ihre schatten zueinander geneigt. nach so vielen tagen am bildschirm trennten sie schließlich nur noch zwei schritte. er fragte, bist du das?, sie sagte hallo, und im nächsten augenblick waren zwei schatten eins geworden. er muß wohl noch einen schritt gemacht haben, muß sie wohl umarmt haben. aber das weiß er nicht mehr. er erinnert sich nur, wie sie dann gegeneinander atmeten, und daß ihre wange an seiner lag.
später küßten sie sich. man würde sagen, zwei wildfremde menschen. aber das stimmt ja nicht. sie kannten sich ja schon immer, eigentlich.

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