eine schöne fahrt. langsam über den tiefen des flusses dahingeglitten. in die gewißheit gefahren. ins heute. der fluß rauchend hinter weidengewirr. drüben die weinreben, gekämmtes steigen. eine rabenkrähe hockt auf einer schlanken pappel. möwen sicheln über den strom. sanft neigt sich der zug gegen die schleife des stroms. ich bin immer noch am leben. herzschlag für herzschlag immernoch.
scharf gestanzt plötzlich die sonne über den abgeschatteten hängen, die sich gegen den himmel über ihnen aufzulösen scheinen. dann fällt wieder nebel. erst gegen mittag in Mainz klirrend kalter sonnenschein auf zügen und gleisen, knisternder zigarettenrauch, atemwölkchen tragen das licht fort, taubenschatten eilen zu füßen vorüber. hier schließlich in Mannheim ist es genauso. so hell. so ein sanftes licht überall, scharfe ecken, klare schatten. eisgeglitzer, das eine scholle eingefaßt hält. darüber viel ferne. ein hängen zwischen bangigkeit und freude, es hat wieder einen schweren unfall gegeben, hört man.
Monat: Dezember 2006
23:30 : Zuviel von allem
Zuviel von allem.
generalurlaub
warum es einerseits nicht schnell genug gehen kann, so daß schon ab september dominosteine und lebkuchen erhältlich sind und der weihnachtsmarkt bereits ende november öffnet; warum aber andererseits die stadt Bonn wenige tage vor heiligabend noch auf die schnelle eine großinspektion der kanalisation verordnet zu haben scheint – das begreife ich einfach nicht. dazu bin ich zu blöde, zu naiv oder einfach nur zu schwer von begriff. wie wäre es mal mit kürzer treten und langsam machen? ebensowenig habe ich je verstanden, warum es für industrie & wirtschaft vorteilhaft sein soll, einen feiertag zu streichen, noch weniger, warum man damit irgendetwas „finanzieren“ können soll. womit denn bitteschön? nur etwas herzustellen, bringt doch nichts, ich muß es auch verkaufen, es muß jemand haben wollen. und: der feiertag ist doch eine pause für alle. auch für die konkurrenz! wer hat also einen vorteil davon, wenn ein feiertag entfällt? und überhaupt: haben topmanager und aufsichtsratsvorsitzende keine familie? freuen sich solche menschen nicht über einen tag der ruhe, der einkehr, des zu-sich-selbst-kommens? über einen tag mit kindern im grünen? oder geben die ihr menschsein an der garderobe ab?
mein vorschlag: eine woche frei. für alle. die woche vor weihnachten gibt es einen generalurlaub. die räder stehen still, die baumaschinen auch, und einmal, einmal im jahr können alle aufatmen.
warum es so etwas nicht gibt (ich hielte es für vernünftig und menschlich), verstehe ich wie so vieles nicht. ich glaube, ich bin zu naiv für diese welt. und wenn ich mal was verstehe – dann verschlucke ich mich vor entrüstung.
An C.
“[…] Wäre es also gutgegangen? Ich habe den Verdacht, daß sich in meiner Sicht auf die Vergangenheit etwas Typisches zeigt, nämlich, daß für mich das Imaginäre wichtiger war als das Wirkliche, der Traum bedeutsamer als das Erreichbare, die Vorstellung bedeutsamer als die Tat, das Erdachte wirklicher als das Praktische, die Idee wichtiger als die Entscheidung. Und die Vergangenheit der wirklichen Zukunft überlegen.
Und genau deswegen ist für mich die Vergangenheit, oder ihre Deutung, so immens wichtig. Wenn Du daher schreibst, daß Du das anders in Erinnerung hast, so klingt das für mich, als ob ein Teil meiner selbst ungültig würde. Indem es für Dich so viel weniger wiegt, bleibe ich endgültig allein. Mit einem Traum. Mit einer Vergangenheit, in der nur mehr ich vorkomme, und die Du, so wie ich sie mir deute, nicht teilst. Mit einer Erinnerung, deren imaginierte Fortsetzung zur Illusion geworden ist. Und nicht nur das: Auch mein Traum von damals hat sich dann als Illusion erwiesen. So bin ich in zweifacher Weise einsam: Im Jetzt und in der Erinnerung.
Verrückt? Vollkommen![…]”
Apuleius & sim.
Teil eins der dieswintrigen Ablenkung ist geschafft und trägt die Überschrift: Narratologische Untersuchungen zu den “Metamorphosen” des Apuleius”. Ich habe mal wieder viel und viel zu flüssig über ein Thema geredet, von dem ich keine Ahnung habe. Herrlich. So sollte es öfter sein. Wenn nur nicht immer so viele Woche damit ins Land gingen, sich keine Ahnung anzulesen.
Zu guter letzt noch eine Klausur. Ich habe “erst spät” mit tardius wiedergegeben, sowie “über die Verfassung und Ordnung des Staates” mit de instituenda instruendaque re publica und frage mich, ob ich mich dereinst dessen schämen werde müssen.
Ach, egal. Ganz egal. Jetzt heißt es erst einmal Ferien, Vollbad, Frascati.
Nullam, Vare, sacra vite prius severis arborem …
Greinstraße
aus der gedämpften weite hinter den fenstern die baumaschinen. in der helle das knisternden licht. vergessen, mich an die blätter zu erinnern, an ihren gelbstrahlenden tod. jetzt, am beginn der stille: wege waren hier und führten einen sommer zusammen. das denkt sich ganz leicht. es ist schön, es zu denken. über gras und nackte füße, zwischen kies und geröll. jetzt dröhnt ein horn. ein arbeiter ruft. die ritzen hocken lauernd, vor stimmen sprungbereit, und da ist niemand, zu dem ich weißtdunoch sagen könnte.
Dafür nicht
“[…] Mich stört an einem Leben mit FrauHausKind, daß es ein millionenfach vorgelebtes, ein erprobtes Leben ist, ein Modelleben. Ich will kein Modelleben. Ich wollte, ich will, ein Leben leben, für das es kein Modell, kein Vorbild gibt. Ich will Räume aufstoßen. Ich will zerschneiden. Ich will Neuland betreten. Mit der Schreiberei ebenso wie mit meinem eigenen Leben. Als ich aus dem Zivildienst entlassen wurde, als ich von zuhause auszog, als ich anfing zu studieren, da war es ein Aufbruch. Eine Eroberung. Ein Ergreifen. Und ich konnte nie verstehen, wie es manchen nur darum zu gehen schien, anzukommen: bei einem Job, einem Partner, bei Kindern, beim Eigenheim. Dich mit eingeschlossen. Wenn die ersten Freunde und Bekannten verkündeten, daß sie sich ein Auto gekauft, geheiratet, Kinder bekommen hätten, habe ich oft gedacht: War es das? Doch wohl nicht! Dafür sind wir nicht aufgebrochen. – Und jetzt frage ich mich: Wofür dann? Ich weiß es nicht. Jedenfalls nicht, um in der PR-Agentur eines Megaunternehmens zu landen, bitte um Verzeihung. Ich habe Dich einmal gefragt, warum Du es denn so eilig habest mit dem Studium. Ich ließe mir doch auch Zeit. Du sagtest, bei mir sei es etwas anderes, Du aber wollest in die „freie Wirtschaft“. So drücktest Du Dich aus. In die „freie Wirtschaft“. Es klang nicht wie „Freiheit“. Es klang wie „freie Wildbahn“. Ich verkniff mir damals die Gegenfrage. Sie hätte gelautet: Und warum studierst Du dann Germanistik? – Ich konnte (und kann) mir einfach nicht vorstellen, warum jemand so etwas „Schönes“ wie Germanistik studiert und dann aber nicht auch etwas „Schönes“ damit anfangen will, wobei ich die Erklärung, was denn etwas „Schönes“ sei und wo man es ausüben könnte, schuldig bleiben muß.[…]”
nebenbei bemerkt nicht abgeschickt
auch wieder charakteristisch für Dich, und ich möchte es als weiteres zeichen von modelleben deuten: daß Du „fertig stellen“ schreibst, statt „fertigstellen“, mit dem vermerk, daß man letzteres „ja nicht mehr schreiben dürfe“. und „schade, nicht?“.
warum? in einem persönlichen brief, ich bitte Dich. hast Du sorge, durcheinanderzukommen oder durcheinander zu kommen? da war es schon wieder, kein widerstand, keine eigene stimme. sondern die stimme des man.
aber nein, meine adresse in griechenland hast Du immer translitteriert, das war Dir „zu blöd, fremde buchstaben zu malen“. wenn ich daran denke, daß auch Du linguistik studiert hast.
aber das schreibe ich Dir nicht. das ist nur fürs protokoll, das innere.
ad absurdum
das anhaltende gejammere über rückläufige geburtenzahlen wird tag für tag in den pendlerzügen ad absurdum geführt.
vom scheitern (1)
das wird einstweilen nirgendwohin führen, so viel sollte mir mittlerweile klargeworden sein. zwischen den koordinaten lebensglück, aufgabe, bewältigung, frist hänge ich nicht fest, sondern drehe mich im teufelskreis. die gedanken schnappen zu wie fallen. vexierbilder, zwickmühlen, karusell, geisterbahn. eins gibt sich dem anderen als lösung, die lösungen führen zur aufgabe, und am ende ist man wieder dort, wo man begonnen hat.
ernst machen birgt die gefahr des scheiterns; jeder kompromiß zielt darauf ab, ein solches scheitern zu vermeiden. netz und doppelter boden. ich habs ja gar nicht versucht. nein, ich wurde ja abgelenkt, hatte soviel um die ohren, mußte mich kümmern, war in aufgaben verstrickt, gab wichtigeres, kurz: es liegt gar nicht an mir.
also bin ich auch nicht gescheitert.
vor einigen tagen stand ich plötzlich allein im stockfinsteren hausflur, in einen seltenen augenblick der stille gehüllt. ich hatte aus der küche in mein zimmer gehen wollen und das licht im flur ausgemacht. unfähig, mich zurechtzufinden, wartete ich, bis sich meine augen an das dunkel gewöhnt hätten. umrisse erschienen. die dunkelheit bekam tiefe und raum. türrahmen und regal verdichteten sich zu linien und kreuzungen. unten trat die glastür als heller fleck auf die stufen, deren schatten sich langsam zur treppe zusammenfügten, bis der weg zur tür sichtbar war. ich wartete, bis ich alles klar erkennen konnte: die wände, die stufen, die tür. mit einemmal der gedanke. was wäre, wenn ich jetzt ginge? wenn ich jetzt die treppe hinunterstiege, die tür öffnete und hinausginge, so wie ich war, in pullover und hausschuhen? unterm mond, durch die straßen, in die dunkelheit hinaus? die tür fiele ins schloß, der schlüssel bliebe drin und weg wäre ich.
plötzlich schlug mein herz wie wild. ich holte tief atem. hier waren die stufen. unten war die tür. dahinter die welt. eine wilde furcht hatte mich gepackt, vor mir selbst, vor der freiheit, vor der möglichkeit, sich zu entscheiden. ja, was wäre, wenn ich jetzt losliefe? und plötzlich durchzuckte mich die gewißheit, daß ich es jetzt tun würde, jetzt sofort, im nächsten moment, halsüberkopf, gleich wäre ich auf und davon. es war nicht zu verhindern. ohne netz und doppelten boden.
meine füße regten sich nicht. die stille war keinen laut weitergerückt, das licht unverändert. draußen raschelte das laub wie von schritten.
der atem floß wieder, das herz schlug ruhiger. ich seufzte und schlich mich zurück in mein zimmer, siegreich und besiegt.
…
der erste rückschlag, die erste kursänderung des romans: ich kann nicht über „unsere generation“ schreiben, wie gerne ich es auch täte, mit wieviel wut im bauch: es geht nicht, weil es nicht „meine generation“ ist. ich kann mit dieser generation nichts anfangen, und Florian Illies hat wohl leider recht. eine gegendarstellung von mir kann kein wir enthalten, nur ein ich. das ist schade, weil es dem gegenentwurf die wucht nimmt. es bleibt nur ein kümmerliches selbszeugnis. ich habe keine genossen.
sich zum sprachrohr einer generation machen wollen, ist auch nicht gerade der beste grund, eine längere prosaerzählung in der volkssprache zu schreiben. unbescheiden außerdem. man könnte auch sagen größenwahnsinnig. nur mal so angemerkt. auch wenn ich wirklich sehr gerne die frage nach dem was wollten wir? gestellt und beantwortet hätte.
…
nun wieder:
sammeln, punktgenau sein.
es ist nicht mehr gleich, welche wälder aus der morgendämmerung der seele wachsen. das mycel bleibt in die nacht verbannt, wo es ein trockenes brot speist, fruchtkörper plant und dem eigenen puls lauscht. was der mond macht, darf uns einstweilen nicht aufbringen.
war es je anders? ja.
nun wieder:
nach innen atmen.
wir haben uns wieder in stunden verwandelt. wild wedeln die arme wie zeiger. uns erreicht die nachricht, daß zeit ansteckend sei. im grunde haben wir es immer schon geahnt.
nun wieder richtungen
die kalenderblätter verfolgen ernste absichten. warum, ist, wie so vieles, unklar. man nimmt es zu protokoll und hakt es ab.
nachrichten
je alltäglicher die nachricht, desto früher wird sie gesendet. ja banaler die nachricht, desto lauter die stimme. der tod ist ganz leise. fast unhörbar. die sicherheitsbeamten stehen lauernd umher, wollen ihn dingfest machen.
ein für alle mal.
nun wieder:
das nächste fest planen, als sei schon sicher, daß wir es noch erleben werden. grölen vor lachen, während ein schnapsgefüllter riesenschnuller vor der brust baumelt wie die eigenen abgeschnittenen genitalien, nach perserart.
die seufzer alle einsammeln und unter formalin aufbewaren. vielleicht kommen sie uns noch einmal zupaß. später, wenn wir den mond rückwärts erzählen und unser schoß erkaltet ist in der eigenen hand.
im kreis
juppsasa tirallala, und immer im kreis, keine gedankenstille vorschützen, weiter weiter, schön ist ein zylinderhut, im kreis im kreis wie die räder rollen, geradewegs in die zukunft, und wer sie als erster erreicht, hat gewonnen, vorwärts marsch, vorwärts und marsch und das fröhliche tanzbein geschwungen, trink, bruder, trink, wir schaffen die nacht ab und den kater, wir töten die dunkelheit und die stille, wir vergiften die traurigkeit, wir knüpfen die sehnsucht auf, tanze tanze ringelreihn, wer bremst, verliert, wer denkt, ist selber schuld, heute wolln wir fröhlich sein, wllon wir löhfrich, wloln wir föhlrihc föll wrrr wollich chchcfrrrrwllll …wlllllichöllfrrrfffrfrrfr … rffrrlllch frl …
Episode
gestern abend
ich wieder im zug
du wieder am bahnsteig
später
du wieder am steuer
ich wieder auf dem beifahrersitz
später
du wieder auf mir drauf
ich wieder in dir drin
nicht viel später
du schon da
wir wieder gleichzeitig
nachts
ich wieder an dich geschmiegt
wir wieder schlaf an schlaf
heute morgen
du wieder kaffee ans bett
ich wieder unausgeschlafen
später
du wieder am bahnsteig
ich wieder im zug
jetzt
du wieder in deiner kleinen stadt
ich wieder in meiner kleinen straße
.
…
wieder erinnerungen, wo man bereit ist, sie nicht zu erwarten: das brot im knisterlaub, in die helle geschrieben. wabernde schaufenster, müde verkehrsampeln.
laub im hof: in ständigem kreis kratzen wieder die sterne ans fenster. die altäre stehen leer. moos auf den knien von statuen, den flügeln von engeln, spitz wie schulterblätter. zwei schwerter des behutsam aufgehobenen glücks, messerscharfen glücks. ein ichkannnichtmehr, dessen blaßrosa schrift verläuft und eins wird mit erde und duft. klarsichthülle um abschiedsbrief, während schritte sich entfernen, handinhand, und der kies leise knirscht, als schäme er sich, ein geheimnis preisgeben zu müssen.
.
Greinstraße
Performanz
Ich scheue Situationen, in denen eine performance von mir verlangt wird. Alle Arten von Gesellschaftsspielen, öffentliche Geschenküberreichungen, Ehrungen, ritualisiertes Feiern wie Hochzeiten und Geburtstage, insofern sie mit Spiel und Auftritt verbunden sind, zudem Aufforderungen wie “Erzähl doch mal einen Schwank aus deinem Leben”, sowie gespielte Dialoge in Sprachkursen sind mir ein Greuel. Das allerallerschlimmste aber: Kennlernspiele. “Wir lernen uns jetzt gaaaanz ungezwungen kennen”. Komisch. Ich könnte mir kaum eine gezwungenere Form des Kennenlernens vorstellen. Löst bei mir schlagartig den Fluchtreflex aus. Einmal mußte ich als vierjähriger in einem Sommertagsumzug als völlig alberne Biene verkleidet mitlaufen. Der Gedanke daran treibt mir noch heute die Schamesröte ins Antlitz. Ein anderer performativer Supergau ereignete sich auf einem Kindergeburtstag. Vielleicht ist das Spiel bekannt: Einer der Gäste wird als Zielscheibe der Verarschung ausgewählt (schon das ist ein Vorgang, den ich nie begriffen habe. Was ist das für ein Spiel, in dem eine einzelne Person ausgewählt wird, damit sie sich den Spott aller übrigen im anschließenden Bloßstellungsritual zuziehe?) und muß einen Moment das Zimmer verlassen, während die anderen in den Verlauf des “Spiels” eingeweiht werden. Dann wird der Spottvogel hereingebeten, alle setzen sich im Kreis um ihn oder sie herum — und es passiert erst einmal gar nichts. Bis dem/der Ausgewählten etwas dämmert … Das ganze endet damit, daß alle in grölendes Gelächter ausbrechen, wenn die Zielscheibe endlich naiverweise das erlösende Hä-warum-macht-ihr-mir-alles-nach ausspricht. Was schon die ganze merkwürdige Pointe des Spiels ist. Ich beging damals den Fehler, daß ich mich weigerte, das Offensichtliche, nach dem alle gierten, ausszusprechen. War ich denn bekloppt? Ich hatte es begriffen, ok. Warum mußte ich es denn noch sagen? Warum mußte ich so tun, als sei ich ahnungslos? Es endete damit, daß ich für ungefähr eine Stunde ein geächteter Buhmann war. Ein Spielverderber. Weil ich mich dagegen gewehrt hatte, mich nach den Regeln eines Spiels bloßstellen zu lassen, wurde ich jetzt in Wirklichkeit bloßgestellt.
Lösung
Lachen.
Windmühlen
mich zurückziehen oder mich weiter aufreiben in einem widerstand, der rein innerlich bleibt und mir nur schadet? wenn die frage überhaupt sinnvoll ist. meine wut, meine entrüstung, meine fassungslosigkeit manchmal, darüber, daß die welt einfach nicht hinhört, wenn ich einen bescheidenen anspruch an sie habe, ist primär. unhinterfragbar. ausgangspunkt.
wie damit umgehen?
wenn es einen rückzug gibt, wie sähe er aus? wohin überhaupt, noch weiter ins innerliche? aber die entrüstung ist ja auch schon innerlich, die wut eine wut des vergeblichseins. ich kann nichts ändern. die autos werden weiter fahren, der baustellenlärm wird sich nicht ausschalten lassen, durch kein handeln von mir, selbst der schärfste protest meinerseits würde nur ein der-ist-ja-bekloppt-vogel-zeigen ernten. man würde mein anliegen ja nicht einmal verstehen.
der rückzug müßte entweder darin bestehen, daß ich die tatsächlichen ereignisse, die mich kränken, eliminiere, indem ich ihnen ausweiche. das ist kaum zu bewerkstelligen, vor allem deswegen nicht, weil ich als zoon politikon von denen abhänge, die mich kränken, sei es auch nur über den umweg der verhältnisse, die, so wie sie nun einmal sind, auch mir zum vorteil gereichen. gereichen müssen, denn ich kann mich gar nicht gegen sie entscheiden. nehmen wir an, ich richte an die stadt Bonn eine offizielle beschwerde. der lärm dieser baustelle sei nicht tolerierbar, die schläge der bohranlage kilometerweit vernehmbar, durch geschlossene türen und fenster nicht aufzuhalten, die art des lärms, diese rhythmischen, metallischen, hart nachfedernden explosionen und das klingende stein-auf-stein seien eine folter; an konzentration sei nicht zu denken; schließlich gebe es menschen, die zu hause arbeiteten und ruhe bräuchten etc. was würde ich damit erreichen? im besten fall eine antwort, die phrasen wie „haben Sie bitte verständnis“ und „gemeinwohl geht vor einzelinteresse“ enthielte. was weiter? der gerichtliche weg: aussichtslos, und obendrein noch mit der schmach der niederlage verbunden.
aufgerieben.
oder der rückzug besteht darin, sich einfach nicht mehr kränken zu lassen. den lärm einfach mit wohlwollen betrachten. aber schon der gedanke ist eine zumutung.
ich will das nicht hören müssen. ich will einfach nicht. diesen lärm nicht und all den anderen auch nicht.
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abgelenkt
abgelenkt.
eigentlich müßte man ja froh sein über jede ablenkung. seminararbeit schreiben, referat vorbereiten, einkaufen, wäsche aufhängen, kochen, weblogeintrag schreiben, es gibt so viel zu tun. und wenn es der letzte müll ist, und das ist es, bei näherer betrachtung, meistens. also nicht zu nah rangehen. nicht zu genau prüfen, wozu und weshalb und ob da draußen noch jemand … überbrücken, heißt die devise. irgendwie es bis zum tode schaffen, hinbringen, verplempern, verkichern, wäsche bügeln, glasmüll sortieren, patiencen legen, mensch-ärgere-dich-nicht-spielen. kette rauchen. pennen. das ist eigentlich das beste. egal was. nur nicht darüber nachdenken, mein gott. und wenn du schreiben willst, wenn du meinst, daß du diese qualvolle methode der ablenkung wirklich willst, bitte. dann tu es. aber sei dir darüber im klaren, daß es auch nur eine ablenkung ist. du könntest auch ins bordell gehen. oder masturbieren, wenn dir ersteres zu teuer ist. oder die seminararbeit zuende schreiben. oder oder oder. es spielt keine rolle. es ist nur zeitvertreib. was soll die phrase „sinnvoll nutzen“ denn in der sterbestunde noch bedeuten? ist es dann leichter? glaub das mal nicht. und nach der sterbestunde spielt es ohnehin keine rolle mehr, ob du masturbiert oder einen roman geschrieben hast.
lenk dich ab, denk nicht zuviel nach. geh auf den weihnachtsmarkt, da lernst du, was frohsinn bedeutet. schmier dir zuckerwatte ins hirn, reite auf einem plastikpferd durch jingleglöckchenklingelsüßerniegedüdel und freu dich des lebens. egal. ganz egal. natürlich könntest du anfangen zu glauben. aber damit würdest du dir selbst widerstreiten. du wüßtest ja nicht einmal, worin der unterschied zwischen dem glauben an zwerge, an Zeus, an einhörner, oder an Isis besteht. bah, widerlich. jetzt weiche ich auch noch aus, um ja niemandem auf die füße zu treten.
verdrängen, im sirup der ausgelassenheit ertränken, im rausch des heititei auf weinfestfahrt mit schnapsschnuller ummen hals ersaufen. das ist leben. das ist großartig. das ist die wahre kunst des lebens, das sich der ablenkung hingegeben hat, was ja das vernünftigste ist. so merkt man das sterben nicht so sehr, das alltägliche, stündliche. bis es dann soweit ist, hat man sich amüsiert, wenigstens. und die zeit ist doch wie im flug vergangen, nicht? nicht einziges mal darüber nachgedacht. eine tolle zeit gehabt. ganz ohne kopfschmerzen.
ich geh mir jetzt mal ein bier holen.
.
…
ist diese allerorten grassierende BAUTÄTIGKEIT eigentlich irgendwie ursächlich mit jenem unsäglichen FEST verknüpft (“muß vor dem FEST noch fertigwerden”; “ist ‘ne überraschung für mami”; “sieht so hübsch aus unterm baum”)?
oder mußten noch schnell die restmittel des jahresetats für straßenbau ausgegeben werden?
ist mir egal. es ist mir hier zu laut für die jahreszeit. ich wandere aus in leisere klimate.
pst! (silentium)
.