Dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen, das wäre wohl der passende Ausdruck. Mittags noch den Eindruck einer Moribunden erweckend, hat die Greisin, berichtet ihre Tochter, am Abend schon wieder scherzend am Tisch gesessen, und die Angehörigen, vor zwei Stunden noch auf das Schlimmste gefaßt, sitzen aufgekratzt beim Wein. Vielleicht sind sie eine Spur zu fröhlich, die Stimmen, die sich in der Dämmerung lösen, ein bißchen zu laut das Lachen, wie es heiter aufschießt, die Schwalben mit einbeziehen will, die über den Scheunen am kalkblauen Himmel vorüberzucken. Ein Grünfink pfeift von einer nahen Fichte, jemand fragt, was das für ein Vogel ist, eine Krähe ruft von einem Dachfirst, Nachbarkinder werden zu Bett gebracht, man macht eine zweite Flasche auf. Es wird Regen geben und Abkühlung, hofft man beim Blick zu den aufziehenden Wolken. Das Gespräch dreht sich um lange vergangene Urlaubsfahrten und Kindheitserinnerungen, alte Zeiten, lange Wege, an deren Beginn jenes Ende, an dem man hier an diesem Sommerabend wie feiernd beieinandersitzt, unfaßbar weit weg gewesen ist, so weit, daß es noch gar nicht hätte zum eigenen Leben gezählt werden können, weil die nur abstrakt denkbaren Hauptpersonen solchen entfernten Lebens, solcher vorgegriffenen Erzählung, völlig andere Menschen hätten sein müssen als man selbst. Diese unvorstellbaren Menschen, die sind diese drei jetzt, und sie sind ganz genau dieselben wie früher. Man sitzt als dieselben und spricht und feiert, in dieser Zeit nach der Zeit, wie Schüler, die jubeln, weil der Prüfungslehrer erkrankt ist und die Prüfung ausfallen muß.
Schlagwort: Lebenszeit
Fern
Später wirst du mir diese Geschichte erzählen, und die Tage werden sich zu erkennen geben als das, was sie waren, während ich sie versäumte. Das Versäumte wird sich zu erkennen geben als Tag, der durch dich aufging und verging. Zeit, die zu sich selbst zurückläuft, um noch einmal Du zu werden und sich in dir um Stunde und Tag, um Tag und Woche zu erneuern, und was jetzt unvorstellbar ist, dieses ferne Du, das den Lauf ferner Tage hervorbrachte, wird gewußt sein; und was gewußt sein wird, jenes nahe Du, das die Stunde des Erzählens hervorbringt, wird unvorstellbar geworden sein als jenes erste ferne, das du jetzt und jetzt und jetzt bist.
Für später, für jetzt, für alle Tage
Quibus enim nihil est in ipsis opis ad bene beateque vivendum, eis omnis aetas gravis est; qui autem omnia bona a se ipsi petunt, eis nihil malum potest videri quod naturae necessitas adferat. Quo in genere est in primis senectus, quam ut adipiscantur omnes optant, eandem accusant adeptam; tanta est stultitiae inconstantia atque perversitas. Obrepere aiunt eam citius, quam putassent. Primum quis coegit eos falsum putare? Qui enim citius adulescentiae senectus quam pueritiae adulescentia obrepit? Deinde qui minus gravis esset eis senectus, si octingentesimum annum agerent quam si octogesimum? Praeterita enim aetas quamvis longa cum effluxisset, nulla consolatio permulcere posset stultam senectutem.
Denn die nichts an Reichtum in sich finden, der ihnen zu einem guten Leben verhelfen würde, denen fällt jedes Lebensalter schwer. Die aber jedes Gut in sich selbst suchen, denen kann nichts als Übel erscheinen, was die Notwendigkeit der Natur mit sich bringt. Unter diesen Dingen ist besonders das Alter zu nennen: Alle wollen es erreichen und verfluchen es doch, wenn sie’s erreicht haben. So groß ist die Inkonsequenz und Verdrehtheit der Dummen. Dann sagt man, das Alter sei schneller herangeschlichen als geglaubt. Darauf ist erstens zu sagen: Wer hat denn diese Leute gezwungen, etwas Falsches zu glauben? Denn wie könnte Wie sollte sich denn das Greisenalter schneller ans Erwachsenenalter anschleichen als das Erwachsenenalter an die Kindheit? Und zweitens: Wie könnte sollte einem nach achthundert Jahren das Greisenalter weniger beschwerlich sein als nach achzig? Denn Ganz gleich wie lang die Lebensspanne auch wäre – einmal verflossen, könnte sie ja dem Dummen im Alter doch zu keinerlei Trost gereichen.
(Cicero, Cato Maior De Senectute, 4)