Sehnsucht nach der Küste. Wenn man sich schon dabei ertappt hat, wie man Laufstrecken auf Amrum oder Föhr ausmißt, dann ist es wohl höchste Zeit, den Rucksack zu packen und Fahrpläne zu studieren.
Ich weiß nicht, ob ich auf Dauer auf einer Insel leben könnte. Am Meer bestimmt, an einer Küste. Auf Inseln krümmt sich die Küste in sich selbst zurück und umgreift alles, was ist. Das ermöglicht Übersicht und Inventur. Auf Dauer wäre mir das aber zu eng. Alles strömte dort zu mir selbst zurück, bald wäre man, wo immer man sich befindet, die Mitte von allem. Die engen Grenzen der Geographie machen jeden Betrachter in seinem Mittelpunkt ausfindig.
Das Meer ist das Ende von allem. Felsen, Sand, Wälder, Berge, Ebenen, Schluchten, Bebauungen, Kräne, Kanäle, alles schmilzt an diesem Rand zu einer einzigen ungegliederten Fläche und Masse zusammen. Nur der wolkenlose Himmel ist noch gleichförmiger.
Freiheit würde bedeuten, an einer Küste entlanglaufen zu können, ohne je an ein Ende zu kommen oder zu sich selbst zurückgeführt zu werden. Zugleich gibt die Küste eine Richtung vor: Hier ist nichts, dort ist alles.
Wenigstens vorübergehend sich selbst entkommen. Verschwinden in der Flut, eine winzige Figur werden auf einem langgestreckten Deich, ununterscheidbar von Schafen, ein kleiner, schwarzer Punkt am irdischen Ende einer langen Drachenschnur.
Dann auch die Drachenschnur kappen.