Kühl ist es an diesem ersten Mai und gar nicht maiartig, eher so wie maiandachtartig. Die Wege strecken sich menschenleer, Wind ist das einzige Geräusch. Endlich. Der Wald hat den Lärm der Maifeiern, die elektrisch wabernden Musikschwaden, das Grölen Betrunkener, das schrille Lachen halbstarker Mädchen, so gründlich vergessen wie nie gehört, frischer Westwind streift über die Alleen, Böen mit Seegeschmack lassen die Bäume rauschen, und hinter dem Rauschen ist noch mehr Rauschen und noch mehr Rauschen, und dahinter ist nichts.

Das innere Reden und das äußere Schweigen. Du schweigst. Seit Wochen schweigst du, auch wenn es nur ein Tag gewesen ist, bislang. Also muß ich reden. Und das tu ich. Ich nehme kein Blatt vor den Mund. Ich beschimpfe dich und verleugne dich, ich überlade dich mit Vorwürfen und Anklagen, ich laufe durch den Wind und fuchtele mit den Händen, schneide Grenzen in die Luft, grenze mich ab von dir, grenze mich ab aus dieser Geschichte. Und fürchte mich. Und schäume vor Wut. In mein Leben bist du hereingeschneit, nun verschwindest du vielleicht wieder daraus, und beide Male habe ich nur zusehen können. Ich weiß, daß das nicht stimmt. aber es tut gut, es so zu sehen, es so auszusprechen und hinauszukeuchen, während ich übers Feld renne, während irgendwo wütende Gänse antworten, während zu Hause dein Schweigen hockt und auf mich wartet.

Zu gehen, denke ich, das wäre mein Part gewesen, das steht niemandem zu außer mir.

Und auch das ist falsch. Aber oh, wie herrlich der Ingrimm ist, mit dem ich das denke.

Überall Spuren der Waldarbeit, Stapel trocknender Baumstämme, die walzenförmigen Abdrücke von Traktorreifen, abgeschabte Rindenstücke. Aber keine Fahrzeuge weit und breit, heute ist ja Feiertag. Am niedrigen Gewölk hobelt immer wieder die Sonne, eine tote Hornisse leuchtet auf dem Weg wie die Scherben eines zertretenen Bonbons, die Pferdeäpfel frösteln in der Brise wie evakuierte Inseln. Wasserlassen am Wegesrand, Blick zur Rodung, Blick in Laubflächen, in verwickelte, komplizierte Ränder, die sich ineinander verhaken und verhäkeln, bis es ein Wald ist. Ich lausche nach dem Geräusch unerreichbar langsamen Grüns. Ich nehme meine Zeit in Besitz, denke ich. Hier bin ich zu Hause, hier kenne ich mich aus, hier kann ich beinahe verschwinden, bis ich mich selbst nicht mehr finde. Bis ich mich am eigenen Fuß hinter einem Holzstoß hervorziehen muß.

Kein Regen, in Fetzen gerissenes Licht, abgewetzte Ränder, die Luft hat eine körnige Substanz. Der Wind schmeckt nach Übermorgen. Im Unterholz rascheln Rehe. Alles wird wieder gut, denke ich, und ich denke, Zeit, wieder im Wald zu übernachten, und die Böen rauschen, und hinter Rauschen und Rauschen ist nichts.