Erzählen

Oft habe ich Ransmayr bewundert für diese verblüffend gelassene art, etwas zu erzählen, ohne es zu erzählen. Immer wieder zurückblättern, innehalten, austreten aus dem sprachstrom und mich fragen: Wie sind wir jetzt hierher gekommen? Wie ist es möglich, daß hier erzählung stattfindet, zwischen den sätzen, sozusagen, und kein einziges mal mit diesem gruseligen, von mir so verachteten und doch immer wieder sich einschleichenden, scheinbar unvermeidlichen hinweis darauf, daß erzählt wird. Bei mir schreit jedes wort laut heraus, daß es erzählung sei. Ich bin als erzähler allzu präsent, meistens in beschämender weise, als hätte ich in einem flüsterleisen kirchenraum plötzlich mit lauter und zugleich unsicherer stimme falsch zu singen begonnen. Bei Ransmayr nichts davon, die erzählung geschieht, sie spricht nicht, sie spricht sich nicht aus. Auf einmal sind wir in Irland, auf Horse Island, in Sechuan, im Eis, ohne je – kein „und dann zogen wir drei tage gen Sechuan“ oder ähnlicher quatsch – geführt worden zu sein, ohne erklärungen aus dem off (obwohl fast alles aus dem off ist), alles nebenbei (aber woneben eigentlich?), ohne eröffnung, ankündigung, einleitung, jedes setting wie aus sich selbst geboren, und erst im nachhinein stellt man fest, man ist ja mittendrin! Wie aber aus den einzelnen, für sich völlig unauffälligen (sieht man von ihrem geschliffenen glanz ab) sätzen die erzählung entsteht, bleibt ein geheimnis, und auch zurückblättern enthüllt es nicht. In geradezu beängstigender weise ist hier das ganze mehr, weit mehr, als die summe seiner teile.

0 Gedanken zu „Erzählen

  1. Dein Text hört sich teilweise an als hätte ihn Peter Kurzeck
    geschrieben.
    Ich habe “Der fliegende Berg” gelesen und kann alles unterschreiben was du über Ransmayr sagst.
    Diese Ruhe in den Sätzen und diese Genauigkeit gefällt mir schon sehr.
    Aber ich kann Dich beruhigen falls Du zu sehr darüber frustiert bist dass Dir das nicht gelingen will.
    Elfriede Jelinek sagt in einem Interview, das immer wenn sie Robert Walser liest, sie den Eindruck hat, sie brauche nicht mehr schreiben, er hat ja bereits alles gesagt.

    http://www.arte.tv/de/kunst-musik/buchtipps/Alle-Rezensionen/J-L/Elfriede-Jelinek/690510.html

  2. Solch ein Sprachstrom verführt den leichtfertigen Leser, der nicht innehält und zurückblättert, sondern sich einfach davontreiben läßt, aber zu sehr. Muß da an Brecht, episches Theater,… usw. denken.

    Liebe Grüße

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