Bogenförmige Versteifung … Irgendwo hatte ich diesen Ausdruck schon einmal gehört. Ich erhob mich, sah, daß die Frau gegenüber mich anstarrte, starrte freundlich zurück (erhaschte dabei einen rieselnden Blick auf ihr nacktes Kinn), suchte in der Weste nach den Zigaretten und begriff, daß hier abermals ein Fall von absurder Steigerung eines durch elementares Unglück verursachten Kummers infolge eines an sich völlig belanglosen Ärgernisses vorlag. Und so war ich wie ein Hiob ordentlich verzweifelt, als ich feststellen mußte, daß sich all meine Rauchwahre oben in der Wohnung befand. Vor der die Fahnder auf mich warteten, wenn sie nicht schon die Geduld verloren hatten.
Steif erhob ich mich und ging zur Theke.
Ich äußerte meinen Wunsch, griff nach der Geldbörse, suchte darin einen Schein und sah beim Aufblicken, daß die Verkäuferin mich bewegungslos ansah. Erwartungsvoll. Ich schaute nicht minder erwartungsvoll zurück. So starrten wir eine Weile; hatte sie vielleicht nicht richtig gehört? Doch während ich meinen Wunsch wiederholte, beschlich mich wieder das Unbehagen, das ich in den letzten Wochen und Monaten so oft empfunden hatte. Was war jetzt wieder falsch?
Sie hob leicht die Schultern, öffnete weit die Augen, und da war es wieder. Ich erinnere mich nicht, wann die Leute damit anfingen. Lexikalisch war es ein „ja“. Der a-Laut aber ganz kurz und wie abgerissen vom nachfolgenden, deutlich hörbaren Kehlkopfverschluß, was immer so klang, als habe ein Sturm das Wort weggeblasen. Ja’. Man ließ die Schultern nach vorne fallen, reckte den Kopf vor, riß die Augen weitauf, und dabei machte man ja’, hielt die Stimme an und damit die Spannung (man konnte förmlich die Bauchmuskeln sich kontrahieren sehen), vielleicht schüttelte man auch ein wenig den Kopf dabei, während, ja’, die Stimme vermittels der Körperspannung illusionär fortklang, um dann nach einem Schreckmoment wieder einzusetzen, so wie jetzt.
„Ja’ – Ihre Kaaaarte! Die letzten beiden Wörter wie das herrische Motiv eines Marsches oder düsteren Tanzes, dada diiiiii da, verärgert, ungeduldig, unduldsam. Ihre Kaaaarte. NunmachenSieschon.
Welche Karte? Sie hatte die Hand schon ausgestreckt. Am Ringfinger trug sie einen quietschrosa Ring. Ihre Nägel waren so lang, daß ich durch das dünne Horn den abspringenden Lack auf der anderen Seite sehen konnte. Mir dämmerte, was sie von mir wollte. Ich schüttelte den Kopf.
„Ohne Karte kein Rauch.“
„Hören Sie … ich hab sie vergessen, ich … wußte nicht, wie lange …“
„Ohne Karte kein Rauch.“
„Können Sie nicht mal eine Ausnahme machen?“
„Hören Sie, da könnte ja jeder kommen und wollen, daß man ’ne Ausnahme macht. Nee nee, entweder Sie haben eine Karte, damit der Rauch ordentlich verbucht wird, oder es gibt keinen Rauch.“
„Aber ich … nur unter uns … vielleicht … braucht doch keiner zu erfahren …“
„Nein, es – geht – nicht! Selbst wenn ich einverstanden wäre – was ich nicht bin, schließlich muß ich letztendlich dafür aufkommen, wenn Sie Ihre Gesundheit ohne Rückstufung ruinieren – aber selbst wenn, wie gesagt, es geht nicht. Der Automat gibt mir nur nach Einlesen der Karte Ware heraus. Ist automatisch. Nichts zu machen. Tut mir leid. Au – to – ma – tisch.“
Ich hätte es wissen müssen. Wie so oft in letzter Zeit hatte ich die Lage unterschätzt. In einer resignierten Geste ließ ich meine Handfläche auf den Tresen aufklatschen und wandte mich ab; und schlurfte, noch ein Stück müder, durch den Sonnenfleck zu meinem Tisch und dem kaltgewordenen Tee zurück. Dabei schloß ich einen Moment geblendet die Augen, und es schien, so lange ein Herzschlag dauert, daß der Boden in einer spiegelnden Bewegung wegkippte. Ich griff hastig nach der Tischkante. Nach einem Atemzug wurde das Bild wieder klar. Vor den Scheiben fuhr ein Lastkraftwagen an, lautlos eine Abgaswolke aus dem Rohr blasend.
Die Sonne blitzte noch einmal über die Scheiben, der Fahrer schaltete, eine weitere Rauchwolke drang aus dem Schornstein; die Straße jenseits der Berberitzenhecke zitterte und dröhnte, und in diesem Moment begriff ich endlich: Ich mußte weg.