Trennung

Als ich zuletzt in dieser Wohnung war, leuchtete unten hellrot der Baum.

Es war alles anders. Nicht ich war derjenige, der Schmerz zugefügt hat. Diesen Schmerz tragen wir beide, und zu ändern ist da nichts. Es tut mir jetzt zwar weh, aber immerhin bin ich nicht der Bösewicht und Schmerzbringer, und niemand haßt mich oder ist befreiend-wütend auf mich.

Trotz all der Ichweißesnichts, die gestern zwischen uns hin- und hergingen glaube ich, sie weiß es ganz gut. Und ich eigentlich auch. Nur ist mir das alles merkwürdig zuvorgekommen. Und schlimm für mich ist, daß es nicht die Beziehung ist, an die ich nicht mehr glaube, oder die ich als unspannend oder ausgelaugt empfinde, sondern nur ein Klitzekleines, wenngleich sehr Wichtiges, wo ich Mangel fühle; sie aber ist vollkommen glücklich in diesem Klitzekleinwichtigen. Dort wo ich unzufrieden bin, ist sie beglückt. So daß sich unsere Zweifel an uns aus zwei ganz unterschiedlichen Quellen speisen. Und für mich ist es jetzt so, daß gerade das, was warm und stark in mir ist, unerwidert bleibt. Und ich fühle mich, obwohl ich es doch war, der verlassen wollte, jetzt selbst fürchterlich verlassen.

So fühlt es sich also an, dachte ich, so fühlt es sich an. Am Bahnhof langes händeringendes Warten, der Zug hatte Verspätung, dann kam er, dann stand er eine halbe Stunde und hatte „technische Probleme“; ich stand im überfüllten Gang und litt; es hieß, dieser Zug werde jetzt abgerüstet, und das Erlöschen des Lichts bedeute keine Gefahr. Ich dachte, daß das jetzt zum Lachen sei. Statt dessen dachte ich an E.s Lachen, an Vergangenes, das jetzt Geschichte war, Fahrten in die Eifel, Abende zu zweit, Kekskrümel im Bett, Kuchenbacken, Aufderterrassesitzen, Weisenkindervonnebenanbeobachten. Mir wurde mir ein bißchen übel. Dann ging das Licht aus, dann wieder an, und dann knirschte es laut im Zugdach, und dann gab es Hammerschläge, die sicher auch keine Gefahr bedeuteten, aber es gab keine Durchsage mehr, und dann ertrug ich es nicht länger und stieg aus. Wartete unschlüssig, immer und immer mit dem rohen Wüten in meiner Brust, während sich die Fahrgäste nicht entscheiden konnten, ob sie den nächsten Zug nehmen sollten oder weiter warten, und ein- und ausstiegen, bis der Zugführer einen Brüller losließ, man wolle jetzt abfahren, rein oder raus!. Plötzlich entschlossen ging ich fort. In mein Institut, dort noch ein Telephongespräch, danach war es viel besser. Später noch zu ihr, wo wir einen keuschen Abend mit noch mehr Gespräch verbrachten.

Es ist leichter jetzt. Aber die Unmöglichkeit ist schwer zu ertragen. Ich sehe aus dem Fenster, ehe ich, ich weiß nicht für wie lange, gehe. Blätter wirbeln wie Geistertiere über den Platz. Ersterben, bleiben liegen, regen sich wieder. Der Baum hat all sein Laub verloren in der Woche, in der ich nicht da war. Ich spüre mein Herz schlagen. Es schlägt und schlägt und schlägt, und es erscheint unbegreiflich, daß es jemals damit aufhören könnte. Und plötzlich bin ich sicher, daß der Baum da unten längst wieder frisches Laub haben wird, wenn ich das nächste Mal hier bin.