Unbefleckt

Man kann, wie Antje Schrupp das tut, die jungfräuliche Empfängnis Mariens mit dem Hinweis, es sei inakzeptabel, den Wert einer Frau an ihrer sexuellen Vergangenheit bemessen zu wollen, in Bausch und Bogen als patriarchalen Feuchttraum ablehnen — oder man nimmt die Geschichte ernst: dann bleibt man für andere Deutungen offen, die vielleicht nicht historisch-exegetisch zu verteidigen sind, aber dennoch prima Sinn ergeben. Wie es ja die Natur von guten Geschichten ist, offen für alle möglichen Deutungen zu sein. Die jungfräuliche Empfängnis steht für das Unmögliche, das im Wunder möglich wird. Sie ist so unmöglich, wie es unmöglich ist, daß Farn blüht, Vögel Milch geben oder Hasen Eier legen. Sie widerspricht jeder biologischen Erfahrung. Ist die Welt auch gesetzmäßig eingerichtet, so zeigt sich Gott in der Jungfrauengeburt als der, der an die eigenen Gesetze nicht gebunden ist. (Denn für Gott ist nichts unmöglich, Lk 1, 37.) Was aus menschlicher Sicht schon die ganze Welt schien, erweist sich als unvollständig, erweist sich als begrenzt, erweist sich gegenüber dem, was Gott ist, verarmt, des Wunders bedürftig. Man könnte salopp sagen, da ist noch Luft nach oben. Die Geburt Jesu durch eine Jungfrau ist eine Revolte gegen den Verstand und gegen das vermeintliche Wissen, das die Welt für vollständig hält. Die Welt stellt sich als unvollständig, als größer, viel größer heraus, als wir glaubten. Das Wunder ist der Ort, wo Gott diese größere Wirklichkeit für einen Moment aufscheinen läßt, indem er die Oberfläche, auf der wir leben und die wir für alles halten, als Willkürakt durchstößt. Als Zeichen seines Willens, der, an keine Kausalkette gebunden, eine eigene neue initiieren kann.

Freilich tut es zu diesem Zweck jedes beliebige Wunder. Gott hätte Jesus auch mit einem Schaf zeugen, ihn aus dem Oberschenkel Josephs heranwachsen oder ihn aus einer Schaumkrone ans Ufer spülen lassen können. Narratologisch-theologisch stellt sich das Problem, daß Gottes Sohn zwar das irdische Dasein mit allen Konsequenzen antreten, daß er ein Mensch aus Fleisch und Blut sein, daß er schwitzen und hungern und leiden, daß er den Härten des Irdischen unterworfen sein muß wie der Rest der Menschheit. Andererseits muß aber auch irgendwo die göttliche Herkunft durchschimmern, muß es irgendwo nicht mit rechten Dingen zugehen. Zu göttlich, und man glaubt dem Gottessohn sein Ausgeliefertsein an die irdische Natur nicht mehr: schließlich sind nach griechischer Erzähltradition alle von Göttern mit Sterblichen gezeugten Kinder nicht ganz von dieser Welt, haben einige interessante Eigenschaften ihren Mitgeschöpfen voraus oder sind gleich selbst Götter oder zumindest gottgleiche Wesen, jedenfalls kraft ihrer Herkunft auf die eine oder andere Weise privilegiert. Ein solches Privileg darf Jesus nicht haben, sonst fällt die theologische Konstruktion in sich zusammen. Die Fleischwerdung wäre quasi gemogelt. Aber ein kleines Wunder muß schon auch sein, sonst glaubt man die Vaterschaft nicht. Wenn nun schon das Gezeugte recht normal zu sein hat, verlegt man das Wunder eben, zwar nicht in die Mutter, aber immerhin in den Vorgang der Zeugung selbst.

Auch seltsame Zeugungsvorgänge haben eine gute Tradition im Mythos. Wie genau soll etwa Zeus in Gestalt eines Schwans Leda geschwängert haben? Oder Danae — recht abstrakt — in der Körperlichkeit eines, ähm, Goldregens? (Ein Schelm, wer hier an golden shower denkt.) Von Kopf-, Schenkel- und Schaumgeburten mal ganz zu schweigen. Ich nehme an, die Griechen hätten über das Gewese, das Theologen, Kirchenkritiker, Häretiker und neuerdings Feministinnen über die Jungfrauengeburt machen, angesichts etwa der Zeugung des Orion nur mit den Achseln gezuckt. Aber der Gott der Juden ist theologisch von ganz anderem Kaliber; dieser Gott ist so unfaßbar, daß die Schnittstelle zwischen Göttlichem und Menschlichem zum Problem wird. Will man ihn in einer Erzählung Vater werden lassen, muß man mit äußerster Vorsicht zu Werke gehen. Man kann diesem hinsichtlich Gestalt, Wesen, Natur ziemlich zurückhaltenden Gott nicht einfach einen Penis andichten. Daß Zeus einen hatte, daran besteht wohl kein Zweifel, zumindest berichtet der Mythos deutlich genug von göttlichen Ejakulationen. Da ist eine Menge Fleisch, wenn auch göttliches Fleisch im Spiel, wenn Götter zur Zeugung schreiten. Aber der alttestamentliche JHWH? Man tut sich schwer bei der Vorstellung, Gott habe bei Jesu Zeugung mit einem Penis in Marien Schoß herumgefuhrwerkt, sei dabei etwas grob zu Werke gegangen und habe dabei ein Häutchen zerrissen. (Das Hymen ist natürlich ein Mythos ganz eigener Art, aber darum soll es jetzt nicht gehen. Ich finde es nur interessant, daß bei den Griechen und Römern nie die Rede davon ist. Unerlaubter Geschlechtsverkehr verrät sich dort niemals durch Blut auf dem Laken, sondern immer gleich durch die Schwangerschaft.) Jedenfalls ist, wenn man schon an ein Hymen glaubt, der Schluß geradezu unausweichlich, daß dieses bei Gottes Intervention heil blieb — ganz einfach, weil die umgekehrte Vorstellung lächerlich wäre. (Wie es um den Zustand der noch einmal davongekommenen Membran nach der Geburt bestellt ist und ob es auch der Austreibung unseres Erlösers aus dem Geburtskanal standgehalten habe, mag hier mal außen vor bleiben.) Gott muß das also anders bewerkstelligt haben — aber wie, das entzieht sich in einer Weise, wie es eben typisch für diesen Gott ist, der Vorstellung. Allzu konkret (Goldregen?) dürfen wir hier nicht werden, sonst würde das Unnahbare und Unmanifeste Gottes in die Dinghaftigkeit gezerrt und zerstört. Das Konkrete ist der Feind des Mysteriums. Wenn man sich auf das Konkrete einläßt, entfesselt man eine Kaskade unangenehmer Fragen und Schlüsse. Wenn Gott konkret eine menschliche Frau schwängern konnte, dann muß er einen Penis haben. Dann muß er praktischerweise auch eine Erektion gehabt haben. Dann muß er auch ejakuliert haben. Hat er Vergnügen dabei empfunden? Irgendwie ist die Vorstellung absurd, Gott (dieser Gott zumal) könne Spaß am Sex gehabt haben. (Mit wem hat er dann Sex, wenn er nicht gerade Erlöser zeugt? Oder war ihm einmal genug? Und was ist eigentlich aus den nicht zum Zug gekommenen göttlichen Spermien geworden? Oder enthielt das Sperma Gottes nur eine einzige Samenzelle?) Wenn ein Gott, der Spaß hat, abwegig ist, ist freilich auch ein zürnender Gott abwegig, aber das führt jetzt zu weit. Jedenfalls bringt das unangetastete Hymen der Muttergottes diese und ähnliche Überlegungen mit einem Mal zum Verstummen, indem es darauf verweist, daß die Zeugung Jesu in einem unbegreiflichen Raum stattgehabt haben muß. Das Problem ist, wie man den Übergang vom Unmanifesten Gottes zum Manifesten von Schwangerschaft und Geburt gestaltet. Das heile Hymen Marias ist seine narratologische Lösung.

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