Unterwegs

Nicht einmal zwanzig Minuten, nachdem die Haustür hinter mir ins Schloß gefallen ist, beginnen die ersten feinen Tropfen zu stäuben, ein Nieseln, das sich in zehn Minuten zu einem ergiebigen Regen steigert. Da ist keine Stelle am Himmel, aus der nicht noch weiterer Regen droht, keine Wolken mehr, das ist der Himmel selbst, der schwer wie ein Schwamm über dem tropfenden Wald hängt. Noch vor ein paar Tagen mit einer Kollegin darüber gesprochen, wie albern es doch sei, mit dem Schirm in der Hand zu wandern. Nun ja.
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Wolkenfetzen hängen in den Tälern fest, die Straßen schwimmen, Absperrungen über Bächen sehen aus wie Bojen. Um nicht verrückt zu werden an dem Getröpfel, dem Gluckern, Rauschen, Plätschern, sage ich mir Gedichte vor, das lenkt ein wenig ab vom Zorn, den ich einfach nicht beherrscht kriege. Regen macht mich wahnsinnig, Regen macht mich selbst dann wahnsinnig, wenn ich im Trockenen sitze und zum Fenster hinausschaue, auch wenn ich nicht mehr raus muß, ich empfinde nicht einmal Erleichterung bei Regen nach einer Trockenperiode, er tröpfelt mir ins Hirn, selbst die Gedanken durchweichen wie Zeitungspapier. Das feuchte Echo ferner Autofahrten, die Fäden vor der verquollenen Hausfassade, das vergebliche Auf und Ab der Scheibenwischer, das Blinzeln der Pfützen, die zuckenden Blätter, die tristen Bäche, wie sie gerippt die Straße hinunterwallen — das alles ist zutiefst trostlos, niederschmetternd und entwürdigend, dem ganzen menschlichen Dasein Feind.
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Ein Regenschirm hält nur so lange den Regen ab, bis sich ein Gleichgewicht zwischen auftreffendem und vom Rand herabtropfendem Wasser einstellt — ab da wird alles naß, was sich zu nah an den Rand des Schirms bewegt, und bei einem Knirps ist das zwangsläufig irgendein Teil der Person, die darunter steht. In meinem Fall der Rucksack, der erwartungsgemäß durchnäßt wird.
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Unter den trostlosen Orten der Welt nehmen Unterführungen zweifellos einen Ehrenplatz ein. Fraglich ist, warum gerade die Ein- und Ausfahrten solcher Tunnel dazu einladen, Unrat zu deponieren. Einwegbecher, Burgerschachteln, Plastiktüten, Toilettenpapier, Plastikflaschen, Damenbinden, man könnte alleine aus den archäologischen oder kriminalistischen Horizonten von Unterführungen ein detailliertes Bild unserer Zivilisation rekonstruieren. (Mißverständnis späterer Archäologen: “Damit sie die Reisenden vor Unfällen bewahre, wollten die Menschen damals wahrscheinlich eine Gottheit gnädig stimmen, indem sie ihr vom Fahrzeug aus Getränke spendeten.”
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Auch ein Opfer der Unterführung ist das Eichhörnchen gewesen, dessen durchnäßter Kadaver einige Meter vom Tunnelausgang auf der Straße liegt, um die Längsachse verdreht, das Maul nach oben, zum Regen und den Wolken gewandt, ein schmutziger Feudel mit Schwanz und Zähnen. In diesem Momenten hört der Regen auf, es wird heller über der Straße.
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Was bringt es, Kränze niederzulegen, Kerzen anzuzünden, eine Gedenkstätte mit Aufrufen zum Frieden zu behängen? Mich machen solche Bekundungen immer ratlos. An wen richten sich diese Friedensappelle an der KZ-Gedenkstätte Wuppertal-Kemna, wo der Waldweg auf die Schnellstraße stößt, halb im Wald, wer ist ihr Adressat, was sollen sie bewirken? Ich habe auch damals die Geste nicht verstanden, als nach den Anschlägen aufs WTC völlig unbeteiligte Menschen auf der anderen Seite des Globus Kerzen ins Fenster stellten. Was wollten sie damit bewirken? Ich habe es nicht nur nicht verstanden, ich fand es nachgerade anmaßend, die wohlige Usurpation fremden Schmerzes. Vielleicht richten sie sich am ehesten an die ausführende Person selbst, erfüllen ihre Funktion schon im Akt der Anbringung. Sind Meditation. Übung. Ritus. Oder auch der Versuch, die Gottheit zu besänftigen, irgendein Numen gnädig zu stimmen, das doch bitte ein Einsehen haben soll mit den Torheiten der Menschen. Wenn schon die Menschen kein Einsehen haben mit ihren eigenen Torheiten.
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Geschwollene Muskeln der Bäche. Ich arbeite mich hinauf zu den Quellen, werde im Lauf des Wegs die Wasserscheiden mehrerer Täler überqueren. Oben freie Sicht in die Landschaften der Wolken, ringsum hat der Himmel zahlreiche Türme, Sender, Wasserspeicher auf die Hügel gesetzt, Wolkenfetzen kringeln sich darum. Vertrautes hat sich als Ferne verkleidet, gespenstisch, wie ein vertrauter Mensch, den man vergebens anfleht, wieder aus der Rolle zu fallen, Wege, die ich heute erst gegangen bin, haben sich abgewendet und ziehen unbekannt davon. Keine Pause, nur einmal Atem holen, dann fängt es schon wieder an zu nieseln.

7 Gedanken zu „Unterwegs

  1. Also, mir gefallen Zeiten, in denen man naß werden kann, ohne zu frieren. Mit der Marktfrau neulich lachend im Regen gestanden – Kohl und Lauch und Radieschen voller Wasserperlen; das hatten wir viel zu lange nicht mehr.

    1. Der Regen mag notwendig sein, ich mag ihn trotzdem nicht. Auch der Zahnarztbesuch, die Müllabfuhr und Staubsaugen sind notwendig. Mögen muß man sie deswegen nicht.

  2. (Ach so, und kennen Sie diese Heiligenhäuschen? Wo man früher Blumenkränzchen hingebracht hat und heute Baumarktengel mit Motivationssprüchen? Ich glaube, die speisen sich aus einem ähnlichen Bedürfnis wie die Solidaritätslichter. Ich frage mich noch, ob es das ist, was manche Leute auf fremde Beerdigungen treibt; aber da sind sicher noch andere Sachen im Spiel.)

    1. Ja, kenne ich. Aber ich glaube, solche Niederlegungen sind privat, und haben andere Motivationen. Diese Heiligenhäuschen sind ja keine Gedenkstätten, und wer dort einen Plüschtier hinstellt, appelliert nicht, sondern hat ein persönliches Anliegen oder Bedürfnis. Ich halte die Kerzen im Fenster oder die Appelle an Gedenkstätten eher für verwandt mit den seit ein paar Jahrzehnten grassierenden Awareness-Buttons und -schleifen. Und scheinen mir genauso rätselhaft in ihrer Motivation. Vielleicht eine Art von — wenn auch nur symbolischer — Rückgewinnung von Selbstwirksamkeit, das Gefühl, etwas getan zu haben, ein Stück Ordnung geschaffen zu haben in einer unübersichtlichen Welt. Was sich dann tatsächlich irgendwie wieder an die Heiligenhäuschen anschließen würde.

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