Eigentlich hätte ich von den Grimmbrüdern träumen müssen nach der Lektüre gestern abend. Nicht von den Märchen- aber von den Wörterbuchbrüdern. Deren Darstellung und Lebenserzählung durch Günter Grass in seinem Buch Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung hätte gewonnen durch die eine odere andere Wortgeschichte und wäre besser gelungen, wenn Grass auf die Eitelkeit verzichtet hätte, Episoden seines eigenen politischen Engagements an Stichwörter aus dem Wöterbuch wie aus dem Leben seiner Begründer zu knüpfen. So interessant das manchmal sein mag, so klingt es doch in dieser eigentlich einen anderen Zweck verfolgenden Biographie wie vorgedrängt und wichtig getan. Grass beschreibt an der Lebensgeschichte der Brüder Grimm entlang in Zeitsprüngen aktuelle und schon länger nicht ausrottbare Mißstände im modernen Deutschland und andernorts herrlich böse und mit einem Sarkasmus, der den Leser nicht ohne grimmige Zufriedenheit mit den Zähnen knirschen läßt. Aber man denkt ständig, das gehört in ein anderes Buch! Was hat das mit mit den Wörter- und Märchensammlern Wilhelm und Jakob zu tun, außer, daß das Lemma Freiheit oder Democratie als Gelenk für die Darstellung von Grass’ politischem Aktivismus dient? Das ist doch manchmal arg bemüht: “A propos Freiheit: Das erinnert mich, wie ich einmal auf dem SPD-Sonderparteitag deutliche Worte fand …” etc p.p. (Vielleicht doch mal die Zwiebel lesen? Und eine wissenschaftliche Biographie der Gebrüder Grimm!)
Was man sich völlig unabhängig davon auch mal vornehmen könnte: Täglich ein Lemma aus dem Grimmschen Wörterbuch nachlesen. Zum Beispiel, warum nicht, das Lemma Anfang? Oder, da wir gerade beim Anfang sind, den Anfang: A, der edelste und ursprünglichste aller Laute, aus brust und kehle voll erschallend, den das kind zuerst und am leichtesten hervor bringen lernt, den mit recht die alphabete der meisten sprachen an ihre spitze stellen. a hält die mitte zwischen i und u, in welche beide es geschwächt werden kann, welchen beiden es sich vielfach annähert. Vorgeschichte und geschichte unserer sprache verkünden solche übergänge allenthalben. … Das ist Literatur!