Griesgram

„Tereeza meinte, du seist manchmal so griesgrämig.“
So, bin ich das, denke ich mit jenem grimmigen Entzücken, das man empfindet, wenn Beobachtungen an der eigenen Person einem über Dritte hinterbracht werden. Zum einen erfährt man, wie es in den Augen der anderen wirklich um einen bestellt ist; zum anderen vermittelt es ein klitzekleines Machtgefühl: Ich weiß, wie du über mich denkst. Selbstredend bin ich überhaupt nicht griesgrämig, jedenfalls nicht nach meinen eigenen Maßstäben, und wenn ich doch mal einen muffeligen Eindruck mache, so hat das immer gute Gründe, die bestimmt nicht in meinem launischen Charakter liegen, sondern im Draußen, das mir nicht wohlgesonnen ist, jedenfalls mir nicht entspricht, kurz: Die anderen sind natürlich schuld. Wahrscheinlich war ich gerade wieder genervt über irgendein Zuviel, als Tereeza mich traf, zuviel Menschen, zuviel Geräusche, zuviel Bewegung, das übliche halt. Oder ich hatte mich, auf dem Weg zur Mensa, wo Tereeza und ich verabredet waren, wieder in eins meiner Streitgespräche mit meinen Lieblingsfeinden verspinstert. Ich erinnere mich, daß ich mich über den niedergetrampelten, zu einer harten, rutschigen Panzerung festgestampften Schnee ärgerte, das heißt, nicht über den Schnee, sondern über das Zuviel an Menschenbeinen, die geglaubt hatten, zahlreich darüber lustwandeln zu müssen, und Tereeza fragte, ja, wo sollen sie denn sonst gehen. Ich verbiß mir die in solchen Fällen einzig richtige Antwort, gar nicht, sie sollen einfach zu Hause bleiben, ich blickte nur finster aus der Wäsche und Tereeza fragte mich, geht’s dir gut? Das meinte sie ernst. Und gestern abend also Krysztof, ob es mir gut gehe, Tereeza habe gesagt …
Insgeheim freue ich mich natürlich über die Aufmerksamkeit, denn nichts anderes will ja meine Verstocktheit, genauer, sie will ebenso sehr in Ruhe gelassen werden wie sie Aufmerksamkeit heischt. Paradox halt. Eine Abwärtsspirale, an einem bestimmten Punkt geht es nicht mehr zurück. Dann bin ich Heathcliff und Rumpelstilzchen in einem. Dann ist alles streitsüchtige Abwehr. Dann möchte ich mich für ein Lächeln hassen.
Ich erinnere mich, wie Tereeza bei anderer Gelegenheit ausrief, wie bist du denn drauf? Es ging um die gemeinsame Bekannte O. O. lebt seit einigen Jahren in Übersee, und obwohl wir vor ihrer Auswanderung befreundet, ich möchte sagen, eng befreundet waren, brach der Kontakt kurze Zeit später ab, was ich nicht allein auf die Auswanderung, sondern auch auf das Kind zurückführe, von dem sie gerade genas, als das Schweigen begann. Keine Zeit, sagte mir später ein anderer Freund, der es verstand, aber das machte es nur noch schlimmer, ich verstehe es nämlich nicht. Jedenfalls erzählte Tereeza, das war auch wieder in der Mensa, freimütig, O. sei im Sommer in Köln gewesen, an der Uni, im Institut, und habe ihr Kind dabeigehabt. Wie man das halt so macht, platzte ich ziemlich unwirsch heraus. Im stillen dachte ich, aha, O. reist nach Europa, nach Deutschland, ja sogar nach Köln, findet tatsächlich Zeit, im Institut vorbeizukommen und ihr Kind zu präsentieren, keine 500 m von meiner Arbeitsstelle entfernt, aber mich davon in Kenntnis zu setzen, nein dazu hat sie keine Zeit. Hauptsache, dachte ich, das Kind wird vorgeführt. Das Kind war mir egal, ich finde, Kinder sind Privatvergnügen, und der Anspruch frisch entbundener Mütter, alle Welt müsse ihren Säugling ebenso aufregend finden wie sie selbst, finde ich gelinde gesagt, unbesonnen. Ich wollte nicht das Kind sehen, aber O., die am anderen Ende der Welt wohnt, mit der ich eng befreundet bin oder war, ja, die hätte ich nach gut zwei Jahren Trennung sehr gerne wiedergesehen. Dachte ich und sagte nur, wie man das halt so macht mit Kindern. Weil mich das wahnsinnig aufregte.
Wie bist du denn drauf? rief Tereeza.
Alles in bester Ordnung, erwiderte ich.

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