über weblogs

was ich bei der ganzen sache nicht optimal finde, das ist — aber natürlich eine definitorische eigenschaft — die strikt und unänderbar chronologische darstellungsform eine weblogs. alles, was jenseits der “neuesten einträge” ist, verschwindet auf immer in der versenkung, höchstens noch einmal überflogen von augen, die über einen suchbegriff hereingeschneit sind — und wohl meist ebenso schnell wieder herausschneien. (die meisten zugriffe über suchmaschinen sind bei mir aus dem bereich der botanik zu verzeichnen, was nun wirklich nicht ein zentrales thema auf meinem blog ist).
mir geht es so, daß meine texte fast nie mit ephemerem tagesgeschehen zu tun haben, meist jedoch auf ein allgemeines hinausweisen, und, sofern es mir gelingt, als text für sich allein stehen können. neue leser kann man in einer blogsphäre immer nur mit neuen texten gewinnen (denn niemand stöbert in den archiven, ich übrigens auch nicht; und niemand “sucht” dich, der autor muß zum leser kommen, nicht umgekehrt), was einen ständigen druck bewirkt, immer neues zu produzieren. wenn man erreichen will, daß ein bestimmter text von möglichst vielen gelesen werden soll, so darf man aber lange nichts veröffentlichen, damit der text am anfang stehenbleibt. daraus ergibt sich ein paradox: um gelsen zu werden, muß man viel schreiben; damit etwas bestimmtes gelesen wird, darf man nicht viel schreiben. daher denke ich in letzter zeit verstärkt über eine eigene hp nach.

auch sehr enttäuschend finde ich die discrepanz zwischen eigener und fremder beurteilung meiner texte. meist bekomme ich gerade auf arbeiten, die mir besonders wichtig sind, auf die ich besonders viel mühe und nachdenken verwendet habe, die mich schweiß und ausdauer gekostet haben, auf die ich dann stolz bin, bekomme ich auf solche texte keinen kommentar. nicht einmal ein “find ich gut”, ein “find ich langweilig” oder ein “verstehe ich nicht”, nein, nichts. schweigen. atmosphärisches rauschen. dann wieder schreibe ich einen text aus drei wörtern (“halt dich raus”), der mich kaum mehr zeit gekostet hat als nötig war, ihn einzutippen, und bekomme 8 Kommentare. das dürfte anderen auch so gehen; ich habe schon einträge gesehen, die nur aus “ich hab kopfweh” oder “der regen geht mir auf’n keks” bestanden, und kommentare im zwanzigerbereich auslösten.

Incipe!

dimidium facti qui coepit habet; sapere aude,
incipe! Viuendi qui recte prorogat horam,
rusticus expectat dum defluat amnis; at ille
labitur et labetur in omne uolubilis aeuum.

halb hat die arbeit getan schon, wer anfängt nur. klug zu sein, wage,
mach dich ans werk! denn wer aufschiebt die stunde des richtigen lebens
wartet dem bauer gleich, daß nur versiege der strom, aber jener
fließet und wirbelnd wird fließen dahin bis ans ende der zeiten.

(Q. Horatius Flaccus, Epist. I, 2)

wenn ich mal groß bin (4. Juli 2005)

Heute morgen, nicht unbedingt im Halbschlaf, aber mit den Gedanken noch im Dunkeln wurzelnd, schoß mir ein beängstigender Gedanke durch den Kopf. Plötzlich war es greifbar und in die nächste Zukunftsnähe gerückt. War nicht mehr weit fort und wie dem Leben einer andern Person angehörig, in die ich erst langsam würde hereinwachsen müssen; war nicht mehr, was ich noch würde werden müssen, erträumt beim Blick auf den Kalender, oder auch gefürchtet; war nicht mehr ein ferngespiegeltes Nochncihtich: nein, das war bereits ich – und es war der, der ich jetzt bin, völlig banal ich, weder gewachsen noch gereift noch klüger noch weiser noch erwachsener, vernünftiger, besser. Keine subtile Metamorphose käme mir zu Hilfe und machte die Tatsache dieser Zahl erträglicher. Dieser Zahl, derer es noch viele gibt, bei Gelegenheit: Wenn mein E-Mail-Account ausliefe und ich das nächste Mal eine Verlängerung beantragen müßte, wäre ich fast vierzig. Juni 2010. Ein Datum, das es geben wird, ein Datum, das ins Jetzt hinübergreift, indem es eins von den Daten ist, die man in Gedanken großzügig abschreitet. Räume sind das, so naheng, daß mein Planen und Voraussehn schon um sie herumfaßt. Ach, hatte ich gedacht, verlängerst dir deinen Account mal um fünf Jahre, dann hast du eine Weile Ruhe. Wie leichtsinnig. Eine Weile Ruhe. So lange ist das gar nicht, ist im Gegenteil gräßlich nah. Früher waren fünf Jahre lang, und immer noch in der eigenen Jugend beheimatet. Jetzt weisen fünf Jahre hinaus in eine Welt jenseits. Weit jenseits des Jung- aber auch des Jugendlichseins, selbst dann, wenn – was wahrscheinlich ist – ich mich kaum anders fühlen werde als jetzt, und das ist immer noch: reichlich pubertär. Wenn ich mich das nächste Mal um meinen Account kümmern muß, bin ich vierzig. Fast. Das ist ein wahnwitziger Gedanke, und sieben Uhr morgens keine gute Stunde, ihn zu denken.fficeffice” >

Zumal fünf Jahre immer weniger wert sind, je spätere fünf es sind.

Ich versuche, mich unabhängig davon zu denken, welche Zahl nun mein Alter angibt. Versuche, in mich hineinzufühlen. Versuche, umgekehrt, mich in eine Zahl, sei es 34, sei es dereinst 40, hineinzufühlen, es mir irgendwie behaglich, nein, stimmig darin zu machen. Aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich mich zu fühlen habe; weiß nicht und rätsele, wie man sich stimmigerweise mit 34 fühlt soll, so daß Zahl und Lebensgefühl zusammenpassen. Doch wie man sich fühlt, ist kaum zu trennen von dem, wie man von außen bestimmt wird. Hier klafft eine immer größere Lücke. Und der Macht der Zahl, wenn sie von allen Seiten und in gänzlichem Übereinstimmen aller an einen herangetragen wird, von der Wiege bis zur Bahre, kann man sich schwerlich entziehen. Was aber genau wird da an mich herangetragen? Und es geht mir auf: In meinen Bekanntenkreis ziehen immer mehr Menschen ein, die bedeutend jünger sind als ich; und die Gleichaltrigen sind alle durch die Bank Ausnahmen (wie ich selbst?). Das typische entzieht sich (und vielleicht ist das ja ein Hauptwesenszug, nein, der Wesenszug des Typischen?), wenn ich ein Beispiel nennen wollte. Es bleiben die, die vor mir 34 waren, lange vor mir; aber die entziehen sich auf andere Weise:

Denn eigentlich ist es immer schon so gewesen, mit dem Erwachsenwerden: Das war immer ein anderer. Der vorgestellte Zwanzigjährige, der anvisierte Dreißigjährige, und jetzt der Vierzigjährige, der ich bei ablauf meines Accounts (fast) sein werde, immer sah ich Menschen oder stellte sie mir vor, die auf unfaßbare Weise fertiger, ich will nicht sagen, reifer, aber ausgestalteter waren und das Leben fester in den Händen hielten. Nie hatte ich das Gefühl, jetzt dort angelangt und auch so zu sein. So einer. Ein Großer. So groß, wie die Großen es waren, als ich selbst jung zu ihnen aufsah. Ich blieb immer ich und dem Leben schwankend ausgeliefert, fragend, unverstehend, kopfschüttelnd, aufbegehrend, strampelnd, irrlichternd. Und sehr wenig Herr meiner selbst oder Bezwinger meiner Träume. Immer schon hab ich geträumt. Und gerade kommt mir der Gedanke: Vielleicht unterschied das genau die Erwachsenen von mir, der ich einer werden mußte: Daß sie in meiner Vorstellung nicht mehr träumten, sondern auf schwer bestimmbare Weise waren. Lebten.

Meistens fühle ich mich albern, und kein bißchen schlauer. Verrannt in Unhaltbares. Versponnen in wilde Träumereien, manchmal nur zusammengehalten von einem unguten Stolz. Manche sagen auch Sturheit dazu.

aus dem stundenbuch

man muß sich nicht immer als reibefläche erweisen. es ist immer noch träumbar, sich unter die sonne zu beugen und sich so dünn zu machen, daß man zwischen zweimal luftholen weite räume aufstieße. träumbar, zu verschwinden in den spalten zwischen dem gras, oder in die poren eines steines sich aufnehmen zu lassen.

das licht ist ja unüberwindlich. die amselgesänge grausam und schön, und jahr für jahr kehren sie wieder. nur eines ist noch schlimmer als ein sieg, und das ist die niederlage. ich empfinde es als zumutung, daß ich sterben muß. es gibt nur eines, das schlimmer ist als sterblich zu sein, und das ist die unsterblichkeit.

es bleibt immer aufgabe: ins reine kommen mit dem eigenen. den finger befeuchten, in die träume halten und prüfen, wo das meer liegt.

sich verneigen gegen die richtung, in der einst das zu wagende lag und dreimal mutabor rufen.