Grube Marie

Auf dem Burgenweg von Würxheim nach Hürxberg an der “Grube Marie” vorbeigekommen, dem aufgelassenen spätmittelalterlichen, im 18. Jahrhundert für kurze Zeit noch einmal bewirtschafteten Blei- und Silberbergwerk. Auf den Infotafeln sollen längliche Kleckse, über ein Geländeschema mit einem Bach und Wegläufen gelegt, die Stollen darstellen, die unter Bach und Weg im Grund verlaufen, da, wo ich jetzt vor der Infotafel stehe, unter meinen Füßen also. Sich tief unter einem Waldbach durch einen Stollen zu bewegen, ist eine paradoxe Vorstellung, aber offensichtlich war sie schon für mittelalterliche Bergleute nicht zu abwegig. Jede Abbauphase ist in einer anderen Farbe dargestellt, an Unübersichtlichkeit kaum zu überbieten, aber gerade das macht die Anlage so geheimnisvoll und anziehend, manche Kleckse haben die Form von Höhlen und stellen eine Assoziation mit ägyptischen Grabkammern her. Den Eingang (“Lebensgefahr! Betreten verboten!”) versperrt eine Wellblechplatte, die mit einem Vorhängeschloß gesichert ist. Dahinter Dunkelheit, aus der es modrig riecht, links gerade noch zu erkennen: eine Art Lore, ein metallenes Ding, vermutlich auf Rädern. Eine weitere Infotafel zeigt Photographien: Gänge mit niedrigen Felsdecken, Besucherstege, Lampen, Geländer, im Hintergrund mehr Stollen, mehr Dunkelheit. Ich stelle mir die Arbeiter des Mittelalters vor, fünfzehntes Jahrhundert, keine Maschinen, jede Verrichtung, vom Stollenvortrieb bis zur Wasserhaltung, mußte mit menschlicher oder tierischer Arbeitskraft erledigt werden. Mit welchen Gefühlen sind die Kumpels damals hier eingefahren (oder vielmehr gegangen, denn eine Fahrkunst gab es nicht), in dieses modrige Dunkel, das mir noch Jahrhunderte später durch den Spalt entgegenmieft? Ich schaue auf zu den Bäumen, den Eichen und Buchen, deren Wurzeln dort unten hineinreichen müssen. Anzusehen ist ihnen nichts. Nichts von den Unruhen im Grund, dem gestörten Gestein, den zerrissenen Muskeln der Erde. Die Wege liegen voll von Eicheln, es sind die gleichen Früchte wie schon vor sechshundert Jahren. Eine Bank mit etwas Herbstlaub darauf steht an der Wegbiegung. Niemand, scheint es, kommt hier je vorbei. Die Bank wird nicht so lange überdauern wie die Grube.