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Beantragung eines Lehrerwechsels durch Frau Γι., W.s Mutter. Mögen sie glücklich werden mit einem anderen! Ich glaube es nicht. Abgesehen davon: schade. Ich mochte das Mädel, auch wenn es mit Latein auf dem Kriegsfuß steht und sich bis zuletzt standhaft weigerte, meine Eintrichterungen im Kopf zu behalten oder meine Ratschläge zu beherzigen. Ich werde die Stunden vermissen, und erst recht vermisse ich W. Wie ich sie ja fast alle vermisse, die irgendwann mal mit mir in ein Lateinbuch geschaut haben. Es ist nur natürlich, daß das Vermissen in den seltensten Fällen in beide Richtungen geht; aber so ist des Lehrers Leben nunmal. Dem liegt ja die Jugend stets mehr am Herzen, als der Jugend der Lehrer am Herzen liegt. Wir kümmern uns, wir machen uns Sorgen, wir wünschen den Erfolg der jungen Menschen, wir bangen und fiebern und leiden mit und freuen uns, wenn etwas gelingt. Und dann spazieren diese Menschen am letzten Schultag aus unserem Leben, um ihr eigenes zu beginnen, und wir, wir sind ja schon längst in dem unseren, und es ist eben, wie es ist, so erfolgreich oder erfolglos, wie es halt wurde. Ihre Geschichte beginnt, in der wir eine kurze Gastrolle spielen durften; unsere eigene, es fühlt sich in solchen Abschieden an, als wäre sie schon lange zu Ende.

Eine andere Sache ist der Mißerfolg, natürlich. Und daß ich raushören kann: „Mit dir hat es keinen Spaß gemacht.“ — Da hilft leider auch nicht die Einsicht, daß es darum, um Spaß nämlich, gar nicht geht. Daß Spaß beim Nachhilfeunterricht ein recht steiler Anspruch vom Schüler an den Lehrer ist. Und wenn ich es genau bedenke, so ist die Forderung, das Lernen müsse selbst und allein für sich schon Spaß bereiten, generell ein steiler Anspruch — an Lehrer, an Institutionen, an Methoden, an Lehrmittel. Dabei ist überhaupt nicht einzusehen, warum das Lernen Spaß machen sollte. Der Zweck des Lernens liegt in der Regel außerhalb seiner selbst. Der Zweck des Lernens ist nicht das Lernen selbst, sondern die erworbene Fähigkeit, und was sich mit dieser ins Werk setzen läßt. Ich lerne schreiben, damit ich, was unter günstigen Umständen Spaß macht, Gedanken schriftlich niederlegen kann, nicht weil schon das Kritzeln lauter Reihen mit a und e unterhaltsam wäre. Ich lerne stricken, damit ich einen Pullover herstellen kann, nicht weil die mühsame Aneignung von Maschen und Mustern schon Spaß machte. Wenn es bereits Spaß macht, dann ist das allenfalls eine nette Zugabe. Lernen ist kein Selbstzweck, andernfalls hieße es nicht lernen. Lernen hat immer ein Ziel, sonst ist es keines. Mag sein, dieses Ziel wird besser und schneller erreicht, wenn das Lernen Spaß macht, vielleicht ist aber auch das Gegenteil der Fall. Spaß muß Lernen im Grunde nur dann machen, wenn der Zweck des Lernens nicht einsichtig ist. Mit Spaß locken muß ich nur, wenn das Lernziel selbst nicht lockt. Lerne daraus jeder, dies auf unser Schulsystem anzuwenden und seine Schlüsse daraus zu ziehen.