Schönen Tach noch!

Wann hat das eigentlich angefangen? Beim Bäcker, an der Supermarktkasse, am Bahnkiosk, an der Eisdiele: Und dreißig Cent zurück, bittesehr, SchönenTachnoch. Natürlich hat man das nicht schon immer gesagt, gemurmelt, genuschelt, hingeworfen, diese Phrase, man hat sie nicht schon immer fast unbewußt heruntergeleiert mit der gleichen Mischung aus Pflichtgefühl und Gleichgültigkeit wie im Gottesdienst das WirhabensiebeimHerrn. Irgendwann fing es an, beendete diese Phrase eine Zeit, als man sich einfach bedankte und ging. Wie lange ist das her? Ich erinnere mich nicht mehr. Inzwischen machen es alle, und ich frage mich: Wer hat damit überhaupt angefangen? Und warum?
Einer Vermutung zufolge, die man recht häufig liest, ist es keineswegs eine spontane Erscheinung, sondern wird beispielsweise Kassiererinnen im Supermarkt von der Marktleitung angeordnet. Einer weitergehenden Vermutung zufolge handelt es sich um die Lehnübersetzung des englischen have a nice day. Konkret wird dabei vermutet, daß es von synchronisierten Fassungen englischsprachiger Filme und Serien seinen Anfang nahm, wobei die Partikel noch angepappt wurde, um die Viersilbigkeit beizubehalten.

Was mich an dieser Phrase so stört, ist nicht, daß sie nicht ehrlich gemeint, ist nicht, daß der Wunsch, ich möge einen schönen Resttag haben, nicht aufrichtig vorgebracht sei; das ist ohnehin Quatsch. Wir sagen ja auch Guten Tag einfach so daher, ohne es zu meinen, und wir sagen Auf Wiedersehen, auch dann, wenn wir wissen, daß das nicht wahrscheinlich ist, oder den anderen dorthin wünschen, wo der Pfeffer wächst. (Immerhin sind wir uns aber der wörtlichen Bedeutung der Floskel noch so bewußt, daß wir am Telephon Auf Wiederhören sagen, und Bestatter die Formel aus Pietätsgründen vermeiden, wenn sie sich von Angehörigen verabschieden.) Das allermeiste, was wir so tagtäglich sprachlich absondern, hat weder mit Ehrlichkeit noch mit Informationsübermittlung zu tun. Das allermeiste, was wir sagen, ist irrelevant („Schönes Wetter heute, was?“) oder liefert nicht nachgefragte Informationen („Ich krieg die Krise!“) oder dient nur der gegenseitigen Bekräftigung allseits bekannter Tatsachen („Die Bahn wird auch immer teurer.“) – es hat eine andere als die wörtliche Funktion, dient etwa dazu, ein Gespräch einzuleiten, die eigene Meinung gestärkt zu bekommen oder sich mit einem Gefühlsausdruck Luft zu verschaffen, wobei alles drei und noch weitere Funktionen zusammenfallen können. Oft sagt man einfach nur deshalb etwas, weil es blöd wäre, nichts zu sagen. Etwa, wenn man den Chef der Firma zufällig in der Straßenbahn trifft. Sprechen ist die neutralste Form der Interaktion zwischen zwei Angehörigen unserer Spezies. Mit Sprache akzeptieren wir die Gegenwart des anderen; ein Guten Tag! bedeutet nicht, daß wir dem andern einen guten Tag wünschen; es bedeutet: „Ich nehme dich zur Kenntnis und respektiere wenigstens vorübergehend deine Anwesenheit; ich bin zur Interaktion, zum allermindesten zur zivilisierten Höflichkeit bereit (selbst wenn ich dich nicht ausstehen kann).“

Es gibt Menschen, die solche Floskeln prinzipiell ablehnen, wenn sie nicht ehrlich gemeint seien. Diese Menschen haben die Funktion von Formeln nicht begriffen. Daß unsere Begrüßungsformel Guten Tag lautet, ist gänzlich zufällig, was man schon daran sieht, daß sie sich in vielen Situation durch das von jeder wörtlichen Bedeutung befreite Hallo ersetzen läßt. Zu sagen, Hallo sei nicht aufrichtig gemeint, ist sinnlos. Hallo leistet reine Funktion, weiter nichts. Es gibt auch Menschen, die meinen, als Ungläubiger dürfe man nicht Gottseidank sagen. Dieser Forderung liegt derselbe Irrtum zugrunde: Der Ausdruck der Erleichterung könnte von einer beliebigen anderen Form geleistet werden. Der Spanier sagt für unser “hoffentlich” ojalá, ruft damit aber keineswegs Allah um Beistand an. Die Formel zur Begrüßung ist nunmal wörtlich ein Wunsch; aber ihre Funktion ist nicht die, etwas zu wünschen. Und wo steckt beispielsweise der Wunsch in der erodierten Form Tach!?

Nirgendwo zeigt sich das besser als dort, wo Floskeln bis zur Unkenntlichkeit ihrer wörtlichen Bedeutung verschliffen werden. Allah ist im spanischen ojalá nicht mehr zu erkennen; niemand, der Ciao oder Servus sagt, empfiehlt sich aufrichtig als Diener; auch gänzlich unreligiöse Menschen sagen in Bayern Pfüatdi ((Gott) behüte dich) und andernorts Tschüß (adieu, adiós). Wird die wörtliche Bedeutung solcher Formeln unkenntlich, bleibt nur ihre Funktion übrig: Man könnte auch Schmackofatz oder Vitzliputzli sagen, es würde die Funktion der Begrüßung nicht besser oder schlechter erfüllen als Guten Tag.

Was mich an Einen schönen Tach noch stört, ist etwas anderes, das indessen wirklich etwas mit Ehrlichkeit zu tun hat. Man darf vermuten, daß Bedien- und Kassenpersonal die Formel nicht freiwillig verwendet, sondern daß ihr Einsatz aus einem Geschäftskalkül heraus erfolgt, dessen Absicht freilich durch allzu liebloses Daherrotzen unterlaufen wird. Dann hätte die Schönentachnoch-Pandemie eine Parallele in der Mein-Name-ist-Herta-Hohlsprech-was-kann-ich-für-Sie-tun-Pandemie. Man lese sich einmal durch, was sich Verkaufsexperten so alles an Tips und Tricks ausgedacht haben. Am Telephon sollen die Mitarbeiter lächeln, weil man das an der Stimme hört und ihr einen wärmeren Klang verleiht; sie sollen den Kunden mit Namen anreden, weil jeder gern den eigenen Namen hört und sich geschmeichelt fühlt; sie sollen den Kunden nach weiteren Wünschen fragen, vielleicht sogar etwas vorschlagen („Darf es noch ein Teilchen zum Kaffee sein?“), weil Ablehnen immer schwerer fällt, als von vorneherein keinen Wunsch zu äußern, und so weiter. Ich finde solche Spielchen widerwärtig. Und ich finde es widerwärtig, Mitarbeitern Floskeln in den Mund zu zwingen, die sie nie freiwillig in denselben genommen hätten. Kassenkräfte müssen sich vorkommen wie Aufziehpuppen. Ich stolpere jedesmal darüber, es ist wie eine sprachliche Fliege, die man ständig fortwedelt, aber sie kommt immer wieder zurück. Soll man darauf etwas erwidern? Ihnen auch oder Ebenso oder Gleichfalls? Es ist eine aufgezwungene Interaktion, die die linguistische Pragmatik im deutschen Sprachraum nicht vorgesehen hat. Es ist, als stellte sich mir die Kassiererin plötzlich mit Namen vor. Oder als streckte mir der Kioskbesitzer zum Gruß die Hand hin. Es ist ein Skript, das hier unbekannt ist, und auf das man deshalb jedesmal mit einer Improvisation zu antworten gezwungen wird. Danke, auch so Es ist anstrengend. Am schlimmsten aber ist, daß solche Verordnungen rasch Nachahmung finden und über den Bereich, wo sie absichtsvoll eingeführt wurden, hinauswuchern. Unabsichtlich. Oder mit ganz neuen Absichten. Was sagt der Oberdachlose, wenn ich ihm nichts gebe? Richtig:
Schönentachnoch! (Lächeln nicht vergessen!)

0 Gedanken zu „Schönen Tach noch!

    1. Verbindlich wäre: Ich kenne die Kassiererin, die Kassiererin kennt mich persönlich; anstelle des Callcenters gibt es einen Kundendienst vor Ort, mit Mitarbeitern, die sich namentlich anwählen lassen; verbindlich wäre, die Verkaufskraft beim Bäcker packt mir schon das Croissant ein, wenn ich den Laden betrete, weil sie weiß, was ich immer nehme. Undsoweiter. Nicht daß ich das als persönlichen Service beanspruchen würde — ich wünsche es mir als persönliche Menschlichkeit, wo ich nicht nur als Kunde wahrgenommen werde.

      1. Das stimmt. Wobei ich finde, man kann auch einem Fremden an der Kasse, oder wo auch immer man mit ihm zu tun hat, durchaus einen schönen Tag oder Ähnliches wünschen, denn das kann ja durchaus aufrichtig gemeint sein.

        Wenn aber z.B. eine Kassiererin mir während des gesamten Bezahlvorgangs nicht ein einziges Mal in die Augen sieht, mir am Ende aber noch einen schönen Tag wünscht, dann erwidere ich das aus Prinzip nicht.

        1. Ha, nicht in die Augen schaut, sondern in den Spiegel an der Decke, der alle Kunden unter Generalverdacht stellt, und dann –.
          Was ich feststelle: daheim am Markstand kann ich mich durchaus auch übers Wetter unterhalten (das kann eine ganz eigene Kunstform sein, und die hochformalisierte Floskelsprache der alten Hiesigen ist sowieso nur zu bewundern). Aber in Amerika hat mich das “how are you?”, das dann keiner wissen will, regelrecht auf die Palme gebracht.

    1. Jetzt würde mich aber mal interessieren, wo das ist. In meiner alten Heimat ist der Akkusativ auch verschwunden. Dort sagt man beispielsweise Mer habbe jetzat ‘n neuer Mitaabeiter.

  1. Ich bin gespannt, ob und wann diese Pandemie auf die Schweiz überspringt. Noch ist es hier von Person zu Person unterschiedlich. Unsere Hauptfloskeln nach dem Zahlen von Einkäufen ist ein zigfaches Danke-Merci-Danke. Was auch ziemlich ulkig ist.

    1. Danke, Merci, Danke klingt aber eher nach spontaner Entwicklung als nach angeordneter Freundlichkeit amerikanischen Vorbilds …

      (Ich mag ja diese Eigentümlichkeit der Deutschschweizer, französisches Lehngut einzuflechten und dabei auf der ersten Silbe zu betonen …)

  2. Ich erinnere mich an die Zeit, als das Noch-einen-schönen-Tag-Wünschen zu grassieren begann, und an eine zu Tode erschöpfte junge Verkäuferin, die diese Floskel buchstäblich aus sich herausquälte, wobei ich es ihr nicht hätte verdenken können, wenn sie mir statt dessen die Pest und die Cholera gewünscht hätte.

    Ganz anders das kleine, höfliche Zeremoniell, das ich aus meiner alten Heimat kenne:

    Verkäuferin, nach Abschluss des Einkaufs: “Vielen Dank.”
    Kundin: “Ich danke auch. Auf Wiedersehen.”
    Verkäuferin: “Auf Wiedersehen.”

    Natürlich sind auch das Floskeln, aber sie werden auf andere Art gesprochen und sollen beiderseitigen Respekt ausdrücken.

  3. Wenn man mich mit “Schönen Tag noch!” verabschiedet, so antworte ich darauf zumeist mit “Mach’ ich mir!” und – je nachdem, was ich gerade gekauft habe – setze ich ein “Ich hab ja jetzt genug zu essen!” dazu. Viele Kassiererinnen freuen sich über das Durchbrechen der Routine und sind freudig überascht.

    Gruselig finde ich hingegen die Antwort “Schönen Tag nach” – “Für Sie auch!”. Das klingt so holprig in meinen Ohren und müsste doch eigentlich “Ihnen auch!” heißen, oder?

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