Alpenschatten

Auch wenn man nicht hinschaut, ist ihr Schatten nah. Immerzu drückt ihre ins Diesseits gestemmte Last auf die Augenlider. Zu jeder Stunde, nachts, in Räumen, im Schatten von Wänden und Wipfeln greift ihr Gewicht noch aus, um an Stirn und Schläfen zu zerren. Alle Kreuzungen zeigen darauf, alles, was steigt und fällt. Jeder Surz kommt von ihnen hergerollt, jeder Vogelflug nimmt von dort seinen Ursprung. Sie sind die Fünfte Himmelsrichtung, die alle Winde der Rose beherrscht. Siehst du sie an, füllen sie dir das Blickfeld ganz. Schaust du woanders hin, bleiben sie im Augenwinkel stehen. Aufmerksam, greise Riesen, die Gedanken voller Gewölk. Sie rollen die Wege, rollen morgens die Teppiche aus, ziehen am Abend Pfad um steinigen Pfad wieder ein. Bis alle Richtungen im blanken Fels zum Ende kommen. Verschließen die Lüfte mit dornigen Tälerschatten. Abermals Unzugängliche, laufen ihre schwebenden Steige nachts nach Wolkenart. Dann erheben sich Lichter aus dem Grund. Strenge Augen vor Pforten, hängen sie über jedem Grund und lassen die schwarze Ferne zittern von Spalten und Schluchten. Die Bäume neigen sich zum Sturz. Der Schlaf rollt sich zusammen unter ihrem Dach. Die Zeit sieht ihnen beim Wachsen zu.