Schwangau (3)

Es soll tatsächlich Touristen geben, die sich über das Gebimmel der Viehglocken aufregen und über die Kuhfladen auf der Straße ärgern. Was wollt ihr hier, denke ich, was erwartet ihr euch von diesem Land? Ihr wollt Idylle ohne Klänge und Gerüche? Bleibt zu Hause und schaut euch lieber einen Heimatfilm an.

Abends aus dem Wagen steigen und das Gesicht in die Regenluft tauchen. Zusammen mit dem Herdrauch und den Kuhglocken ist da sofort wieder dieses immense Zuhausegefühl, eine Heimat der Zeit, abgelegte Spielzeug-Fremde, eine verlorene Art des Daheimseins, nach langer Fahrt, an einem wilden, abendkalten, bachklirrenden Ort im Schatten von Bergen. Damals zogen wir unsere Heimat in den vier Wänden des Wohnanhängers mit uns herum und waren, wo wir auch eintrafen, und sei es ein Atobahnrastplatz, daheim. Die Fremde blieb zahm, legte sich auf die Türschwelle und schnurrte. Menschen brauchen einen Innenraum, und sie schaffen ihn sich, wie Sloterdijk gezeigt hat, wo auch immer sie sich niederlassen und mit ihrer Umgebung auseinandersetzen.

Schon eine Nacht in der Ferienwohnung, und man kennt die Winkel und die Entfernungen und die Geräusche. Man entfernt sich sehr schnell vom ersten Eindruck und schaut auf die Ankunftsstunde mit Verwunderung. Man kennt noch die Fremdheit dieses Augenblicks, als man die Wohnung zum ersten Mal betrat, aber man empfindet sie nicht mehr. Man füllt die Räume mit Traulichkeit, und die Fremde bleibt vor der Tür.

Der Fremde ausgesetzt sein, mit allem, was man ist, das ist schrecklich. Die Heimatlosigkeit und das Heimweh. Mit müden Gliedern in einem regennassen Wald nichts als ein mickriges Zelt haben für den Bau der Heimatblase. Unter einer Masse gutgelaunter Gleichaltriger im Zeltlager einen Platz für Intimssphäre finden müssen und aber nirgends finden. In einem schmutzigen Hotel absteigen, von schlechtgelauntem Personal empfangen werden. In einer fremden Wohnung mit fremden Familienregeln unterkommen müssen. Der Grund, warum ich nicht mehr reise und eigentlich nie hätte reisen dürfen, ist der, daß ich sehr spezielle Dinge benötige, um diesen magischen Kreis des Zuhauseseins um mich zu ziehen. Ich brauche einen Filter zwischen mir und der Fremde. Eine Wand, die nur ich öffnen kann. Selbstwirksamkeit und vier Räder samt Motor. Das bewirkt ein Nicht-Ausgeliefertsein, das für die Reiseideologen gar kein richtiges Reisen ist.

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