Über Sinn und Bedeutung: ein neuer Ausdruck der Jugendsprache fragt nach dem Sinn, wo eigentlich nur eine ablehnende Haltung oder so etwas wie milde Entrüstung transportiert werden soll. Neulich in der Bahn unterhalten sich zwei Schülerinnen über Vornamen. Ein Mitschüler von ihnen heißt Wolfgang, sie finden den Namen unmöglich. „Wie kann man sein Kind Wolfgang nennen?“ sagt die eine von ihnen, „Wo. Ist. Der. Sinn?“ Eine andere Mitschülerin heißt Susanne. Wo ist der Sinn? Susanne, meint eine, sei ein Name für Tanten und Großtanten. (Als wären die schon immer Tanten und Großtanten gewesen.) Einen Moment bin ich entsetzt, doch dann rechne ich ein bißchen. Die sich da unterhalten, sind dreizehn oder vierzehn. Und mir kommt Susanne völlig normal vor, weil ich altersgemäß schon nicht mehr der Vater, sondern wohl eher schon der Großvater der beiden sein könnte und also der Generation genau der Großtanten angehöre, die als meine Mitschülerinnen Susanne, Yvonne, Sibylle, Monika, Sandra, Michaela hießen, nur daß sie damals noch keine Großtanten waren. Ich dagegen finde, wie kann man sein Kind nur Emilia oder Greta nennen? Das ist ein Name für Großeltern! Wo ist der Sinn?
Busfahren ist eine stete Quelle linguistischer Puzzle und Preziosen. Auf einer anderen Fahrt belausche ich zwei junge Frauen, in Ausbildung oder Studium befindlich, aber um Jahre jünger, als ich in ihrem Alter war. Daß sie gebildet sind, daran besteht nicht der geringste Zweifel (einmal sagt die eine zur anderen „Dafür bist du nicht die geeignete Kontrollgruppe“), aber das Kauderwelsch aus Englisch und Deutsch, das die zwei unter sich verwenden, ist haarsträubend. Für echtes code switching ist die Aussprache im Englischen, ansonsten für deutsche Lernsprecher ausgezeichnet, dann doch nicht native genug. Das ganze geht auch weit über die übliche Beliebtheit von Anglizismen hinaus. Ein Beispiel (geht um einen Typen): „Ich wäre halt nicht so confused und hurt und mad, wenn er sich wenigstens mal melden würde.“ Das geht so weit klar; aber dann fällt wieder und wieder ein anderes Wort, aus dem ich nicht schlau werde, ich kann es nicht einmal phonetisch auflösen. Es reimt sich auf rigid oder Bridget oder doch eher auf gadget? Und es scheint als Affirmation verwendet zu werden: „Ich wäre halt nicht so hurt, verstehst du?“ — „Rigid!“ „Man kann doch nicht mit dem besten Freund ins Bett!“ — „Gadget!“ Ich rätsele. Widget? Bridge it? Fudge kit? Zum Glück weiß ich, wen ich da fragen muß. Eine meiner Nachhilfeschülerinnen klärt mich auf: nicht Bridget, nicht gadget, legit heißt es, kurz für legitimate, und es bedeutet so viel wie „ganz recht“, „unbedingt“, „das kannst du laut sagen“.
Voll schöön! Voll süß! — Was ich schon länger geahnt habe, bestätigt mir Jutta Allmendinger im Gespräch mit Tilo Jung. Frauen werden oft ihrer Stimme wegen nicht ernst genommen. Zu hoch, zu schrill, zu süß, nicht laut genug: Es lasse sich experimentell nachweisen, so Allmendinger, daß man Menschen mit tiefer, sonorer Stimme eher zuhört und leichter Glauben schenkt, als solchen mit hoher, gar schriller Stimme. Nun mag man das für einen Fluch der Anatomie halten, der halt noch zu den übrigen anatomischen Flüchen hinzutritt, mit denen Frauen ohnehin schon beladen sind und an denen sie nichts ändern können. Aber eine hohe Stimme mag anatomisch bedingt sein, Schicksal ist sie nicht. Ein Bekannter, der von Berufs wegen viel vor Publikum sprechen muß, belegte an der Uni einen Stimmbildungskurs. Beeindruckt von den Fähigkeiten des Dozenten, eines Schauspielers, erzählte er mir von den Problemen, die eine der Teilnehmerinnen mit ihrer Stimme hatte: zu piepsig, zu flach, zu wenig tragfähig, nicht überzeugend. Der Schauspieler, so mein Bekannter, riet ihr, sie solle sich beim Sprechen vorstellen, daß sie gerade total genervt sei und ihren Frust ablasse. Treffer! Mein Bekannter sagte, der Effekt sei fulminant gewesen, die Stimme der Teilnehmerin habe völlig anders geklungen, nicht etwa genervt, sondern volltönend, sonor und voller Autorität. Also, liebe Frauen auf dem Podium, am Rednerpult, beim Vorstellungsgespräch, in der Diskussion mit Freunden: Erwartet nicht, daß man euer Gezwitscher ernst nimmt und laßt das Voll-schön-Gesäusel. Dann hört man euch viel lieber zu. Zumal, was die einen säuseln, als Klischee auf alle anderen abfärbt. Und bevor jetzt wieder eine den Finger hebt und mich des victim blamings bezichtigt: Man kann schmollend erwarten, daß die Welt sich ändere und gefälligst auch die eigene Piepsstimme ernst nehme. Oder man kann trickreich den Effekt einer tieferen Stimme für sich nutzen. Entscheidend ist eben nicht nur, wie wir auftreten, sondern auch, wie wir uns anhören. Gilt für alle, auch für Männer. Nur daß die nicht zum Säuseln neigen. Legit!