Handle stets so, daß die Maxime deines Wollens, etc.

Im thüringischen Sonneberg hatte die Stadtverwaltung die Idee, Impfzögerer mit einer kleinen Verführung zu ködern. Sie verknüpften das Impfangebot mit der Darreichung einer Delikatesse. Wer sich impfen ließ, bekam neben der Spritze eine Bratwurst noch dazu. Voller Erfolg, die Impfquote stieg deutlich. Worauf sich im Internet ein Schwall Häme über die verführten Sonneberger Impffrischlinge ergoß. Im Gegensatz zu dem Zwischenrufautor auf WDR3, der wiederum diesen Spott scharf kritisiert (die Aktion habe Erfolg gehabt; die Spötter hätten keine Ahnung von Psychologie; die inkriminierte Bratwurst sei eine qualitativ hochwertige Spezialität; und wer erlaube sich bitte ein Urteil darüber, mit welchen Drogen sich die Zeitgenossen durch den Tag hülfen?), im Gegensatz zu dieser Milde also teile ich zwar nicht die Häme (jedenfalls nicht öffentlich), wohl aber die Haltung und Denkweise der Spötter. Ihr und mein Anspruch ist nämlich, eine Entscheidung wie die, daß man sich impfen läßt, rational zu treffen und nicht von der Darreichung einer Delikatesse abhängig zu machen. Es geht hier um nichts weniger als den Unterschied zwischen einer utilitaristischen (wichtig ist, was hinten rauskommt) und einer Pflichtethik (wichtig ist, was vorne reinkommt). Ich und die Spötter, wir wünschen uns nicht nur, daß die Menschen das Richtige tun, sondern daß sie es auch aus den richtigen Gründen tun. Nicht weil die Bratwurst winkt, sondern weil Einsicht herrscht. Was sind das für Menschen, die zum Impfen eine Bratwurst brauchen? Will ich mit denen in einem Gemeinwesen auskommen müssen? Wir wollen, daß die Impfzögerer auf unsere, und das heißt, auf die Seite der Vernunft zurückkehren und sich nicht von Leckerlis bestechen lassen. Denn dann lassen sie sich beim nächsten Mal vielleicht zu etwas Unvernünftigem bestechen, wenn nur etwer diesen Versuch zu machen sich herbeifindet: Begründbar ist nur die Vernunft. Überzeugend ist nur der gute Grund. Überzeugend auch dann, wenn einem gerade niemand den Arsch dafür pudert, daß man bitteschön das Richtige tut.

8 Gedanken zu „Handle stets so, daß die Maxime deines Wollens, etc.

  1. Sie haben ja recht. Vergessen Sie aber nicht, daß Häme auch aus der Tatsache erwachsen kann, daß hier nun wieder einige das eigene Lager (hier: der Ungeimpften) verlassen haben, und daß man seine Felle davonschwimmen sieht; und daß der Spott mithin genauso wenig rational begründet sein kann wie sein Anlaß … Es ist kompliziert; der Mensch ist halt ein emotionales Wesen.

    1. Deswegen schließe ich mich der Häme auch nicht an; ich spotte nicht über Leute, die eine Bratwurst brauchen, um sich impfen zu lassen — ich bin enttäuscht, daß wissenschaftliche Erkenntnis, Aufklärung und ein gemeinsames Ziel (die Ausmerzung des Virus) nicht ausreichen.

      Wie sollen wir jemals komplexere Probleme (–> Klimawandel, Artensterben, demographischer Wandel) lösen, wenn wir jedesmal eine Bratwurst brauchen. Und die Opfer werden größer sein als ein kleiner Pieks und eine Nacht Schüttelfrost. Da wird es mit einer Wurst als Entschädigung nicht getan sein.

        1. Wissen Sie, woran mich das erinnert? An den alten Streit zwischen Pädagogen, ob ökonomische Prinzipien in der Kindererziehung anzuwenden sind oder nicht. Also um die Frage, ob Mithilfe im Haushalt — Tisch abdecken, Spülmaschine ausräumen, Bett beziehen — einen Preis haben sollte; oder ob es wichtig ist, daß Kinder lernen, Pflichten auch ohne Belohnung zu übernehmen, weil es nunmal zur Natur der Pflicht gehört, unabhängig von etwaigen Gegengaben zu gelten. Und daß es für alle besser ist, wenn auch alle mithelfen bei dem, was nunmal nötig ist.

  2. Man muss, sagte meine Lehrerin, mit jedem Menschen in der Sprache reden, die er versteht. Wenn ich also über eine Bratwurst Zugang zu den Menschen finde, soll mir das recht sein. Übrigens kann ich mir nicht vorstellen, das die Bratwurst wirklich ausschlaggebend war. Für manche Menschen sind Ärzte und Impfzentren einschüchternd. Die Bratwurst sagt: komm her, beiß ab, du kennst mich, so schlimm ist das alles gar nicht.

    1. Daran habe ich in der Tat nicht gedacht! Das wäre ja fatal, wenn Berührungsängste und Schüchternheit das Impfen verhindern. Da soll mir jedes Mittel recht sein, die abzubauen. (Andererseits: Gehen die Leute dann auch nur zum Zahnarzt, wenn sie ein — zuckerfreies, versteht sich — Bonbon kriegen?)

  3. Wie ich gelesen habe, war diese Impfaktion die bis dahin einzige, für die man keine Anmeldung und keinen Termin brauchte. Das wird dann wohl auch eine Rolle gespielt haben.

    1. Ah! Danke fürs Update. Das relativiert die Sache natürlich erheblich. Natürlich hat alles zuerst auf die Bratwurst geschaut. War am Ende wohl doch nur Futterneid. 😉

Schreibe einen Kommentar zu Elisabeth Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert