Die beiden Passagiere in der RB48 nach W-Oberbarmen, zwei junge, dem ersten Eindruck nach gebildete Frauen von sehr gepflegter Erscheinung sprechen über Schmuck. Über Ohrlöcher und Ringe, über verschiedene Materialien, über Titan, Gold, Silber und ganz kleine Diamanten. Unfreiwillig höre ich, ganz in der Nähe den einzigen bequemen Stehplatz in Anspruch nehmend, dem Gespräch zu. So lange die Fahrt dauert, geht es um nichts anderes. Eine halbe Stunde Ringe, Ringe, Ringe, als wären die beiden bei einem Symposium der Innung rheinischer Juweliere. Ich denke mir unwillkürlich, Männer hätten ganz andere Gespräche. Aber worüber würden zwei junge, gebildete Männer sprechen? Betriebssysteme? Autos? Die geplante Rafting-Tour? Es kommt mir alles wie ein Klischee vor, zumal ich selber weder über Betriebssysteme, noch über Autos oder Rafting-Touren reden würde. Aber manche Klischees sind nicht nur Klischees sondern eben auch die Wirklichkeit. Ist es nicht ein Klischee, daß zwei Frauen über Schmuck palavern? — Erst beim Aussteigen, als ich mich an ihnen vorbeizwänge, um endlich einen Sitzplatz zu ergattern, haben sie das Thema gewechselt, geht es um einen Mann und was für eine Beziehung der mit einer der beiden will oder nicht will, und ich denke, Männer hätten wirklich ganz andere Gespräche, und ich denke auch, aha, Bechdel-Test im letzten Moment doch nicht bestanden.

Handle stets so, daß die Maxime deines Wollens, etc.

Im thüringischen Sonneberg hatte die Stadtverwaltung die Idee, Impfzögerer mit einer kleinen Verführung zu ködern. Sie verknüpften das Impfangebot mit der Darreichung einer Delikatesse. Wer sich impfen ließ, bekam neben der Spritze eine Bratwurst noch dazu. Voller Erfolg, die Impfquote stieg deutlich. Worauf sich im Internet ein Schwall Häme über die verführten Sonneberger Impffrischlinge ergoß. Im Gegensatz zu dem Zwischenrufautor auf WDR3, der wiederum diesen Spott scharf kritisiert (die Aktion habe Erfolg gehabt; die Spötter hätten keine Ahnung von Psychologie; die inkriminierte Bratwurst sei eine qualitativ hochwertige Spezialität; und wer erlaube sich bitte ein Urteil darüber, mit welchen Drogen sich die Zeitgenossen durch den Tag hülfen?), im Gegensatz zu dieser Milde also teile ich zwar nicht die Häme (jedenfalls nicht öffentlich), wohl aber die Haltung und Denkweise der Spötter. Ihr und mein Anspruch ist nämlich, eine Entscheidung wie die, daß man sich impfen läßt, rational zu treffen und nicht von der Darreichung einer Delikatesse abhängig zu machen. Es geht hier um nichts weniger als den Unterschied zwischen einer utilitaristischen (wichtig ist, was hinten rauskommt) und einer Pflichtethik (wichtig ist, was vorne reinkommt). Ich und die Spötter, wir wünschen uns nicht nur, daß die Menschen das Richtige tun, sondern daß sie es auch aus den richtigen Gründen tun. Nicht weil die Bratwurst winkt, sondern weil Einsicht herrscht. Was sind das für Menschen, die zum Impfen eine Bratwurst brauchen? Will ich mit denen in einem Gemeinwesen auskommen müssen? Wir wollen, daß die Impfzögerer auf unsere, und das heißt, auf die Seite der Vernunft zurückkehren und sich nicht von Leckerlis bestechen lassen. Denn dann lassen sie sich beim nächsten Mal vielleicht zu etwas Unvernünftigem bestechen, wenn nur etwer diesen Versuch zu machen sich herbeifindet: Begründbar ist nur die Vernunft. Überzeugend ist nur der gute Grund. Überzeugend auch dann, wenn einem gerade niemand den Arsch dafür pudert, daß man bitteschön das Richtige tut.