Vertumnus

Langes Haar, Laufhose und Fleecepulli. Wie das sofort Assoziationen an erste Freundinnen aufruft, an bequeme, bald abgelegte Kleidung, die man gegen Decken eintauschte, während draußen die Kastanienalleen verdämmerten. Lust und Liebe, die bei mir so oft mit dem Herbst sich verbanden, mit den frühen Abenden. Wie wir zu Bett gingen am Tage und im Dunkeln desselben Tages uns höchstens noch zum Abendessen erhoben. Wie die geliebten, angestaunten Gesichtszüge in die Dunkelheit eintauchten, nur noch für Küsse erreichbar, und wie man einander am Geruch wahrnahm, am Kitzeln von Haar und den Strahlungen von Haut, den Strömen von Feuchtigkeit unterm Haar. Und draußen der Herbst, wie ein wohlwollenden Tuch über Haus, Zimmer, Bett geworfen. Die Wege, die alle blieben, als stumme, wissende, verschwiegene Wächter, die uns besser kannten als wir uns selbst.

Zu Hause

Nirgends zu Hause: Wie wäre ein Zuhause auch zu schaffen? Jetzt noch? Und war ich nicht einst zu Hause? In der geistigen Sphäre, die ich mit allen meinen Freunden, einer ganzen Institution, mit einer weltumspannenden Gemeinde teilte? Indes, es ist ein Zuhause im Tätigsein, im Lernen, im Verstehenwollen gewesen, und es kann nicht anders als ein solches, im gemeinsamen Vollzug geschehendes Zuhause sein, einer religiösen Gemeinschaft nicht unähnlich. Und gerade fällt mir ein, wie mal jemand mich tadelte genau mit diesem Wort, die Linguistik sei meine Religion, vielleicht hatte sie ja recht. Nur, warum wäre das tadelnswert gewesen, außer, daß die Beschwerdeführerin sich halt als außenstehend ansah und eifersüchtig war, wie Frauen es oft auf eine Leidenschaft ihrer Partner sind, weil diese Leidenschaft mit ihnen selbst nichts zu tun zu hat. Und so war es eben, nein, nicht meine Leidenschaft, auch nicht meine Religion, sondern mein Zuhause. Meine Lebensessenz. Mein Netz an Bezügen, an Werten, an Unhinterfragbarem, Geteiltem, Selbstverständlichem, das mich jahrelang trug und hielt, in den Menschen, mit denen ich es teilen konnte; in den Ideen; im Geist. Ich wußte nicht, was werden sollte; aber ich wußte etwas viel Wichtigeres; ich wußte, wo ich war.