Das Private ist Privat

Man kann natürlich aus allem ein Geschlechterrolenproblem machen, wenn man es darauf anlegt. In einer Kolumne, die den Einsatz von Vibratoren kritisch sieht, ist folgendes zu lesen:

Es bleiben Werkzeuge, die wir da benutzen. Dinge, die nicht zu uns gehören, die keine Empfindung haben und nicht auf uns reagieren können. Dinge, die zwischen uns und unseren Körpern stehen. Dinge, die Männer ursprünglich erfunden haben, um Frauen maschinell Orgasmen verpassen zu können.
Dabei brauchen wir Frauen nun wirklich keine Hilfe in Form von Silikon und Plastik. Was wir brauchen, ist die Freiheit, unsere Sexualität genau so schamlos leben zu dürfen wie Männer.

„Dinge die Männer ursprünglich erfunden haben.“ Herrgott. Auch der Tampon und die hormonelle Empfängnisverhütung wurden von Männern erfunden. Außerdem das Fahrrad und das Auto. Das hat ihrer Beliebtheit nicht geschadet. Wenn euch das stört, daß die Erfinder Männer waren, warum habt ihr es dann nicht selbst erfunden? Oder laßt es halt, nehmt eine Binde, benutzt Kondome (wer hat die eigentlich erfunden?), werft den Vibrator auf den Müll, wenn ihr ihn nicht mögt und euren Finger lieber habt. Aber hört doch bitte damit auf, irgendwelche politischen Erwägungen an seine Benutzung oder Nichtbenutzung zu knüpfen. Denn das nervt.
Wer hat eigentlich das Papiertaschentuch erfunden? Oder den Kugelschreiber? Und sollten Frauen nicht lieber mit dem Finger schreiben und sich in die Faust schneuzen, statt schon wieder Zuflucht zu einem Hilfsmittel zu nehmen, das Männer (vermutlich Oskar Rosenfelder im Falle des Taschentuchs, László József Bíró für den modernen Kugelschreiber) erfunden haben? Wird dadurch nicht eine Abhängigkeit von Männern zementiert? Und entfremdet es Frauen nicht von ihren Körpern, wenn sie so künstliche Dinge wie Taschentücher und Kugelschreiber benutzen? Der eigene Finger in der Malfarbe, die Rotze in der Faust dagegen vermögen Tabus und Hemmungen aufzubrechen, unter denen Frauen Jahrhunderte gelitten haben, und öffnen Frauen wieder den Zugang zum eigenen Körper, seinen natürlichen Funktionen und Ausscheidungen.
Man findet solche Überlegungen zu Recht lächerlich. Und doch werden sie allen Ernstes beispielsweise in bezug auf Tampons angestellt. Der Tampon blockiere den natürlichen Abfluß; er trage mit dazu bei, die Menstruation zu einem Problem zu machen; er suggeriere die Unreinheit des Menstruums und fördere so Schamgefühle bei den Frauen; er verhindere, daß Frauen ihre Regelblutung als etwas Natürliches, ihrem Körper Gemäßes erlebten. Undsoweiter.
Hat das eigentlich mal jemand über Klopapier so formuliert? Oder wie wäre es damit: Das Kondom verhindert den freien Ausstoß des Samens; es suggeriert die Unreinheit des Ejakulats und löst Schamgefühle bei Männern aus; es verhindert, daß Männer ihren Samenerguß als etwas Natürliches, Schönes, ihrem Körper Gemäßes erleben.
Das letzte könnte man auch vom Papiertaschentuch sagen.
Reden wir, statt solchen und ähnlichen Quatsch zu phantasieren, lieber über was Schönes. Reden wir über Vibratoren. Was für Typen gibt es, worin unterscheiden sie sich, was für Vor-und Nachteile haben sie, wie sind sie zu gebrauchen, wie eher nicht, wozu taugen sie, wozu eher nicht. Es gibt sicher gute Gründe, warum Vibratoren zum Einsatz kommen. (Sonst würden sie nicht so gerne benutzt.) Es gibt sicher auch gute Gründe dagegen. (Die Geschmäcker sind eben verschieden.) Politische Überzeugungen gehören nicht dazu. Mag sein, der Vibrator zwickt oder ist zu laut oder zu kalt oder zu starr oder was weiß ich. Dann läßt man es halt bleiben und nimmt lieber den Finger oder die Quietscheente. Jedoch bleiben zu lassen, was eigentlich Spaß macht, nur weil vermeintlich emanzipatorische Gründe dagegen sprechen, scheint mir eine bescheuerte Idee zu sein. Und was ist das überhaupt für eine Emanzipation? Von einem Gerät? Du meine Güte. Und was die in der Kolumne erwähnte Freiheit zur Schamlosigkeit betrifft: Die habt ihr. Längst. Ihr müßt sie nur noch nutzen. Das ist riskant. Aber das ist Freiheit immer.

Planeten, verschiedene

Kinder könnten auch übers Händie Eis und Süßigkeiten erstehen. Oder von Erwachsenen etwas zugesteckt bekommen, aufs Händie-Guthaben halt. Und dann hieß es noch, in Skandinavien hätten schon Obdachlose eine App auf dem Smartphone, mittels derer sie Spenden entgegenehmen könnten. Das als Entgegnung zu Einwänden gegen die Abschaffung des Bargelds.
„Wenn mich ein Obdachloser anspricht, zücke ich mein Smartphone, und wenn der das nicht will, tja, tut mir leid. Ich würde ihm ja gerne helfen, aber Bargeld habe ich keines.“
„Für genau den Zweck habe ich immer einen Euro in der Tasche.“
Mit solchen Fragen war man zwischen Espresso und Rechnung beschäftigt. Man erhob sich bereits, da sagte noch jemand was von „Hört auf zu streiten, ihr lebt auf verschiedenen Planeten.“

Planeten?, denke ich. Wenn ich einen Obdachlosen an die Bezahl-App verweise, dann will ich ihm gar nicht helfen. Ginge es mir darum, würde ich, als derjenige, der ja die Wahl hat, Wege finden, dem, der am Boden ist, wenigstens eine kleine Freude zu bereiten. Ich halte ja auch dem einarmigen Verdurstenden nicht die zugeschraubte Wasserflasche hin. Ich mache sie ihm auf, was kostet mich das? Eine kleine Freude am Tag, das kann ein Obdachloser brauchen. Was er nicht brauchen kann, ist eine Belehrung über die Zukunft des Bargelds.

Gerecht

Kaum wird ernsthaft die CO2-Steuer diskutiert, geht schon das Geschachere los. Die Steuer finden viele super, solange nur die anderen zahlen. Was, ich? Nein, ich zahle nichts! Weil ich hab es ja schwerer als die anderen. Und ich fliege ja nur einmal im Jahr. Also gut, höchstens zweimal. Und nur nach Mallorca, nie weiter weg. Das ist ja praktisch schon CO2-neutral. Aber die Wohnung, die muß ich warm haben. Weil ich friere halt schnell. Und dann werde ich krank. Oder es gibt Schimmel. Und sollen jetzt Arbeitslose nicht mehr heizen dürfen? Die werden sich keine Heizkosten leisten können. Geht immer auf die kleinen Leute, die mit zwei Autos auskommen müssen. Wie soll ich denn zur Arbeit kommen, wenn ich den Sprit nicht mehr zahlen kann? Etc etc ad nauseam.

Wenn man alle Einwände und Vorschläge zur Refinanzierung berücksichtigt, kommt man bei folgender Vorstellung heraus: Weniger Kohlendioxid, aber alles soll bitte so bleiben, wie es jetzt ist. Fliegen, Autofahren, Fernreisen; Wäschetrockner, Tiefkühlschrank und Internet; und dazu winters tropische Wärme in den eigenen vier Wänden. Die Diskussion über die CO2-Steuer ist schon jetzt, wo sie noch kaum begonnen hat, zum Davonlaufen. Ich habe allen Ernstes den Einwand gehört, daß ganze Urlaubsregionen einpacken könnten. Wovon sollen denn die Menschen auf den Kanaren leben, wenn keine Touristen mehr kommen? Worauf zu antworten wäre, daß es diesen Tourismus sowieso bald nicht mehr geben wird. Leute!, möchte man schreien, wir sind hier nicht beim Onkel Doktor. Es wird weh tun, verlaßt euch drauf.

Wen träfe eine CO2-Steuer am meisten? SUV-Fahrer, Flugreisende, Fleischesser, Menschen, die in großen Wohnungen und in freistehenden Häusern wohnen. Wen träfe die Steuer am geringsten? Diejenigen, die sich den Krempel eh nicht leisten können. Die Steuer wäre strikt verursacherbezogen, und damit äußerst gerecht. Wer viel CO2 mitproduziert, und das sind die Reichen, zahlt hohe Steuern, wer einen schlankeren Lebenswandel hat, das sind die Ärmeren, zahlt weniger. Die Not ärmerer Bevölkerungsschichten als Argument gegen die Steuer anzuführen, ist scheinheilig. Was wird besteuert? Nicht das Heizöl, sondern der CO2-Aufwand des Lebensstils. Der aber dürfte insgesamt gesehen unter den Ärmsten auch am geringsten sein, da die Mittel zur Bestreitung eines CO2-aufwendigeren Lebensstils bereits am geringsten sind. Niemand muß fliegen. Niemand muß verbrauchsintensive Autos fahren. Niemand muß Fleisch essen. Klar, die CO2-Steuer würde viele Lebensbereiche teurer machen. Und jetzt halten Sie sich fest: das ist ihr Sinn. Aber sie würde es den Steuerzahlern überlassen, wo und wieviel sie sparen, wie sie individuell auf die Steuer reagieren wollen.

Der Preisunterschied zwischen Bioprodukten und Erzeugnissen aus konventioneller Landwirtschaft würde geringer. Es gäbe einen Anreiz für die Industrie, energiesparend zu produzieren. Aufwendige Verpackungen würden verschwinden. Lokale Produktion würde gefördert, Transportwege verkürzt. Energie aus fossilen Brennstoffen würde teurer, Energie aus erneuerbaren Quellen bekäme einen Wettbewerbsvorteil. Viele Produkte, die jetzt aufgrund niedriger Energiepreise günstig zu haben sind, würden erheblich teurer. Aber der Kostendruck im Wettbewerb würde zu neuen Technologien und Vermarktungsweisen führen, die mit weniger Energie auskämen. Gegenwärtig besteht sehr wenig Anreiz, an Energie und Transport zu sparen. Das würde sich nach Einführung einer CO2-Steuer sehr schnell ändern. Auf lange Sicht würden sich auch Arbeitswege verkürzen, weil sich die Produktion lokal und dezentral umorganisieren würde. Das Wachstum der Megastädte würde abnehmen, ländliche Regionen als Arbeits- und Wirtschaftsräume aufgewertet. Vegetarische oder sogar vegane Lebensweisen wären nicht mehr nur aus ethischen oder gesundheitlichen Gründen erwägenswert – sie wären schlicht und einfach billiger. Wenn Fernreisen nicht mehr erschwinglich wären, profitierte der regionale Tourismus. Die Städte und Kommunen gerieten unter Druck, attraktive Freizeit- und Erholungsangebote zu machen. Es gäbe wieder mehr Schwimmbäder und Parkanlagen, aus der CO2-Steuer mitfinanziert. Es gäbe einen Selektionsdruck für ganze Lebensstile, Kulturen, Narrative und Techniken.

Und das alles würde sozusagen von alleine passieren – mit nur einer einzigen Maßnahme als Triebfeder. Ein kleines Gesetz würde die Entwicklung einer post-fossilen Gesellschaft einleiten. Keine andere Einzelmaßnahme, von der Wohnungsdämmung bis zum EEG, hätte ein solches Potential oder wäre so gerecht.