πάντα ῥεῖ

Erstarrt im Sessel sitzen, der Zeit bei ihrer Arbeit an mir zusehen und nicht und nicht über die entsetzliche Jetzigkeit des Daseins hinwegkommen. Schier verzweifeln am Gefangensein in diesem Jetztpunkt. Ich stelle mir irgendeinen Augenblick von vor, sagen wir, zwanzig Jahren vor, etwas ganz Banales, vielleicht saß ich in der Küche bei einem Bier, vielleicht hängte ich Wäsche auf, ich denke daran, daß jener Moment für mich einmal Gegenwart und Erleben war, und plötzlich ist diese banale Tatsache, auf mein jetziges Erleben und Erinnern angewendet, so grauenhaft, daß mich schwindelt. Ich schaudere wie vor einem Abgrund davor zurück – aber da ist ja nirgends fester Grund, auf den ich zurückkönnte! Denn auch der Moment, wo ich an den anderen Moment zurückdachte, ist schon wieder vorbei. Und auch der Moment, wo mich schwindelte vor diesem Rasen, und jetzt, und jetzt – Und dereinst, bald, werde ich auf dieses Schaudern und wie ich davon schrieb, aus weiter Entfernung zurückschauen. Dann wird dieser Moment ebenso rätselhaft sein wie der Moment, wo ich Wäsche aufhängte. So ist dieser gegenwärtige Moment im Grunde schon jetzt nicht mehr wirklich. Aber dann ist gar nichts wirklich! – Ich möchte Halt! rufen, Stop! Stop!, Stop! Ich muß doch erstmal … Ich wende mich und winde mich, aber überall ist gleich jetzig. Ich bin gefangen.
Kein Trost, keine Hilfe. Denn jeder Trost, jede Hilfe ist ja der Jetzigkeit unterworfen. Wie kann mich etwas trösten, das Teil dessen ist, was mich quält?
Ich verstehe das nicht, woher kommt das? Warum ängstigt mich etwas, das gar nicht anders (etwa als Entwurf oder Utopie einer besseren Welt) denkbar wäre, etwas, das wir uns gar nicht anders vorstellen können? Wie kann ein unlösbares philosophisches Problem plötzlich zu einem Gefühl existentieller Bedrohung werden?
Und wie geht das wieder weg? Wie wäre das zu schaffen, das Normale wieder als normal zu empfinden?

0 Gedanken zu „πάντα ῥεῖ

  1. [Soll ich dir jetzt wirklich sagen, dass ich darin auch gefangen bin, hier, bei mir, in meinem Jetzt, und auch noch keinen Ausweg gefunden habe? (Du beschreibst meinen beinahe “Dauerzustand”.) Einzig ein wenig dimmen habe ich ihn gelernt oder mich zuweilen taubzustellen, aber “es” holt mich immer wieder ein und riecht nach Sinnlosigkeit.]

    Wie auch immer: Grandios beschrieben!

    1. Dann bin ich damit also nicht allein. Aber ob das eine gute Nachricht ist, weiß ich nicht.

      Taubstellen, sagst Du; mir hilft Ablenkung, manchmal denke ich einfach nicht an die Zeit; aber solche Ablenkung ist zufällig, ich kann sie nicht willentlich herbeiführen.

      1. Es ist seltsam, wie manches mal hilft, mal nicht. Ablenkung ist auch oft das einzige, das hilft. Hilft es aber wirklich? (Es fühlt sich zuweilen falsch/feig an, “davonzulaufen.) Nun ja …

        1. Ablenkung bedeutet doch nichts anderes als ein Aufgehen im Augenblick. Solange man abgelenkt ist, gibt es nur Gegenwart, so ganz und gar, daß man der Zeit nicht mehr bewußt ist, wie ein Fisch das Wasser nicht bemerkt, in dem er schwimmt. Das ist eine Erlösung.

          1. Hm, das nenne ich dann eher Zulenkung, im Fluss sein.
            Ablenkung ist für mich eher etwas wie Verzettelung. Wegschauen vom Wesentlichen. Aber deine Art Ablenkung, wie auch immer wir die auch nennen, ist tatsächlich eine Wohltat.
            Spannend, wie anders andere Menschen für mich auf eine bestimmte Weise besetzte Wörter anwenden. Danke für diesen Gedankenanstoß.

Schreibe einen Kommentar zu Solminore Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert