Ich habe gerade einen sehr undemokratischen Gedanken: Wenn nie über Flüchtlinge berichtet worden wäre, würde sich kein Mensch darüber erregen. Sie fallen ja gar nicht auf, die paar armen Hanserl. Manchmal möchte man sehr paternalistisch Nachrichten … dosieren. Dann gäbe es viele Probleme gar nicht, Probleme, die allein durch Diskurse entstehen.
Aber dann kämen die Probleme, die durch unterlassene Diskurse entstehen.
Klar. Und ich möchte auf keinen Fall den nächsten Castortransport verpassen; oder den nächsten Freihandelsvertrag.
Trotzdem ist Schweigen manchmal Gold.
Dazu ließe sich vieles schreiben. “Security by obscurity” wäre Augenwischerei; viel eher müßten die Medien ihre Verantwortung ernstnehmen. Polemik mag sich gut verkaufen, aber schadet, wenn das Publikum sie nicht zu analysieren vermag.
“Wenn das Publikum sie nicht zu analysieren vermag” — Gott, da machen Sie jetzt aber ein Faß auf …
Ja, aber… Ich verstehe Ihren Gedanken, manchmal kommt man auf seltsame Ideen. Zum Teil stimmt es ja, dass durch die permanente Medienpräsenz manche einfach gestrickte Bürger regelrecht mit der Nase auf ein Problem gestoßen werden, das ihnen nicht gefällt. Andererseits muss man ja drüber reden, die Frage ist nur, wie und da liegt sicher Einiges im Argen.
Genau. Ich möchte sogar so weit gehen, zu behaupten, daß manche Probleme überhaupt erst durch die Berichterstattung entstehen. Das “Problem” sind ja nicht die Flüchtlinge, das Problem ist die Präsenz des Themas in den Medien. Wer hat denn schon einmal wirklich einen Flüchtling gesehen? Ich nicht. Das heißt, überspitzt gesagt, die meisten Flüchtlinge gibt es in den Medien, nicht in der Wirklichkeit.
Mediale Aufmerksamkeit ist alles. Wer die bekommt, hat schon fast gewonnen. Kein Wunder, daß alle dahinter her sind, medial repräsentiert zu werden. Ich bin auch überzeugt davon, daß man die Pegida-Bewegung einfach hätte totschweigen können. Wäre nicht darüber berichtet worden — nicht einmal als Gegenstimme — dann wäre die ganze Sache in sich zusammengefallen. So aber sind sie auch noch jetzt präsent, als Erinnerung, als Eindruck, als Numinosum, und es wird sehr lange dauern, bis man sie wieder vergessen haben wird.
Insofern halte ich es nicht mit denen, die sagen, ignorieren reicht nicht. Im Gegenteil, wirklich ignorieren müßte man. Aber das wird nicht passieren, denn mit Reizthemen kann man prima Auflage machen.
Wie gesagt, ja, aber… Zum Teil gebe ich Ihnen Recht, vor allem in dem Punkt, dass die Medien mit Reizthemen eine prima Auflage erreichen. Aber wo bleibt die Demokratie, wenn die Menschen bewusst desinformiert gehalten werden…?
„Mediale Aufmerksamkeit ist alles. Wer die bekommt, hat schon fast gewonnen.“ Stimmt. Oder verloren, wie die Flüchtlinge, die von vielen Deutschen als Bedrohung empfunden werden…
Ich gehöre zu denen, die täglich Flüchtlinge sehen. Denn knapp 30 Menschen wurden gegenüber im ehemaligen Verwaltungstrakt eines Altenheims untergebracht, sie leben hier jetzt seit Ende letzten Jahres. Ich sehe sie täglich vom Fenster aus und wenn ich das Haus verlasse. Wenn alle Deutschen die Flüchtlinge so sehen und erleben würde, wie es bei mir der Fall ist, hätten sie vermutlich kein Problem damit. Es sei denn, sie rasten schon aus, wenn sie eine Frau mit Kopftuch sehen.
Die Menschen kommen aus verschiedenen Ländern, vom Baltikum über Syrien bis Nigeria. Ich sehe nigerianische Frauen im Minikleid neben verhüllten Syrerinnen und alten Frauen in baltischer Tracht, die aussehen wie russische Mütterchen. Dazwischen die Kinder, viele Kinder. Seit ich dort war und ihnen Sachen gebracht habe, winken und rufen mir die Kinder zu, sobald ich das Haus verlasse, manche Erwachsene auch. Die Atmosphäre wirkt friedlich, abends sitzen Grüppchen vorm Haus, tagsüber spielen die Kinder auf dem Grundstück, ich spüre jedenfalls von hier aus keine Spannungen. Die Menschen haben Hausnummern in ihren Familienzimmern, wobei ich nicht weiß, ob nicht doch einige mit anderen Familien in einem Zimmer untergebracht sind.
Diese Flüchtlinge haben Glück gehabt, dass sie im Stadtzentrum leben und so unauffällig zwischen einem Alten- und Pflegeheim, dass sie sich sicher fühlen dürfen. Fraternisierung mit den Menschen aus dem Altenheim habe ich allerdings bisher nur bei den Kindern beobachtet, die sich unbefangen zu einem alten Mann auf die Bank setzen, ihn ansprechen und neugierig fragen, ob sie seinen Rollator mal testen dürfen und sowieso jeden ansprechen, inzwischen rufen sie mir auf Deutsch ein „Hallo, wie geht’s“ zu, einige gehen zur Schule.
Wie gesagt, wenn die Deutschen das erleben würden, was ich erlebe, hätten sie wohl kaum Anlass, sich über die Flüchtlinge zu beklagen. Na ja, manche sicher trotzdem, denn man kennt ja die Neiddebatte: Wie, die kriegen fast soviel wie hier die Hartz-IV-Leute? Die plündern unsere Kassen… Grrr, als würde das Land dadurch verarmen und der Einzelne dadurch zurückstecken müssen. Die Probleme, die es hierzulande tatsächlich gibt, haben ganz andere Ursachen.
Möglicherweise hätte man z.B. Pegida am Anfang ignorieren können. Aber jetzt ist es definitiv zu spät. (Andererseits demonstriert Pegida mitten in der Stadt, schwer zu übersehen, wenn jeden Montag der Bus umgeleitet werden muss.)