Widertonmoos

wo man vom widertonmoos spricht,
vor wonne frieren.

die ferne nach ihren farben
befragen über der einsamen lärche.

mit klammen lippen
atemwegen folgen, im

glücksgefröstel das hemd
hochschieben, ganz

über alle wipfel, daß
warme haut bis zum rhein reicht.

zwischen strom und stromern die wege
in küssen messen und die küsse danach
wie weit sie wohl tragen

(je süßer desto weniger)

Auf L. warten

Stürme im Bauch und Wellen in der Brust. Armeen von Dermatozoen machen sich die Geographie meiner Haut untertan. Schmetterlingsorkane durchpflügen alle Ordnungen meiner Organe aus Quecksilber und Salz. Die Fingergelenke schmerzen, als wohnten Funken darin. Die Schultern schwimmen mit mir auf dem Sturmwind davon. Die Büsche hängen voll bunter Atemzüge. Mühsam tragen sie daran.

Die Fenster schauen mich an mit Blicken voll Wetter. Viele Himmel über dem Haupt, gehalten von Vögeln. Die Angst ist Kristall und hockt in den Zähnen. Die Wege konzentrieren sich auf mich und lassen mich nicht vorbei. Nichts läßt mich, der Tag nicht, und nicht die Nacht. Alles ist Sammlung. Das Licht konzentriert sich auf meine Augen, bis sie fliegen von Bildern. Am Gaumen arbeitet das zirpende Reiben der Zeit. Stunden wissen von Minuten, Sekunden wissen meine Herzschläge auswendig.

Noch der Schlaf kennt mich genau. Leise prüft er mich mit seinen Träumen. Aber ich singe, singe; ins Dunkel singe ich, um die Finsternis daran zu hindern, in sich zusammenzustürzen. Was gäbe das für ein gleißendes Licht. Aber ich weiß einen Namen, wo das nicht geschehen wird. Das Dunkel wird bleiben und groß sein, und der Name darin hausen, und selbst im Schlaf nicht vergessen sein.

Ein Tag wie ein…

Ein Tag wie ein zerknülltes, dann wieder glattgestrichenes Papier: Nur allzu sichtbar die feinen Bruchlinien, die Verwerfungen, die rissig unterbrochenen Tintenverläufe. Ausgelesen, weggeworfen, sich wiedererinnert. Da war noch etwas. Eine Tür, die zu früh ins Schloß fiel und so den Schlaf beendete. Ein Band, das sich aus einem Haarschopf löste. Eine Tasse mit einem Kaffeerest, nicht mehr warm, nicht mehr lau, nicht mehr irgendeinem Menschen und seinen Absichten verschuldet, so wenig, wie das Telephon etwas aufhebt von dem, dessen Zeuge und Vermittler es war. Oder die Spiegel, natürlich die Spiegel. Brüche auch hier, im Glas, überall, der Kristall vergilbt von zuviel Sonne, die sich ins Wohnzimmer stahl. Man kennt es und holt es noch einmal hervor, streicht es glatt, fügt die Wundränder einer zerrissenen Photographie wieder zusammen. Zieht das gesprungene Glas aus dem Müll, hält es so, daß im Rahmen nichts spiegelt und das Gesicht, verhärmt von Staub und Kratzern, dahinter schwach aufleuchten kann.

Wege durchs Laub: Hier auch. Hier warst du auch. Fast vergessen, liegt auf den Abmessungen der Wiese eine Patina des unerwartet Wiederentdeckten, das Wehen einer vor Jahren so, genau so schon einmal aus den Dingen sprechenden Glücksverheißung. Dieser Weg, mit dem Laub, mit dem krümeligen Licht, das sich an den Blatträndern bricht, dieser Weg, der so schön an seiner eigenen Tiefe ermüdet: Du weißt, du bist das schon einmal abgeschritten, damals schon in Gedanken versunken. Es hat das alles diesen Film aus Zeit und Ermattung, das Fundstücken in der Tiefe leergeräumter Schubladen anhaftet. Den Rest eines ehemals starken Dufts aus einem eingetrockneten Flacon. Etwas von diesen Zeugnissen vergessener Notizen, halbentzifferbarer Weisungen und Gedächtnishilfen, Gefaltetes und Zerknülltes, das es irgendwie, vergessen von dem Braus der Jahre, in einer Schublade, der Ecke eines Schränkchens, einem unentdeckten Winkel geschafft hat, zu bleiben. Und so spricht es nun ins Leere, zu uns und doch nicht zu uns, eine blinde Schrift: Triff mich heute im Park. Dein M. Bitte noch besorgen: Brot, Butter und eine Abendzeitung. Deine S. Und das Verrückte ist doch, daß es damals auch schon eine Zukunft gab. Und daß du jetzt, in diesem ehemals leeren Raum, in dem jemand auf Brot, Butter, die Abendzeitung und die große Liebe wartete, daß du da jetzt herumspazierst, in diesem Raum, der noch voller Hoffnungen, Erwartungen, Ängste war, da trampelst du jetzt über alte Wege und hast die große Liebe gefunden und wieder verloren, für jene nicht sagbar, nicht einmal denkbar: Und das wirst dann wohl du gewesen sein.