Frühprotokoll mit Streichern

Im Radio einer meiner Lieblingsmoderatoren. Daniel Finkernagel erklärt, warum er neulich im Konzert fast gebuht habe. Es sei ein gemischter Abend gewesen, ein bißchen Komik, ein bißchen klassische Musik, ein bißchen Varieté, und das ganze zusammengehalten von einem Conférencier, der natürlich, das gehört sich ja so, die Mitglieder des auftretenden Streichquartetts folgendermaßen vorgestellt habe: „Erste Geige: … Zweite Geige: … Dritte Geige: … Cello: …

Gebuht hätte ich wohl auch nicht, aber gekichert hätte ich sicher. Weniger entrüstet als zufrieden darüber, daß es genügend Analphabeten auf der Welt gibt, von denen man sich großherzoglich unterscheiden kann.

Ich habe auch nie verstanden, warum man bitte Jugendliche oder bildungsferne Schichten oder sonstwen für klassische Musik erwärmen sollte. Gute Musik ist überall wohlfeil zu haben, es gibt keine anderen Hindernisse als den eigenen Anspruch an Kunst. Der Weg zu Streichquartett und Sinfonie ist frei, wer das nicht will, bitte schön. Die Konzertsäle und Opernhäuser sind auch ohne Krethi und Plethi voll. Allen Bemühungen aber, neue Hörerkreise für klassische Musik zu erschließen, haftet in meinen Augen etwas zutiefst Anbiederndes inne. Klassische Musik wurde an Fürstenhöfen ersonnen. Es ist Musik für Fürstenohren. Also bitte!

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Seltsam, wie man eine starke Abneigung oder Zuneigung gegen bestimmte Radiostimmen entwickeln kann. Es gibt einen Moderator meiner Lieblingssendung, den ich absolut nicht ausstehen kann, ich kriege Pickel im Ohr, wenn ich den höre. Es ist nicht einmal, weil er den Namen Poulenc wie Poulonc ausspricht, aber das macht es natürlich nicht besser.

Was mir ebenfalls Ohrenschmerzen bereitet, ist eine bestimmte Tonlage und Intonation, die vom WDR in letzter Zeit gern für Ankündigungen benutzt wird. Konzerte in NRW – die große Sommerreihe! Oder: WDR-Konzerte live erleben! Oder einfach nur: WDR3-Aktuell! (WDR-Sprech für “Nachrichten”). Es klingt immer so, als wolle die Sprecherin gleich noch ein jetzt nur einen Euro neunundneunzig! folgen lassen. (Falls hier jemand mitliest vom WDR: Ich bitte Sie inständig, ändern Sie das. Kultur ist kein Kräuterquark! Und verzichten Sie in der Kulturwerbung bitte auf die Vokabeln erleben, genießen und Event. Danke!)

Demselben so oft geschmähten Kultursender verdanke ich indes eine Empfehlung, die ich an Sie weitergeben möchte. Dorothee Mields und die Lautten Compagney spielen Liebeslieder von Henry Purcell. Unbedingt anhören!

An die WDR3-Redaktion

Sehr geehrte Damen und Herren!

Seit ein paar Tagen werben Sie in der Sendung “Mosaik” (und, wie ich fürchte, auch in anderen Sendungen auf WDR3) mit einer Reihe von Jubiläumsveranstaltungen anläßlich des zehnjährigen Bestehens der Kooperation “WDR3-Kulturpartner”. Ich sehe ein, daß Sie diese Veranstaltung auf Ihrem Kanal bekannt machen müssen oder wollen; daß Sie aber dabei so weit gehen, den dafür produzierten Werbespot — nachdem er seit Montag früh bereits täglich zu hören gewesen ist — anstelle einer ansonsten zu hörenden Rezension oder Theaterkritik ausstrahlen (so heute morgen als Ersatz für den 7:15-Beitrag), erregt mein Mißfallen, um es vorsichtig auszudrücken.
Bedenken Sie bitte auch, daß es Hörer gibt, die das “Mosaik” so sehr schätzen, daß sie es jeden Morgen hören, und daß diese Hörer es gar nicht schätzen, jeden Morgen dieselbe fünfminütige Werbung in eigener Sache vorgesetzt zu bekommen. Man hat es nämlich schon beim zweiten Mal satt. Es ist, entschuldigen Sie den Ausdruck, zum Zähneziehen, und einer ansonsten so interessanten und informativen Kultursendung wie dem “Mosaik” völlig unangemessen.
Ich hoffe sehr, daß Sie davon absehen, den Spot solange auszustrahlen, bis die letzten Karten der letzten Tour verkauft sein werden.

Hochachtungsvoll
T. Th.

Der Mozart-Hype. Ein Hörerbrief

Sehr geehrte WDR3-Redaktion!

2004 war das Petrarcajahr. was für ein wirbel! erinnern sie sich? nein? schon monate vor seinem 700. geburtstag (am 20. juli 1304 ) waren die buchbesprechungen voll von neuen petrarcapublikationen, die neuerscheinungen von hörbüchern mit seinen sonetten und canzonieren wuchsen zur flut, in den auslagen der buchhandlungen war kaum noch platz für andere veröffentlichungen, auf den büchertischen stapelten sich biographien, bildbände („Petrarcas Toscana“, „Der Mont Ventou in den Augen des Dichters“) und bibliophile werkausgaben. es gab lesungen, dikussionsrunden, fernsehsendungen, einen kinofilm und die konditoren erfanden eigens die petrarcakugel.
nein?
nein, so war es nicht, und man darf froh darüber sein, daß uns ein solcher wirbel erspart geblieben ist. andererseits: daß dem WDR der geburtstag des mittelalterlichen dichters damals kaum eine knappe meldung in der sendung „mosaik“ wert war, stimmt nachdenklich, manch einen zeitgenossen gar traurig. noch trauriger aber mag einer werden angesichts des bunten treibens, das der 250. geburtstag Wolfgang Amadé Mozarts dem WDR jetzt wert ist.
vergeblich hätte man im jahr 2004 ab und an ein Petrarcagedicht zum tagesbeginn erwartet, doch schon seit jahresbeginn hören wir, damit man es auch ja nicht vergißt, pünktlich um halb acht einen brief des komponisten, gelesen von Klaus Maria Brandauer. abgesehen davon, daß Klaus Maria Brandauer diese aufgabe hervorragend löst, gehören die briefe mozarts nun wirklich nicht zu dem, was man als litarischen höhenflug bezeichnen möchte. im anschluß erklingt, wie könnte es anders sein, ein mozart-stückchen. mozart hier, mozart da, mozart früh, mozart spät. mal ein kleiner beitrag zu seiner biographie, dann wieder vernimmt man von der „therapeutischen wirkung“ seiner musik. verkausfördernde mystik. in den „resonanzen“ wenig später ein beitrag über die „botschaft der zauberflöte“. klar, welches werk sonst. selbst der WDR schlägt in die bresche der mozart-gassenhauer. seltsam, daß die „Kleine Nachtmusik“, wie die streicherserenade nr. 13 in D-Dur, KV 525 meist genannt wird, noch nicht zu hören war.
wenn der kommerz die bekanntheit Mozarts ausschlachtet, so mag das hingehen; was aber verleitet eine öffentlich-rechtliche rundfunkanstalt dazu, den wirbel mitzumachen? und wenn sie ihn mitmacht: was hält dieselbe rundfunkanstalt dann davon ab, künstlern, die für die kulturgeschichte des abendlandes mindestens ebenso bedeutsam wie (womöglich aber noch bedeutsamer als) mozart waren, die aufmerksamkeit zum runden todes- oder geburtstag fast vollständig zu verweigern?
man verstehe mich nicht falsch: es geht nicht darum, die musik mozarts und ihren künstlerischen stellenwert schmälern zu wollen, im gegenteil. es sollte nur einen ort und eine institution geben, wo die leistung eines künstlers unabhängig von seiner kommerziellen ausschlachtbarkeit, seiner allgemeinen beliebtheit oder seiner bekanntheit gewürdigt wird; eine instuitution, die einem künstler jenseits aller publikumsvorlieben diejenigen ehren erweist, die ihm nach meinung dieser institution als künstler zukommen. schließlich könnte es ja auch darum gehen, nahezu vergessenen größen zu ihrem verdienten ruhm und zu breiterer bekanntheit zu verhelfen. wer, wenn nicht ein öffentlich-rechtlicher sender wie der WDR, der sich in seinen werbefreien programmen um einschaltquoten nicht zu scheren braucht, könnte dies leisten?
dann hätten wir nämlich auch ein schönes Petrarcajahr gehabt.

mit freundlichem gruß
T. Th.