Sauattrappe

Das Problem mit der KI ist überhaupt nicht, ob und welche menschlichen Tätigkeit künstliche Systeme ersetzen; ist nicht, wo KI besser sein könnte als der Mensch. Das wahre Entsetzen über KI, und das wird in den Debatten immer übersehen, kommt aus einer anderen Möglichkeit: daß die KI – und sie hat die ersten Schritte jenseits dieser Schwelle längst getan – das Vertrauen untergräbt, es in der Kommunikation noch mit einem Menschen zu tun zu haben, und also, ob überhaupt Kommunikation stattfindet. Denn anders als Watzlawick behauptet setzt Kommunikation ein bewußtes Gegenüber mit kommunikativen Absichten voraus. (Nicht jedes Aussenden und Interpretieren von Zeichen ist Kommunikation.) Wo das nicht gegeben ist, ist die Kommunikation, na ja, nur eine Simulation oder schlimmer: eine Täuschung. Der Zuchteber, der, mit Duftstoffen bis zur Raserei gereizt, auf eine Sauattrappe geführt wird, um sich seinen Samen abzapfen zu lassen – er mag den Turnbock, auf dem er hockt, für eine echte Partnerin halten. Selbst wenn seinem Trieb nichts fehlt: Würden wir nicht sagen, daß diesem masturbatorischen Betrug etwas zutiefst Trauriges anhaftet? Solange ich weiß, daß ich mit einer Maschine kommunikative Masturbation betreibe, ist gegen KI nichts einzuwenden; das Unbehagen beginnt mit dem verunsichernden Gedanken, es vielleicht nicht zu wissen. Was, wenn ich nicht weiß, ob der Popsong, der mich zu Tränen rührt, nur das auf meine Gefühle hin berechnete Produkt einer Maschine ist? Ob der Roman, der mich aufwühlt, nicht auf genau meine Aufwühlung von einem Algorithmus maßgeschneidert worden ist? Auch die Beziehung zwischen Künstler, Werk und Rezipient ist eine Form der Kommunikation; ist etwas, das zwischen Menschen stattfindet; ist ein Audruck menschlicher Beziehungen – worauf das Menschliche exklusiv Anspruch hat. Mehr noch: Kunst ist etwas, das den Menschen vor allen anderen Wesen auszeichnet: es ist wie Sprache und Lachen ein nicht-akzidentielles Wesensmerkmal. Insofern läßt es sich per definitionem nicht durch eine Maschine ersetzen. Und so wollen wir uns auch nicht von einer Maschine zu Tränen anrühren, nicht von einem künstlich maschinell erzeugten Text aufwühlen, nicht von einem synthetischen Witz zum Lachen bringen lassen. Warum nicht? Weil die Maschine nicht mitlacht. Weil die Maschine nicht weiß, was Tränen sind, oder was es bedeutet – wie es sich anfühlt – aufgewühlt zu sein. Als kommunikativer Akt setzt das Sich-Rühren-Lassen – wie alle Kommunikation – ein fühlendes Gegenüber und also: Empathie voraus. Kommunikation spiegelt uns ein denkendes Wesen, das uns versteht und uns aufgreift und uns verwandelt zurückschenkt. Lassen wir uns von einer Maschine zu Tränen rühren, sind wir nichts weiter als ein verzückter Eber auf seiner Attrappe. Man darf auch nicht immer nur die Perspektive der (Kunst)Rezipienten einnehmen, weil zu jeder Rezeption immer ein Kunstschaffen gehört. Es ist nie die Rede davon, daß die KI den Zuhörer, Leser, Zuschauer wird ersetzen können. Das auszuklammern bedeutet, die kommunikative Rolle des Kunstschaffenden zu ignorieren. Die Tätigkeit des Künstlers ist nur das andere Ende der künsterischen Kommunikation, und der Künstler braucht sein Publikum, wie das Publikum den Künstler braucht, damit die Kommunikation zustande kommt. Wer kein Problem mit der Vorstellung hat, Computer könnten uns demnächst Romane schreiben oder Filme drehen, darf auch kein Problem damit haben, Computer könnten demnächst die Bänke im Auditorium füllen und im Theater der Vorstellung applaudieren. Oder gehen wir noch einen Schritt weiter: Was, wenn Computer beides tun? Wenn Computer betrachten, was Computer gemalt, lesen, was Computer gedichtet, hören, was Computer komponiert haben? Wo wäre der Sinn? Es ist immer die Rede davon, daß die KI vieles überflüssig macht: Fließbandarbeiter, Kassierer, Setzer, Raumpfleger, demnächst Busfahrer, vielleicht bald Krankenpfleger, Sportjournalisten oder Nachrichtentexter – aber ganz gleich, was noch alles: die KI kann dem Menschen den Menschen nicht ersetzen. So wie wir die Liebe, Sex oder gutes Essen nicht an Maschinen delegieren können. Den Menschen dem Menschen nicht ersetzen heißt auch: Sich selbst nicht ersetzbar zu sein. Denn der Kommunikationscharakter der Kunstproduktion und -rezeption bestimmt Kunst noch nicht ganz. Kunst findet auch ohne Publikum statt. Vor etwa 10000 Jahren nahm ein Künstler oder eine Künstlerin ein Stück Walknochen zur Hand und schnitzte daraus die Figur eines Rentiers im Galopp. Das Stück ist äußerst fein gearbeitet und fußt auf exakter und sorgfältiger Beobachtung. Man darf sagen, es ist mit Hingabe, ja Liebe gefertigt. Jemand, ein Mann oder eine Frau, hat sich damals die Mühe gemacht, aus einem Stück unnahbarer Materie etwas zu machen, das mehr war als ein Werkzeug; etwas, das für ein anderes einstehen konnte; etwas, das Bedeutung hatte. Was immer der Grund war – es war diesem Menschen wichtig, sonst hätte er oder sie nicht soviel Mühe darauf verwendet. Mühe nicht nur auf dieses eine Stück, denn um die Figur so genau schnitzen zu können, bedarf es langer Übung, bedarf es zahlloser mißlungener Zwischenschritte, in denen der Künstler sich an die Perfektion der Darstellung angenähert hat. Was wir sehen können, ist das ferne Ende, das Ergebnis eines langen, von Frustration und Rückschritten, Durchbrüchen, Aha-Erlebnissen und Triumphen geprägten Lernprozesses. Warum hat dieser Mensch damals das auf sich genommen? Wir wissen es nicht genau – aber wenn wir ehrlich sind, können wir uns doch hineinfühlen, sind wir diesem Menschen ganz nah, kennen seinen Impuls, jedes Mal, wenn wir einen Stift nehmen und gedankenverloren eine Figur kritzeln. Wir kennen alle diesen Moment, wo etwas, das wir formen wollten, tatsächlich gelingt. Und wir bewundern die, denen es besonders gut gelingt. Können – wollen – wir diesen Moment an eine Maschine delegieren? Was wäre der Sinn, wenn wir es tun? Wir treiben ja auch Sport und quälen uns an Bestzeiten und Rekorden ab, obwohl eine Maschine schneller wäre. Was war das Gejammer groß, als in den nuller Jahren ein Automat den damals amtierenden Schachweltmeister schlug. Bewundern und feiern wir jetzt den Automat? Man stelle sich vor, es erhöbe sich ein Geheul, weil ein Auto den Weltrekordhalter auf der 100-m-Distanz schlägt. Man bedenke: Roboter auf dem Rasen statt Menschen bekämen vielleicht auch die interessanteren Spiele hin, wenn man sie so programmiert; und man könnte sie so programmieren, daß sie niemals foulen. Aber eins könnten sie eben nicht: triumphieren. Und was vielleicht noch bedeutsamer ist: Sie könnten auch niemals scheitern. So wie eine Sauattrappe keinen Liebeskummer haben kann.

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