Insulationen (3)

An der Raiffeisenbank in Nebel hängen Immobilienangebote aus. Zu verkaufen ist neben einem Baugrund in Nebel für eine halbe Million Euro (nur das Grundstück) eine Eigentumswohnung in Wittdün. Erdgeschoß, 2 Zimmer (Wohn- und Badezimmer), 45 qm, 25 qm Nutzfläche, kein Balkon, kein Garten, von einem Keller ist auch nicht die Rede, 405.000, Hausgeld 290. Wer dem Zentrum entfliehen, die Sehnsucht aufgeben und sich den Rand der Welt zur Heimat machen will, muß reich sein oder Verwandte auf der Insel haben. Uns anderen, den Habenichtsen, Pechvögeln und Enterbten, bleiben nur das Nahe, das Innere und die Städte.

Insulationen (2)

Gefurchte, genarbte, von selbstähnlichen Kräuselmustern ausgemalte Flächen; oder Flußdelten, Zopfmuster, weder dem Mineralischen noch dem Aquatischen ganz zugeordnete Materie; Zwischenwesen, verflüssigter Sand, geronnenes, zu ornamentalen Diagrammen halberstarrtes Wasser; zarte Gebilde, unverwechselbar einmalig wie Schneeflocken, nur durch die Kraft von Oberflächenspannung zusammengehalten, emergente Struktur: man scheut sich, diesen Arbeiten von Wellen, Strömung, Regen und Wind ins Handwerk zu pfuschen und darauf etwas so Profanes wie Fußspuren zu setzen. Es fühlt sich an, als würde man einem Künstler über die Leinwand latschen. Aber diese Welt ist sowieso ständig in Bewegung, und die fraktalen Furchen im eben erst trockengefallenen Schlick, sie werden bei der nächsten Flut mitsamt den gepfuschten Fußpuren darauf verschwinden — um bei der nächsten Ebbe neugeschaffen wieder aufzutauchen, ohne Gedächtnis, ohne Spuren, ohne Erinnerung an die Schuhsohlen, die hier zwölf Stunden zuvor ein paar Sandkörner verschoben haben, flüchtiger als ein Gedanke. Die Hybris besteht darin, anzunehmen, man könnte sich hier dauerhaft aufprägen; Rücksicht nehmen zu sollen, Schonung walten zu lassen, darin liegt die eigentliche Selbstüberschätzung. Du bist nichts, Mensch. Du bist so wenig, daß du nicht einmal Rücksicht nehmen kannst. Mit deinen Vibramsohlen, deinem Outdoor-Outfit, deinen Brillengläsern und Fernrohren bist du weniger als ein Sandkorn, leichter als der Wind, der das Sandkorn an seinen Platz in den unerschöpflichen Ordnungen trägt.

Insulationen (1)

Beim Spaziergang über den Deich vergeht mir jede Wasser-, Schwimm- und Abenteuerlust. Der Wind schlüpft zu den warmen Händen in die Taschen, zupft hinten an der Jacke, brüllt Seefahrerparolen ins Ohr. Es stürmt, sagt der Binnenländer, und es ist ihm egal, daß das hier für Einheimische noch lange kein Sturm ist. Also stürmt es halt, ein anderes Wort steht für dieses Luftregister nicht zur Verfügung. Luftkohorten, die von weit draußen Anlauf nehmen und den Spaziergänger vom Deich zu stoßen trachten, Inselwinde mit dem Geschmack nach Salz und Wolken. Es reißt am Gesicht, als flögen gleich die Augenbrauen dem Rotz aus der Nase hinterher.

Wir gehen, nun mit dem Wind im Rücken, vor dem Deich am Wattenmeer, das in der Flut langsam von Westen her volläuft, entlang nach Osten, auf einen fernen dunklen Fleck zu, der in dieser streckengeladenen Flachheit meilenweit entfernt scheint und sich, als wir dann doch irgendwie, vom Wind geschoben, näherkommen, als Haufen grauer Steine entpuppt, die von einer Vergangenheit als Ruine zu träumen scheinen. Und dann sehen wir das Bahnübergangszeichen, und allmählich werden von links über den Deich herabgeführt Bahngleise sichtbar. An dem Steinhaufen biegen sie nach rechts ab, überqueren den Weg und streben hinaus ins Watt. Rostige Stränge, Schwellen aus Beton, dazwischen zittert Wasser, der Schienenstrang verschwindet nach kurzem in einem Gewirr aus Marschpflanzen, Schlick und Wind. Erst auf dem Rückweg lesen wir auf einer Infotafel, bei dem Schienenstrang handele es sich um eine Verbindung zwischen der Hallig Langeneß und dem Festland. Diese ist auf einem Damm montiert, dem sogenannten Olanddamm. Ein Photo dazu zeigt einen Wagen, der wie ein Seifenkistenrennauto aussieht, aber einen Mast hat, mit einem schönen Segel daran. Ein Segel auf Schienen! So etwas kann auch nur Küstenbewohnern einfallen. Ein Segel hätten wir jetzt auch gerne, ein Segel, das uns schneller zu dem fernen, am windzerblasenen Horizont klebenden Hotel zurückbringt, aber der Wind käme sowieso von vorn.