Irrtum

Spätes Begreifen aufgrund der unausrottbaren Neigung, von mir auf andere zu schließen. Es trifft nicht zu, worüber ich jahrelang erst gestaunt, dann gespottet, bald schon mich geärgert habe, daß die Leute auch noch in Bus, Bahn und Zug telephonieren müssen. Mein Irrtum bestand darin, anzunehmen, es handele sich um ein Laster, dem überall, und eben auch in Räumen, wo es nicht am Platz sei, gefrönt werde; dabei ist das Gegenteil der Fall: nicht auch noch in der Bahn, nein, gerade in der Bahn wird gequasselt. Bestand doch mein Denkfehler darin, vorauszusetzen, der eigentliche Ort zum Führen von Telephongesprächen sei das eigene Zuhause, die Festnetzleitung, und sonst benutze man halt das Mobiltelephon, wenn es sich nicht vermeiden lasse und telephoniere unterwegs, wenn es bis nach Hause zu weit sei. Weit, ach, allzu weit gefehlt! Zu Hause hat man Besseres zu tun; der Ort, die Zeit, wo man in aller Ruhe seinen konversationellen Pflichten und Bedürfnissen nachgehen kann — ist unterwegs. Wo man, auch darin sieht sich meine Erwartung getäuscht, eben nichts Besseres zu tun hat. Längst scheint es ja aus der Welt, daß man diese Zeit unterwegs nutze, indem man ein Buch oder die Zeitung läse.

3 Gedanken zu „Irrtum

  1. Schaut man sich an, wie viele Menschen mit einem Pappbecher unterwegs sind, und prüft einmal oberflächlich den Inhalt von Abfalleimern an Haltestellen, kann man leicht den Eindruck gewinnen, zu Hause hätten die Leute auch Besseres zu tun, als Kaffee zu trinken.

  2. Man erntet hierorts böse Blicke, wenn man sich erdreistet, in Bus oder Bahn die Zeitung aufzuschlagen. Inzwischen lese ich sie in einer App auf dem Handy. Was die Kaffeebecher betrifft, frage ich mich immer, warum die Menschheit nicht früh genug aufsteht, um in Ruhe zu Hause frühstücken zu können. Aber das ist wahrscheinlich nicht jung-dynamisch genug.

    1. Die Zeitung hat gegenüber dem Quasselkästchen immerhin den großen Vorzug, daß sie stumm ist. Aber Schweigen ist wohl eine Tugend, die insgesamt nicht mehr geschätzt wird.

      In den Nullerjahren war ich tatsächlich der Überzeugung, das Mobiltelephon werde, ebenso wie das Bonanzarad, die Skigymnastik und der Toast Hawaii, irgendwann wieder verschwinden. Es ist nicht zu fassen, wie naiv ich war.

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