Frederik

Der Herbst naht mit frischeren Nächten, und mit ihm wächst die Nervosität. Nach allem, was man so hört, steht uns ein kalter und teurer Winter bevor. Menschengemacht, wie so vieles. Irgendein Businesskasper kriegt an der Börse einen Schluckauf, und schon fliegen uns die Heizölpreise um die Ohren. Und als wäre das alles naturgestzlich und unvermeidlich, werden schon erste Stimmen laut, die sich in solcher Lage um die Aufrechterhaltung des Kulturbetriebs Sorgen machen.

Manchmal sehnt man sich nach einer einfallsreicheren Rhetorik, nach einem neuen Kniff. Einerseits, weil man die ewige Leier (G. Thunberg: “Blablabla”) leid ist; andererseits, weil man allmählich zu der Überzeugung kommen muß, für dumm gehalten zu werden.

Jedenfalls ist es schon nachgerade beleidigend, wie hier wieder einmal soziale Güter gegeneinenader ausgespielt werden. Wie überall: die Kita gegen das neue Seminargebäude, das Schwimmbad gegen Wohnungsbau, der Spielplatz gegen das Sommerkino. Als wären für beides die Mittel zu knapp. Wie groß aber müßte die Not sein, wenn wir wirklich vor solchen Entscheidungen stünden? Sicherlich wären dann keine 100 Milliarden für Kriegsspielzeug möglich gewesen. Sehen Sie?

Hundert Milliarden, meine Damen und Herren. Das sind hundert mal tausend Millionen. Zum Vergleich: Der Haushalt einer mir befreundeten Familie kommt mit 2400 Euro an Heizkosten einigermaßen über den nächsten Winter (das ist bereits fast doppelt so viel wie vergangenes Jahr, und das war auch schon ein teures). Von diesen für Blech und Sprengstoff verpulverten hundert Milliarden ließen sich also über 40 Millionen vergleichbarer Haushalte über den Winter bringen. 80 Millionen bei einer Heizzulage von nur 1200 Euro pro Haushalt. Pro Winter, nicht pro Monat, versteht sich.

Aber davon will ich gar nicht sprechen.

Wovon ich sprechen will? Von einem Irrtum.

Es ist eine erst in jüngster Zeit aufgekommene, gleichwohl weitverbreitete Fehleinschätzung: zu meinen, in Zeiten der Not sei Kultur entbehrlich, ein hungriger Bauch habe andere Sorgen als den Theaterbesuch. Völlig falsch, je schlechter die Lage, desto wichtiger ist die Kultur. Je kälter die Füße, desto größer die Sehnsucht nach Tanz und Theater. Je stiller und eisiger der Winterabend, desto befreiender eine Stunde Beethoven oder ein Abend mit Rossini. Davon wird man zwar nicht satt, aber wenn die Pizza nicht zu haben ist, hilft einem die Kultur, den Hunger besser zu ertragen. Kultur ist Ablenkung, Ermutigung, Ausflug und Aufatmen. Ist Alternative, ist Ausblick auf Besseres. Denn der Magen wird ja davon nicht voller, wenn die Vorstellung ausfällt und der Saal dunkel bleibt. Wenn wir das Museum aus Gründen der Ersparnis schließen, wärmt solcherart Erspartes keinesfalls die eigenen vier Wände. Doch zwei Stunden Sommernachtstraum im (beheizten) Theater lassen die Lage schon nicht mehr ganz so auswegslos und den nächsten Frühling viel näher erscheinen. (Wer sich schon einmal darüber gewundert oder sogar geärgert hat, daß obdachlose Bettler nicht selten ein Smartphone besitzen, dem sei gesagt: Schlimmer manchmal als Hunger ist die Langeweile).

Also, laßt uns, wenn ihr uns schon nicht das Heizöl bezahlen könnt (oder wollt), öffentliche Räume der Wärme, des Lichts, der Inspiration und der guten Laune! Laßt uns unsere beheizten Museen, unsere warmen Theatersäle, unsere beleuchteten Bibliotheken. Laßt uns Lesungen, Konzerte, Aufführungen, laßt uns auch Kirchen, Moscheen und Bethäuser, laßt uns, wenn wir schon zu Hause darben sollen, einen Ort, an dem wir das Darben vergessen und einen anderen Blick einnehmen können auf Welt und Krise, laßt uns unseren Helikon, wie flüchtig die Tänze der Musen dort auch sein mögen. Eine halbe Stunde dort macht viele Wochen Dunkelheit wett.

Es ist der allerletzte Ort, der verschwinden darf, wenn’s eng wird.

2 Gedanken zu „Frederik

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