Fiktion ist, na ja, nicht wirklich

Was haben Ritter, Piraten, Hexen, Orks, Astronauten, Kriminalkommissare und Kasperle gemeinsam?

Sie sind allesamt Fiktionen.

Die einen — Ritter, Piraten, Astronauten und Kriminalkommissare — mag es zwar in der Wirklichkeit außerhalb der Fiktion auch geben. Mit dieser Realität haben sie aber so wenig gemein, wie Orks und Hexen gar keines realen Vorbildes bedürfen, um am fiktionalen Leben teilzuhaben. Ein Tatort-Kommissar ist daher ebenso fiktional wie ein Ork.

Es ist leicht zu sehen, warum das so ist. Die tägliche Arbeit eines Kriminalkommissars, das wirkliche Leben eines Piraten oder Ritters, vom Astronauten zu schweigen, ist entweder langweilig und unglamourös, oder elend und grausam. Ein Ritter, das war ein mitunter wenig vermögender Landadeliger, der sein Lehen ausbeuten mußte, um Waffen und Pferd unterhalten zu können, und verpflichtet war, seinem Lehnsherrn in den Krieg zu folgen, gleich wie idiotisch das Vorhaben auch sein mochte; wo er nicht selten seine Gesundheit verlor oder gleich sein Leben. So eine Gestalt taugt weder für die Tafelrunde noch für irgendeine andere Geschichte. Geschichten handeln nicht von der Realität. Sondern von dem, was wir dafür halten. Von unserer Erfindung der Realität. Mit anderen Worten, von einem Klischee. Keine Erzählung ohne Typisierung, ohne Klischee.

Der Irrtum nicht nur der Zuständigen beim Ravensburger-Verlag sondern all jener (die echten Indianer eingeschlossen), denen Karl May und seine Darstellung der nordamerikanischen Ureinwohner ein Dorn im Auge sind, liegt darin, zu meinen, Karl Mays eigene oder in seiner Nachfolge entstandenen Geschichten seien Geschichten über Indianer. Das sind sie nicht. Es sind Geschichten über Phantasie-Indianer, so wie Krimis Geschichten über Phantasie-Kommissare sind. Karl Mays Indianergeschichten brauchen, um zu funktionieren, keinen einzigen echten Indianer, noch weniger, als ein Krimi einen echten Kriminalbeamten benötigt.

Deswegen trifft auf Indianergeschichten auch nicht der Vorwurf des Rassismus zu, kann überhaupt nicht zutreffen. Die dargestellten Rothäute haben mit echten Angehörigen der Apachen, Navajo, Shoshoni, Potawatomi etc. genau so wenig zu tun wie die in diesen Geschichten auftretenden Cowboys mit den echten Kuhhirten des sogenannten wilden Westens; wie überhaupt der ganze wilde Westen eine einzige kolossale Erfindung ist.

Ich habe indessen noch keinen Viehwirt reden hören, daß er sich von der Darstellung von Cowboys diskriminiert fühle. Einem Kriminalkommissar, der sich ähnlich äußerte, würde man wohl auch mit einiger Verständnislosigkeit begegnen.

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